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Kommentar Helmut KohlZu viel Versöhnung

Stefan Reinecke
Kommentar von Stefan Reinecke

Während seiner Kanzlerschaft war Helmut Kohl oft das Ziel irrationaler linker Kritik. Jetzt wird er immer milder betrachtet. Das war und ist falsch.

J a, früher war alles besser. Im Rückblick macht sich, 30 Jahre nachdem Helmut Kohl der ewige Kanzler wurde, große Milde breit. Auch bei Linken. Es war doch nicht alles schlecht. Man schätzt den Exkanzler als verdienten Europäer, und die Fehler bei der deutschen Vereinigung schrumpfen aus der zeitlichen Entfernung zu Kleinigkeiten.

Es herrscht Versöhnungsstimmung, fast ein bisschen feierlich. Diese Harmonie ist grundiert von sentimentaler Sehnsucht nach der westdeutschen Gemütlichkeit. Hätte es den Kosovokrieg oder Hartz IV mit Kohl nicht gegeben? Das Lob für den einstigen Kanzler wächst aus einer merkwürdigen Melange aus Selbstverachtung der politischen Linken und ihrem schlechten Gewissen. Denn die Linke hat Kohl nie richtig begriffen. Und jetzt im milden Abendlicht wird die Kohl-Ära immer besser – so wie beim Wein.

Dieses späte Harmoniebedürfnis spiegelt auch die mannigfachen Irrtümer der Linken. 1982 hatte man für diesen Kanzler nur Spott übrig, der immer zu billig war. Vor Strauß konnte man sich fürchten. Kohl, der Provinzielle, war nur peinlich. Dass Kohl die CDU energisch modernisierte und ein versierter Machtpolitiker war, so wie Merkel später, das haben zu viele zu spät verstanden.

taz
Stefan Reinecke

ist Redakteur im Parlamentsbüro der taz.

Dass manche Linke Kohl zur deutsche Version von Thatcher erklärten, war ebenso ein grotesker Irrtum. Denn Kohl und sein Arbeitsminister Norbert Blüm repräsentierten den rheinischen, den sozial abgefederten Kapitalismus. Die neoliberale Wende vollzogen ironischerweise seine rot-grünen Nachfolger. Die Linke hat Kohl mal unter-, mal überschätzt. Falsch lag sie immer.

So ist es jetzt auch. Denn es gibt keinen Grund, diese 16 Jahre Kohl bonbonfarben anzumalen. Eine der ersten Maßnahmen der konservativen Regierung war, 1983 jedem Ausländer 10.000 Mark in die Hand zu drücken, wenn er Deutschland verlässt. Der kluge Liberale Gerhart Baum fasste diese Ausländerpolitik prägnant zusammen: „Nimm die Prämie und hau endlich ab!“

Als deutsche Rassisten 1993 eine türkische Familie ermordeten, ließ Kohl kaltherzig erklären, für „Beileidstourismus“ sei er nicht zu haben. Es waren 16 Jahre, in denen die Lebenslüge, die Bundesrepublik Deutschland sei kein Einwanderungsland, mit stählerner Ignoranz aufrechterhalten wurde. Es waren in der Energiepolitik 16 verlorene Jahre. Und kein Bundeskanzler hat sich, so wie es Helmut Kohl in der Parteispendenaffäre seiner CDU tat, wie ein Feudalherr über die Gesetze gestellt. Alles vergessen?

Es geht nicht darum, verstockt alte Gegnerschaften zu konservieren. Das ist nicht souverän. Aber man muss das ganze Bild sehen. Es hat hässliche Seiten.

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Stefan Reinecke
Korrespondent Parlamentsbüro
Stefan Reinecke arbeitet im Parlamentsbüro der taz mit den Schwerpunkten SPD und Linkspartei.
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3 Kommentare

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  • V
    vic

    Versöhnung mit Kohl? Nicht mit mir!

  • O
    ollo0815

    DANKE!

     

    Ich habe bei der gestrigen Taz echt an einen späten Aprilscherz gedacht oder das die Wahrheit(satirische letzte Seite des überregionalen Teiles) mit der Seite 1 getauscht hat.

  • A
    AHauptmann

    Wer wie ich (bzw. wir) durch Kohls 'Kanzlersache' alle Rechte an einem Minol-Grundstück in Berlin-Pankow nullifiziert bekam, dem stößt die plötzliche völlig ungerechtfertigte Rehabilitierung Kohls schon recht sauer auf. 'Getäuscht, betrogen, und isoliert' liest sich wie ein Hohn, denn ein Mitglied unserer Familie verarmte später und hätte nicht nicht in einem Brand nach einer Räumungsklage umkommen müssen, wenn sich die Herren von der CDU nicht unseren Besitz voll unter den Nagel gerissen hätten. Für uns liest sich das so: Belogen, beklaut, und verbrannt sind wir; er hat getäuscht und betrogen.

     

    Und was war mit den 300 CDU Millionen in Genf? Sah ganz nach 10 % Rückstoß von den Werten der Minol-Grundstücke aus, aber der Staatsaanwalt wurde ja dann bald nach der Entdeckung versetzt.

     

    Es ist kein Zufall, dass die rosarote Brille gerade jetzt aufgesetzt wurde, denn Kohl hängt ja wohl immer noch dem Traum nach, für den Goldregen mit den Minol-Grundstücken auch noch eine Million für einen Friedensnobelpreis einzusacken. Angeblich werden die Preise normalerweise Mittle Oktober bekanntgegeben und man denkt wohl, man kann das Nobelpreiskommittee beeindrucken. Man kann aber auch an das Nobelpreiskommittee schreiben und darlegen, warum sie ihren Nobelpreis nicht durch eine Vergabe an Kohl degradieren sollen.