piwik no script img

Polska BiennaleDer Kosmos in einer Wunderkammer

Gemälde schrumpfen zu Briefmarken, von Staaten bleiben nur Wappen. Die Stettiner Ausstellung „Wunderkammer“ zeigt Miniaturen.

Nein, hier geht es nicht ums Auto, sondern um die Weißkittel im Labor auf den Bildern im Hintergrund: „Forschung“ von Katrin Hoffert. Bild: Wunderkammer

STETTIN taz | Wunderkammern – das waren ab dem 16. Jahrhundert Sammlungen von ausgestopften Tieren, Fossilien, wissenschaftlichen Geräten, Münzen, Steinen, geschliffenen Kristallen, Herbarien. Man unterschied dabei zwischen künstlichen und natürlichen Objekten: „Die einen waren das Werk des Menschen, die anderen galten als das Werk Gottes. In ihrer Gesamtheit sollten sie den Kosmos verbildlichen“, wie es in der Besucherinformation der Wunderkammer des Salzburger Dommuseums heißt.

Was haben aber nun im 21. Jahrhundert die drei Kuratoren der Stettiner Ausstellung „Wunderkammer“ an Objekten gesammelt? Sie haben 12 deutsche und 11 polnische Künstler ausgewählt und diese mussten nicht lange überlegen, denn, so einer der Kuratoren, „unter dem Begriff Wunderkammer kann man schier alles fassen“.

Und so wählte der Berliner Künstler Thomas Kapielski zum Beispiel einen goldenen Kartoffelstampfer aus – signiert und datiert. Dieser trägt den Titel „Das Amtssiegel Ludwigs XIV.“, weil sie so ähnlich aussieht und auf die Einführung der Kartoffel in Europa verweist. Die Stettiner Künstlerin Agata Zbylut baute einen Guckkasten, in dem man eine noch zuckende Fliege sieht – auf einem Video-Loop. Auch Alexandra Ska entschied sich für ein Video, es zeigt, wie sie sich mit einer elektrischen Zahnbürste gründlich die Zähne putzt.

Der Kölner Matias Bechtold hat für seine Mirabilie wohl die meiste Arbeit aufgewendet: drei Handstaubsauger, die er ausweidete und bis ins Interieur zu Weltraumfahrzeugen umrüstete. Die Kinder unter den Ausstellungsbesuchern waren begeistert. Eher abgestoßen waren sie dagegen von einer gesellschaftskritischen Installation: einem völlig verfetteten Reh in einem Eisenkäfig, das Artur Malewski von der Artistic Society of Lódz quasi überausstopfte.

Apropos: Die Hafenstadt Stettin ist (noch) nicht derart mit Kunst-Events vollgestopft wie Berlin, deswegen war der Besucherandrang in den Räumen des ehemaligen staatlichen Autohauses Polmozbyt vis-à-vis der Kunsthochschule auch enorm. Zudem waren viele Besucher extra aus Berlin angereist.

Den Kosmos verbildlichen

Dem ursprünglichen Anspruch der Wunderkammern, den Kosmos zu verbildlichen, versuchte Agata Michowska aus Poznan mit einer einzigen Arbeit gerecht zu werden. Sie bestand aus „Fünf Elementen“: verchromte Stahlstangen auf Stativen, die mit Silikonfäden verbunden waren – und hieß „Erster nicht gelungener Versuch, die Welt zu erschaffen“.

Eher auf das Gegenteil – die Zerstörung der Welt – zielte die Arbeit von Olaf Brzeski aus Breslau: ein innenbeleuchteter Atompilz auf einem runden Perserteppich, der seinerseits Welthaltigkeit symbolisierte. Die Berlinerin Katrin Hoffert zeigte dagegen die Arbeit an einer vorsichtigen Zerlegung der Welt, wenn man so sagen darf. Sie stellte als einzige „richtige“ – gemalte – Bilder aus, „Forschung“ betitelt. Auf ihnen sind Weißkittel im Labor porträtiert.

Sehr schön machte sich daneben die „private Kunstsammlung“ von Kamil Kuskowski, die aus rund 100 zum Teil abgestempelten Briefmarken bestand, auf denen die „größten“ Gemälde der Welt im Miniformat zu sehen sind. Ebenfalls winzig waren die aufgesockelten Wirbeltiere von Andreas Koch. Sie wirken wie aus Elfenbein geschnitzt, bestehen jedoch aus zusammengefalteten Milchhäuten – dennoch sehen sie sehr kostbar aus.

Tanzend zwischen Spargelbeeten

Die Welt wird ja sowieso immer kleiner. Besonders anschaulich zeigte das Lukasz Skapski aus Krakau – mit seinen 20 Wappen von „nicht [mehr] existierenden Staaten“ vornehmlich aus Osteuropa und Afrika. Fotos gab’s auch zu sehen – von den Berliner Künstlerinnen Ingeborg Lockemann und Elke Mohr. Ihre Serie „Reihenreigen“ zeigte sie als nichtpolnische Erntehelfer – tanzend zwischen endlosen, mit Plastikfolie abgedeckten Spargelbeeten.

Die „Wunderkammer“ ist Teil der Polska Biennale, die derzeit in 50 Städten stattfindet. Die Zeit, in der die Wunderkammern entstanden – die erste ließ der Erzherzog von Tirol 1564 zusammenstellen – hat man als das „Jahrhundert des Staunens“ bezeichnet. In Stettin staunten wir nunmehr, wie einfach man eine schöne und interessante Ausstellung kuratieren kann.

„Wunderkammer“, bis 12.10. in Stettin, ab dem 18.1.2013 in Berlin

Links lesen, Rechts bekämpfen

Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen

0 Kommentare

  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!