Deutsch-russische Beziehung: Eine Freundschaft wie Kruppstahl
Die Ausstellung im Neuen Museum in Berlin strotzt vor schönen Exponaten. Es fehlt ihr aber an historisch-sozialem Kontext.
Wenn man es nicht gerade aus der Eichhörnchenperspektive betrachtet, ist es schon putzig, das hölzerne Gestühl der „Rigafahrer“ aus der Stralsunder Kirche St. Nikolai, entstanden um 1365. Seine Schnitzereien spiegeln Berichte dieser Hanse-Kaufleute, wohl über die Republik Nowgorod. Da sieht man russische Pelztierjäger Eichhörnchen von Bäumen schütteln. Im Mittelteil sammeln sie Waldhonig und am Schluss nimmt ein deutscher Kaufmann Pelze und Honig in Empfang.
Die Hanse unterhielt in Nowgorod eine große Niederlassung. Was in diesem Saal nicht erzählt wird: die weltoffene Republik in Nordrussland wählte ihre politischen Führer auf einer Bürgerversammlung. Im Jahre 1478 machte Iwan III., Großfürst im benachbarten Moskau und erster Zar, diese Stadt mit ausgesuchter Grausamkeit dem Erdboden gleich.
Doch in dieser Ausstellung finden wir nichts über das Schicksal der russischen Freunde der Hansekaufleute. Sie strotzt zwar vor schönen, schwer aufzutreibenden und kuriosen Exponaten, diesen fehlt es aber an politisch-sozialem Kontext.
Zu tief habe das Bild der fürchterlichen Ereignisse im 20. Jahrhundert und des Zweiten Weltkrieges das Bild geformt und auch verformt, das sich Deutsche und Russen voneinander machen, sagte Hermann Parzinger, der Präsident der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, in seiner Eröffnungsrede: „Aus diesem Bild wollen wir aussteigen.“ Man habe hier endlich einmal die doch sehr viel längere positive und fruchtbare Geschichte der deutsch-russischen Begegnungen in Handel, Kultur und Wissenschaft zeigen wollen.
Chronologischer Rundgang
Die räumlich sehr viel kleinere Moskauer Ausstellung im Sommer war in thematische Schwerpunkte gegliedert. In Berlin versucht man jetzt, einen chronologischen Rundgang anzubieten. Weiter geht es also mit dem Moskowiterreich, dann über die dynastischen Beziehungen zu den von verschiedenen Zaren ins Land gerufenen deutschen Wissenschaftlern. Da sind Mineralproben zu bestaunen, Karten und Tierpräparate.
Besonders stolz ist Kurator Matthias Wemhoff auf den elefantösen Schädel einer Steller’schen Seekuh. Der deutsche Arzt Georg Wilhelm Steller, Mitglied der Expedition Vitus Berings, hat als im Jahre 1741 vor Kamtschatka als erster und letzter Wissenschaftler diese kurz darauf ausgestorbene Spezies lebend erblickt. Drei Jahre später schlug er sich nach Irkutsk durch.
Dort wurde er vorübergehend unter Anklage gestellt, die Völker Ostsibiriens gegen die russische Herrschaft aufgewiegelt zu haben – wieder eine Episode, die auf den Täfelchen unerwähnt bleibt.
Immer weiter geht es auf der Zeitleiste bis hin zum massiven Engagement deutscher Unternehmer und Wissenschaftler bei der industriellen Erschließung der russischen Weiten und dem regen Casino-Tourismus russischer Schriftsteller und Adeliger in deutschen Kurorten im 19. Jahrhundert.
Von der damals auch beginnenden Verflechtung der deutschen und russischen Arbeiterbewegung ist allerdings nicht die Rede. Man könnte geradezu vergessen, dass die russischen Revolutionäre sich als Marxisten bezeichneten.
Auch die kurze, aber intensive „Sowjetrussland“-Mode in breiten Kreisen des deutscher Großstadtbewohner in den 20er Jahren wird hier nur anhand der in Russland entstandenen Werke bildender Künstler wie Ernst Barlach oder Heinrich Vogeler dokumentiert. Mit dem Zweiten Weltkrieg wird hier auch gleich der Stalin’sche Terror aus der Wanne geschüttet.
Vorwort von Putin
Später konnten sich die Kontaktfreudigen 10, 20 Jahre lang entspannen. Dass diese Phase zu Ende geht, dafür sorgt nun Russlands Präsident Wladimir Putin. Er hat das international kritisierte Gesetz durchgesetzt, welches vom Ausland unterstützte Nichtregierungsorganisationen als „Auslandsagenten“ einstuft. Putin hat auch das Vorwort zu dem Essayband unterschrieben, der zusätzlich zum Katalog und zu einem Kursbuch für Schüler diese Ausstellung begleitet.
Indem aber die Organisatoren in diesem Panorama selbst unseren Blick von sozialen und politischen Bedingungen ablenken, schaffen sie mit dieser Ausstellung einen neuen Mythos: demnach müssen Russen und Deutsche immer weiter miteinander befreundet sein, weil sie es schon immer waren. Ihre Freundschaft ist so biegsam wie Wachs, so unverbrüchlich wie Kruppstahl und äußerst gewinnbringend. Im Neuen Museum hat sie einen Beigeschmack nach Honig.
„Russen und Deutsche“. Neues Museum Berlin, bis 13. Januar, Kataloge Imhof Verlag, 49,95 Euro.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!