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Überwachungs-Projekt indectAlle unter Generalverdacht

Die EU hat eine neues Überwachungs-Projekt. Es heißt indect und soll Verbrechen verhindern, bevor sie passieren. Nix da, fordern Demonstranten in Berlin.

Viele waren es nicht, die da demonstrierten. Aber sie waren entschieden. Bild: Philipp Guttmann

BERLIN taz | Die Uhr an der Marienkirche am Alexanderplatz, Berlin, zeigt 14.30 Uhr, als die Bässe losdröhnen. Neben dem Neptunbrunnen steht ein Lkw, dessen Tragfläche zu einer Bühne mit Lautsprechern umgebaut ist, etwas mehr als hundert Menschen haben sich davor versammelt.

Sechs Männer in schwarzen Kapuzenpullis und weißen Masken tanzen vor dem Wagen. Ein Mann mit Dreadlocks streckt ein Plakat in den blauen Herbsthimmel, „Überwachung – indecke die Möglichkeiten“ steht darauf. Karin Dittmann, Mitte 50, beobachtet die überwiegend jungen Leute zwischen 20 und 30 Jahren. „Worum geht’s denn?“, fragt sie. Sie habe auch eine Tochter in dem Alter, die würde da vielleicht auch mitmachen.

In ganz Europa demonstrierten am Samstag Menschen gegen indect, allein in Deutschland gab es in 26 Städten Proteste. indect, das bedeutet „Intelligent Information System Supporting Observation, Searching and Detection for Security of Citizens in Urban Environment“ – also „Intelligentes Informationssystem zur Unterstützung von Überwachung, Suche und Erfassung für die Sicherheit von Bürgern in städtischer Umgebung“. Die Abkürzung steht für die Entwicklung einer multimedialen Überwachungsplattform, die die BürgerInnen vor Verbrechen schützen sollen – ein Projekt, das von der EU mit knapp 11 Millionen Euro gefördert wird.

Indect

Indect ist ein Akronym - es steht für „Intelligent information system supporting observation, searching and detection for security of citizens in urban environment“. Es ist also ein Informationssystem, das helfen soll, Bürger in städtischen Umgebungen zu überwachen. An dem Projekt arbeiten mehrere Universtiäten und privatwirtschaftliche Unternehmen. Das Ziel, so heißt es, sei die Erhöhung der Sicherheit.

Finanziert wird das Forschungsprojekt, das verschiedene Überwachungstechnologien miteinander verknüpfen soll, seit Jahresbeginn von der EU. Insgesamt steckt die Europäische Union in den kommenden fünf Jahren fast 15 Millionen Dollar in das umstrittene Projekt. (taz)

Die Forschung an Hochschulen, unter anderem an der Uni Wuppertal, in Unternehmen und Behörden läuft noch bis 2014. Und so funktioniert indect: Angenommen, Karin Dittmann steht vor dem Auto ihrer Tochter und kramt in ihrer Tasche, bis sie endlich die Schlüssel findet. Eine Kamera filmt sie dabei, leitet die Daten an die Überwachungsplattform weiter, die erkennt in ihr automatisch eine potentielle Auto-Diebin. Dann bekommt die Kamera den Befehl, ihr Gesicht zu scannen. Dieses wird mit Fotos aus dem Internet verglichen, bis ein Datensatz zu ihrer Person erstellt wird und schon ist sie der Polizei als verdächtig gemeldet.

„Eingriff in die Grundrechte“

„Es ist unverhältnismäßig, alle Menschen unter Generalverdacht zu stellen und schon nach Verdächtigen zu suchen, bevor jemand auffällig geworden ist“, ruft Jan Philipp Albrecht ins Mikro, innen- und justizpolitischer Sprecher der Grünen im Europäischen Parlament. „Das ist ein Eingriff in die Grundrechte, deshalb muss diese Technologie und ihr Export verboten werden.“

Der 30-Jährige ist zum Netzpolitischen Kongress der Grünen nach Berlin gekommen, bei dieser Gelegenheit hält er die Ansprache am Alexanderplatz. Das Szenario, das er beschreibt, erinnert an den Science-Fiction-Film „Minority Report“. Die Polizei nimmt darin Mörder fest, bevor sie eine Tat begehen. Doch die Realität hat die Fiktion längst eingeholt – schon 2014 könnte ein solches Überwachungssystem angewandt werden.

„Deshalb fordern wir ethisch-moralische Grenzen, nicht nur in der Biologie, sondern auch im Datenschutz“, so Albrecht. „Diese müssen in das nächste Rahmenprogramm der EU aufgenommen werden.“

Nur wenige kamen zur Demo in Berlin

Lars Brickmann, ehemaliges Piraten-Partei-Mitglied, hat die Demo mit Anonymus-Aktivisten, Piraten und dem Aktionsbündnis „Freiheit statt Angst“ organisiert. Er arbeitet in einer Psychiatrie. „Wir haben PatientInnen, die reden mit Steckdosen oder mit der Wand“, sagt er, „und die sollen als potentielle Täter abgestempelt werden?“ Er ist enttäuscht, dass nur so wenige zur Demo gekommen sind. Doch niemand unter der Passanten, die den etwa 60 Meter langen Demonstrationszug auf dem Weg zum Reichstag beobachten, hat jemals von indect gehört.

„Mir ist das auch neu, aber wir haben ja gesehen, was so alles passiert, als sie den jungen Mann am Alexanderplatz zu Tode getreten haben“, sagt Passantin Dittmann. „Ich hab nichts dagegen, wenn mein Gesicht gescannt wird – wenn es der Sicherheit dient“.

Mit Sicherheit hat die Überwachungsplattform indect für die Demonstranten nichts mehr zu tun. Vor dem Reichstag strecken sie ihre Plakate in den Himmel, „Wer die Freiheit aufgibt, um Sicherheit zu gewinnen, wird beides verlieren“, steht darauf geschrieben, ein Zitat von Benjamin Franklin. Auf dem weitläufigen, beinahe leeren Platz verhallen die Elektro-Rhythmen.

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14 Kommentare

 / 
  • DB
    der blaue Engel

    Die Erwähnung des GG Artikels 20 war euch dann doch zu viel, wa? Ihr seid auch nur ne Status quo Schmonzette.

    Bild? taz? Spiegel? Nö, ich bevorzuge Öko-Klopapier.

  • K
    K.S

    Die Passantin sagt es: "Für die Sicherheit tut sie alles" nämlich nichts. Einfach mal das Gesicht fotografieren lassen und überall herrscht Friede, Freude, Eierkuchen, so ist das eben nicht.

     

    Das ist das Problem: Wer kennt Intect ????

     

    Und dann noch die ausgefeilten, raffinierten Begründungen für die totale Überwachung.

     

    Davon wußte die Passantin sicher nichts, von dem, was dahinter steht.

     

    Aufklärung tut Not. Doch wer klärt auf ?

     

    ARD und ZDF nicht, die täglichen Tageszeitungen in Städten und Gemeinden auch nicht. Ich werde Freunde fragen, die nur diese und die Nachrichten als Info-Quelle haben.

     

    Es gibt auch Arztpraxen, die schon total überwacht sind. Ich habe neulich eine kennengelernt.

     

    Totale Überwachung: Ach, was hätten sich die Nazis gefreut !!!!

    Und das alles jetzt in einer Demokratie. Ich finde, da stimmt was nicht.

  • NZ
    nix zu verliern

    Das Franklin Zitat endet nicht mit "..verliert beides",

    sondern mit "..verdient weder Freiheit noch Sicherheit".

     

    Ersteres ist wage, wachsweich und pseudoprophetisch, letzteres eine klare, aktive Warnung und Vogelfreierklärung der Verantwortlichen!

     

    hierzu:

    Grundgesetz Artikel 20(4): "Gegen jeden, der es unternimmt, diese Ordnung (s.1-3) zu beseitigen, haben alle Deutschen das Recht zum Widerstand, wenn andere Abhilfe nicht möglich ist."

     

    Na dann, Ärmel hoch und Mistgabeln, Äxte, Flinten, Laptops, Mollis und alle sonst zur Verfügung stehenden Waffen zur Hand und dem Aufruf des GG folgen, denn "andere Abhilfe" ist wohl leider nicht mehr möglich.

     

    Wir haben es mit Fascho-Gangstern zu tun.

    Schluss mit den beschönigenden Formulierungen.

  • DV
    den VSA lernen

    Hilfe, wir werden amerikanisiert!

  • S
    Sowasaberauch

    ...nicht zu vergessen dass diese tolle Technologie gegen Bösewichte aller Art dann auch alsbald in Ländern wie (Weiss)Russland, Iran, Saudi-Arabien etc. genutzt wird, um das, was die dortigen Herrscher für böse halten schon im Keim zu eliminieren.

    Danke Europa!

    Danke TechnikerInnen!

  • TF
    Thomas Fluhr

    Totale Überwachung hat nur einen Zweck, totale Unterdrückung durch Angst, Nazis - Stasi - indect - usw. Diese Ver-brecher wird's immer geben, hoffentlich kann man sie mal frühzeitig stoppen.

  • B
    Bubacka

    Jetzt fehlt nur noch die entsprechende akute Bedrohung durch den Terror von Rechts oder Links; Muselmann oder Studentenpack und schon kann es so richtig losgehen, mit der totalen Reanimation im Dienste der freiheitlich bedrohten Unschuld in Not. Irgendwer wird sich schließlich schon finden, der den Job sogar gerne macht.

    VStasi reunited 2.0 ?

    Wetten werden entgegengenommen.

  • B
    Bachsau

    Der Kinofilm V wie Vendetta müsste zum Pflichtprogramm für alle werden, damit die Leute Begreifen, was auf dem Spiel steht.

     

    Wo sind eigentlich unsere ach so tollen, "unabhängigen", öffentlich-rechtlichen Medien? Genau diese Propagandaorganisationen müssten darüber aufklären, statt den Vorfall am Alexanderplatz derart missbräuchlich zu politisieren, wenn sie das wären, als was sie sich gerne sehen, und womit sie die Rundfunk-Gebührenpflicht begründen.

  • A
    andyconstr

    Britische Verhältnisse, europaweit? Erst die soziale Situation der Menschen verschärfen und dann überwachen und wegsperren, umgekehrt wird ein Schuh draus: Gesellschaftliche Verhältnisse verbessern, dann kann man den Aufwand für Strafverfolgung mit ziemlicher Sicherheit reduzieren.Die meiste Gewalt und Kriminalität resultiert aus den Strukturen der Armut.

  • JK
    Jörg Krauß

    Wie interessensgeleitete Überwachungsprogramme arbeiten und wo Sie arbeiten bzw. angelegt sind, erfährt Mensch u.a. bei den Arbeit, bei der Energie, in den Finanzgeschäften und der Positionierung von ehem. Mitarbeitern in der Politik und der Industrie (Goldman Sachs, Deutsche Bank etc.), mit jeder Videokamera an öffentlichen Plätzen, mit jedem Mal, wenn Du deinen Rechner einschaltest. Stasi digital reloaded würd ich mal sagen. Zentrale Frage, wer hat ein ursächliches Interesse, die Bevölkerung zu kontrollieren? Richtig, das Geld. Und wenn es richtig scheint, das EU-Politik einen ehemaligen Goldmann Sachs Mitarbeiter als EZB Chef einsetzt (Draghi) und jede Menge Finanzacrobaten wie (Lucas Papademos, Mario Monti) plötzlich in Positionen auftauchen, wo Sie politische Funktionen wahrnehmen sollen, da kann einem schon Angst und Bange werden um die Freiheit der Menschen hier in Europa. Wie die Knechtschaft der Demokratien durch Staatsverschuldung wieder auf Normalmass zu stutzen wäre, da sehe ich viele Chancen. Arbeitsgruppe im Bundestag zur Deregulierung der Deregulierung von Gesetzen und Vorlagen, die im Finanzwesen die Gewinne explodieren ließen und die Bevölkerung die letzten 30 Jahre in Wort und Tat drangsalierte. Steuer auf alle Finanzgeschäfte an Börsen, massivst bei Waffengeschäften. Sofortiger Stopp der Narungsmittelspekulation. Dagegenhalten mit Bildung, die aus der Bevölkerung generiert wird und nicht ministerial verordnet. Dies alles und noch viel mehr wenn nicht international, da keine Einigung zu erzielen ist, dann eben national.

  • PM
    peter meier

    ich habe nichts zu verbergen,und habe auch nichts gegen kameras,wenn die letzte stunde automatisch geloescht wird.wer damit ein proplem hat sollte sich von oeffentlichen plaetzen vernhalten.

  • K
    Krempeltier

    Schon interessant das die Firmen, die bundesdeutsche Daten teils illegal sammeln, hauptsächlich im Freistaat Bayern, dem Zentrum, angesiedelt sind. Ob Datev, MS, Krankenkassen.

    Steht dieser Amigo Freistaat auf rechtsstaatlichen Boden? Viele Landesbeauftragte für Datenschutz bestätigen das Bayern das BDSG merkwürdig einseitig auslegt. Ganz abgesehen davon, das Festplatten aus den Asservatenkammern verschwinden.

     

    Peter Schaar ist doch nur ein Feigenblatt einer angeblichen Demokratie.

     

    Jede größere Firma nutzt SAP mit einer besonderen Datenbankanbindung.

    "Denied Persons List"

    http://www.bis.doc.gov/dpl/default.shtm

  • P
    Peter
  • D
    Demokratie-Troll

    Früher hatte man ja mal ein Recht am eigenen Bild. Es musste erst um Erlaubnis gefragt werden, wer wen irgendwo "einscannen" will, denn jeder weiß, da wird ein unwillkürlicher Zufallsaugenblick selektiv für die Ewigkeit eingefroren und mein Dasein auf diesen willkürlichen Momentausschnitt reduziert. Heute bestimmen andere, wie mein Bild in der Öffentlichkeit erscheint und verwertet wird. Und insbesondere ausgerechnet die "Verdachtschöpfer", die ihren Schöpferverstand weitestgehend in flächendeckend aktive automatische Programme transformiert haben. Nicht ich bin mehr Herr meiner öffentliche Selbstdarstellung, nicht ich bestimme mehr, welches Bild man sich über mich macht, diese Selektion übernehmen interessengeleitete Überwachungsprogramme und letztendlich deren anonyme Auswerter.

    Mein Bild in der Öffentlichkeit ist das Verdachtsbild, es ist eine Kreation des Verdachtschöpfers! Er wird mein Schicksal!

    Leider ist das Ungeheuerliche daran so neu, dass das Volk sich nicht vorstellen kann, was da in Zukunft passieren wird.

    Souveränität des Volkes endet mit der Volksüberwachung. Es ist das Ende von Selbstbestimmung und Freiheit! Es ist der Faschismus!