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taz-thema: Provinz in der Stadt"Der Kehrwochenschwabe kommt"

Von jeher hat die Stadt Einwanderer verändert. Nun soll sie sich an Hochverdiener anpassen, kritisiert Stadtforscher Rolf Lindner. Ein Interview aus der neuen taz.berlin-Wochenendausgabe.

So ein Kleingarten ist etwas piefig, aber: Es geht nichts über ein bisschen Grün in der Stadt. Bild: dapd
Interview von Alke Wierth

taz: Herr Lindner, bringen Einwanderer das Dorf in die Stadt?

Rolf Lindner: Einwanderer kamen früher überwiegend auf der Flucht vor dörflichen Lebensverhältnissen nach Berlin. Das galt für die Einwanderer des späten 19. Jahrhunderts, die vor der strengen Kontrolle der Landarbeiterexistenz flüchteten, ebenso wie für die Schwaben in der Mauerzeit, die auf der Flucht vor der Kehrwoche waren.

Und die nichtdeutschen Einwanderer?

Für viele von ihnen gilt das auch. Sie bildeten teilweise Urban Villages, wie die US-amerikanische Stadtsoziologie spezielle Viertel wie Little Italy oder Chinatown nennt. Solche ethnischen Enklaven dienen als eine Art Übergangszone bei der Eingewöhnung in die Großstadt.

Auch in Berlin gibt es Viertel, in denen man leben kann, ohne Deutsch zu sprechen. In Deutschland wird das als Parallelgesellschaft bezeichnet und negativ, als Abschottungsversuch, bewertet.

Die amerikanischen Stadtforscher bewerten solche Enklaven durchaus positiv: als eine Art Kokon, der die Einwanderer zunächst schützt und ihnen erlaubt, sich an die Stadt zu gewöhnen. Der Begriff des Urban Village gehört zur Kategorie der gewissermaßen ungeplant zustande gekommenen Wohngebiete, insbesondere von Migranten. In den vergangenen zehn Jahren hat das Urban Village hierzulande aber eine völlig neue Bedeutung erfahren – als Begriff der Immobilienbranche.

Inwiefern?

Es fällt schon auf, dass Immobilienunternehmen ihre Angebote heute gern mit der Verbindung der Stichwörter „Metropole“ und „Kiez“ bewerben. Das sehen wir auch an Begriffen wie „Höfe“ und „Gärten“, die die Vorstellung lebendigen großstädtischen Lebens mit der Heimeligkeit eines Dorfs verbinden. Und die neueste Entwicklung ist die Konzeption von Urban Villages. Als Begriff der Immobilienbranche verspricht dieses ländliche Ruhe in einem städtischen Umfeld – etwas meiner Auffassung nach völlig Nonurbanes.

Die neue Wochenendausgabe

Dieser Text ist Teil des aktuellen Schwerpunkts der neuen taz.berlin-Wochenendausgabe. Sie erscheint erstmals am 3. November und bietet auf zwölf Seiten Recherche, Interviews, Meinung, Kolumnen und viel Kultur.

Das Schwerpunktthema "Wir haben die Stadt zum Dorf gemacht" diskutiert auf drei Seiten, warum Menschen in die Großstadt ziehen, hier aber kleinstädtische Strukturen und Lebensformen aufbauen. Der Schwerpunkt in der Print-Ausgabe enthält zusätzlich zu diesem Interview drei Proträts und einen Essay.

Zudem im neuen, zwölfseitigen Wochenendteil der taz.berlin unter anderem:

- Interview mit dem Mann, der die Berliner Mauer wieder aufbaute

- Ein Porträt der Band Ornament & Verbrechen

- Ein vierteiliger Rückblick auf die Woche

Das Dorf wird zum Konzept.

Genau.

Und wer sind die Einwanderer?

Jetzt kommen, metaphorisch gesprochen, die Kehrwochenschwaben: Hochverdiener, die in den künstlich hergestellten Nachbarschaften der neuen Urban Villages den Genuss metropolitanen Geschehens mit einem geschützten Leben wie im Dorf verbinden wollen. Diese neuen Zuwanderer sind nicht darauf aus, sich der Stadt anzupassen, eher umgekehrt: Sie passen die Stadt ihrem Lebensstil an.

Sie wollen ihr Dorf in der Stadt dauerhaft behalten?

Sie sind sozusagen halbe Urbaniten. Sie wollen alles mitnehmen, was eine Großstadt bietet, aber eben in einer cleanen, sicheren Form, die nicht belästigt und keine Angst macht. Sie wollen die Einhaltung bestimmter Standards, die sie von der Herkunft her gewöhnt sind. So gesehen bilden sie auch eine „Parallelgesellschaft“.

Von ethnischen Einwanderern wird Integration bis zur Anpassung verlangt – diese Neuzuwanderer dagegen wollen die Stadt zu ihren Bedingungen?

Rolf Lindner

Jahrgang 1945, lehrte bis 2010 am Institut für Europäische Ethnologie der Humboldt-Universität und als Gastprofessor im Studiengang "Kultur der Metropole" der HafenCity Universität Hamburg. Derzeit ist er Vertretungsprofessor für Volkskunde/Kulturanthropologie an der Universität Hamburg.

Ja, da ist schon ein gewisser hegemonialer Diskurs im Hintergrund: Wer bestimmt, wie eine Stadt aussieht? Darin steckt eine Vereinnahmung und Aneignung, die über die Gentrifizierung von Vierteln hinausgeht. Es wird auch Sprache gentrifiziert, etwa durch die geschilderte Umdeutung des Begriffs Urban Village.

Kann aber das Dorf nicht der Stadt auch nützen? Ihr etwas von ihrer Anonymität nehmen?

Zweifellos. Ich freue mich auch, wenn ich in meiner Straße bekannte Gesichter sehe, gegrüßt werde. Es würde mir fehlen, wenn es diese Art von Erkennen, dieses Gefühl von Zugehörigkeit nicht auch in der Stadt gäbe. Um die Anonymität zu nehmen, brauche ich aber kein Urban Village neuen Typs. Bei diesem handelt es sich im Kern um eine weiche Variante der gated community, der geschlossenen Gesellschaft.

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11 Kommentare

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  • M
    Mietenwahnsinn

    Ich habe das Glück, in einem noch relativ günstigen Haus zu wohnen. In den Nebenkosten ist die Hausreinigung der größte Posten. Ich wäre froh, alle drei Wochen mal von Etage zu Etage zu putzen und alle 9 Wochen mal auch den Hausdurchgang und den Hof zu kehren. Das würde mir im Jahr über 200,- sparen. Was ist falsch daran?

    Dass die Zugezogenen aber Subkultur wegklagen, das ist wirklich zum brechen.

    Und eins noch: ich mag es nicht, wenn Münchner oder Hamburger oder Kölner in Berlin über die Schwaben schimpfen. Das ist eine Frage des Geldes und nicht des Bundeslandes.

  • TL
    Tim Leuther

    Eine Kehrwoche wäre mal was feines, wenn es funktionieren würde.

     

    Aber Berliner kreischen eher, das die BSR so mies ist, und das überall gespart wird. Und das es im Winter schneit und der Schnee nicht weg ist.

  • GU
    Gabi und Christian

    Ergänzung:

    Unsere Kritik bezieht sich auch und in erster Linie auf den Artikel der taz-JournalistInnen auf der ersten Berlinseite "Bullerbü ist überall".

  • GU
    Gabi und Christian

    Schon klar: Schwaben sind (genetisch oder sozialisationsbedingt?) als ganze und homogene Volksgruppe dazu prädestiniert, ihre Spießigkeit und Kleingeistigkeit erobernd in der Welt zu verbreiten. Angesichts dieser Invasion macht allen anderen Menschen das Leben in Berlin keinen Spaß mehr. Es ist nicht mehr so „urban“. Urban, das heißt … ja was eigentlich … dreckig, arm, unfreundlich, billig…? Jedenfalls war es kurz nach dem Mauerfall hier viel besser zu leben, und es ist schön, dass wir dafür nun einen Sündenbock identifiziert haben.

     

    Mal ehrlich liebe TAZ, ist dumpfer Rassismus gegen vermeintlich hegemoniale Gruppen nun eine Leitlinie für kritischen Journalismus? Werden platte Argumente besser, wenn Sie zum gefühlt 183sten Mal wiederaufgewärmt werden? Worin unterscheidet sich das Niveau Eurer Argumentation von einschlägigen Boulevardblättern oder Herrn Sarrazin?

  • S
    Sally

    Zu erst möchte ich mich auf diese Verwendung des 'Stereotypen / Kehrschwaben' beziehen. Man würde in einem Interview schon erwarten, daß nicht ein Stereotyp mit negativer Konnotation verwendet wird. Gleichzeitig wäre dann wohl 'Kehrwochen-Stadtbewohner' richtiger. Kehrwochen findet man auch in anderen Regionen Deutschlands (Schwaben unabhängig) - wohl eher ein Erfolgsmodell unter 'Gleichgesinnten'.

     

    Auf der anderen Seite, um auf das eigentliche Thema zurück zu kommen, ist die unterschiedliche Ausprägung einzelner Stadtteile nicht auch gut? Gerade Diversitäten machen Städte schön, interessant und lebenswert.

    Jedoch stellt sich eher die Frage wie extrem diese Ausprägungen in einem Stadtteil sind und wer die treibenden Akteure sind. Darüber hinaus wäre doch die Frage interessant ob diese Identitätsbildung in einem Stadtteil kategorisch alles weitere ausschließt.

  • I
    -inger

    Ach ja, vic, und Du kehrst also selbst?

  • V
    vic

    Wer in Schwaben Kehrwoche macht, ist kein Hochverdiener. Der lässt kehren.

  • A
    ama.dablam

    Noch ein passender englischer Begriff: 'bullshit'.

     

    Menschen, die stereotyp gegen Frontex argumentieren verteidigen 'ihren' Kiez mit Zähnen und Klauen gegen Inländer.

     

    Eine bizarre Form des Neofaschismus.

  • JM
    J. Murat

    Natürlich, lieber "Stadtforscher" Lindner, gibt es Spannungen, wenn der "Kehrwochenschwabe" (sic!) auf den "Pleitegriechen", den "hatzenden Currywurstberliner", den "islamistischen Kaftananatolier" und den "aslybetrügenden Polygamiearaber" trifft.

    Aber so stereotype Bilder sprechen auch nicht gerade für eine auch nur minimale Sozialkompetenz Ihrerseits.

    Sind Sie überhaupt der geeignete Interviewpartner?

  • D
    dirk

    Ich hätte ja gerne mal eine Antwort darauf, welches eigentlich die Hauptgruppen sind, die nach Berlin kommen und wo sich diese niederlassen. Es gibt ja auch viele, die aus London oder Paris kommen, weil es ihnen dort zu teuer ist. Anstatt diese Entwicklungen wirklich und mit Zahlen belegt zu beschreiben, wird mal wieder das Bild vom bösen Schwaben reproduziert. Wobei sich selbst dieses im Interview widerspricht. Einerseits die Kehrwochenflüchtlinge und jetzt die besser verdienenden Schwaben, die die Kehrwoche behalten wollen. Ja was denn jetzt?

  • H
    harry

    einige aspekte scheinen mir durchaus richtig benannt, aber man sollte nicht vergessen, dass es "die stadt" in einer einheitlichen form doch gar nicht gibt. es gab immer schon bezirke die als ruhiger und andere, die als belebter galten. der begriff "ausgehviertel" steht als beispel dafür. schlimm wirds nur, wenn diese bestehende ordnung aus investoreninteressensgründen gekippt wird. andererseits ist eine stadt kein starres gebilde und änderungen können durch einflüsse von aussen (zuzug von kehrwochenschwaben oder feieramis und partyspanier, wie auch durch neuplanungen, die infrastruktur betreffend, erfolgen. bedenke: es sind nicht nur die schwaben, die partyviertel lahmlegen, es gibt auch die neue europäische jugend, die wohnviertel wie schillerkiez oder hobrechtstasse verrummeln. von einem wissenschaftler erwarte ich etwas mehr differenzierung.