Betreuungsgeld und Umfragewerte: Merkel hängt Steinbrück ab
Die Sozialdemokratisierung der CDU schadet der SPD. Trotz des umstrittenen Betreuungsgeldes baut die Kanzlerin ihren Umfragewerte aus.
BERLIN taz | Wie macht die Union das bloß? Gemeinsam mit der FDP verabschiedete sie am Freitag im Bundestag ein Betreuungsgeld, das selbst die CDU-Frauen und die Freidemokraten falsch finden. Die Koalition schafft die Praxisgebühr ab, obwohl allen klar ist, dass wahltaktisches Kalkül dahintersteckt.
Seit der Bundestagswahl 2009 hat die Union häufig anders entschieden, als sie es versprach: über Wehrpflicht, Atomkraft, Steuerreform. Trotzdem erreichen CDU/CSU in Umfragen derzeit die höchsten Werte seit fünf Jahren, die SPD und ihr designierter Spitzenkandidat Peer Steinbrück fallen zurück.
40 Prozent der Befragten stimmen bei der jüngsten Umfrage des DeutschlandTrends der ARD für die Union. Während CDU/CSU um 1 Prozentpunkt zulegen, verliert die SPD im selben Maß und kommt auf 30 Prozent. Die FDP verharrt bei 4 Prozent, die Grünen legen um 3 Punkte auf 14 Prozent zu.
Betreuungsgeld: Mit Stimmen der Koalition hat der Bundestag das Betreuungsgeld beschlossen. Zwei CDU- und vier FDP-Abgeordnete stimmten dagegen. Laut Infratest begrüßen nur 35 Prozent der Deutschen die Entscheidung.
Praxisgebühr: Einstimmig hat der Bundestag die von der FDP durchgesetzte Abschaffung der Gebühr beschlossen. Das finden 88 Prozent der Deutschen gut.
Dank: 62 Prozent der Deutschen halten die Beschlüsse für Wahlgeschenke der Regierung.
Zugleich erhält die Kanzlerin deutlich mehr Zustimmung bei der Frage: Für wen würden die Bürger stimmen, könnten sie den Regierungschef direkt wählen? Merkels Wert klettert um 4 Punkte auf 53 Prozent, ihr SPD-Herausforderer verliert 2 Punkte und kommt auf 36 Prozent.
FDP-Wähler wählen nun die Union
Merkel profitiert von der Unzufriedenheit unter jenen, die 2009 für das Rekordergebnis der FDP sorgten. Laut Umfrage bedauern 45 Prozent der FDP-Wähler ihre Entscheidung bei der Bundestagswahl. Nur 25 Prozent zeigen sich mit der FDP-Arbeit zufrieden. Viele Enttäuschte wenden sich der Union zu. Die kann tun, was sie will – ihre Anhänger goutieren es. 87 Prozent der Unions-Wähler des Jahres 2009 finden ihre Entscheidung auch heute richtig.
Diese Zufriedenheit kann nicht direkt mit den Inhalten der Regierungspolitik zu tun haben – die wechselten ja häufig. Wichtiger ist die weit verbreitete Empfindung, die Regierungsgeschäfte lägen bei Merkel in guten Händen. Mit 68 Prozent Zustimmung – plus 1 – führt die Kanzlerin die Rangliste der beliebtesten Politiker an. Steinbrück landet mit 50 Prozent auf Rang sechs. Das grundsätzliche, zumeist vage Bild einer Partei entscheidet also maßgeblich über die Wählergunst, weniger konkrete Entscheidungen.
Das zeigt sich besonders klar an der FDP. Ihr hängt das Image einer zerstrittenen Truppe an, die ihre Wahlversprechen nicht eingelöst hat. Nun halten die Bürger ihr nicht einmal die von ihr betriebene Abschaffung der Praxisgebühr zugute. Das Entfallen der 10 Euro pro Quartal und Kassenpatient begrüßen 88 Prozent der Befragten – mehr als jede andere am Freitag gefällte Bundestagsentscheidung. Trotzdem verharrt die FDP unterhalb der 5-Prozent-Hürde.
Auch die SPD muss sich große Sorgen um den Kern ihres Images machen. Nur noch 35 Prozent der Befragten vermuten, Steinbrück würde sich stärker für soziale Gerechtigkeit einsetzen als Merkel (–5 Punkte). Die Kanzlerin legt im Direktvergleich um 7 Prozentpunkte auf 31 Prozent zu. Die Sozialdemokratisierung der CDU schadet nicht ihr, sondern der SPD.
Leser*innenkommentare
auch das noch
Gast
juchhu
marie
Gast
das alte weise märchen von der kaisers neuen kleidern ist so aktuell wie nie,und die wähler fallen wie gehabt, mal wieder darauf herein. volk bekommt ein bröselchen und schon ist die welt scheinbar in ordnung.
kotsch
Gast
die Dummheit der Mehrheit ...
fu taz
Gast
"Die Sozialdemokratisierung der CDU". Nicht zu glauben, taz.
Blauheuberg
Gast
Ein kleiner Teil des Geheimnisses ist das Menschenbild der Parteien. Gerade in der Diskussion um die Familienpolitik haben SPD, Grüne und Linke oft mit der Minderwertigkeit des Menschen argumentiert: die Qualität elterlicher Erziehung sei oftmals erheblich geringer als die Qualität professioneller, institutioneller Erziehung. Die Eltern verdürben die Chancengerechtigkeit und die Zukunft ihrer Kinder. - So gerne viele die externen Betreuungsangebote nutzen: diese Begründung verstimmt doch sehr. Da ist die Union mit ihrem plakativ ausgedrückten Vertrauen in die Eltern doch um Einiges liebenswürdiger.
Hank_the_Knife
Gast
Sozialdemokratisierung der CDU? Ich weiß nicht, ob ich heulen oder laut lachend vom Stuhl fallen soll. Ausserdem: traue keiner Umfage, die du nicht selbst gefälscht hast. Liebe TAZen: verschont eure Leser bitte mit derart System-konformen Geschwurbel. Danke.
reblek
Gast
"Die Sozialdemokratisierung der CDU schadet der SPD." - Es ist ebenso erstaunlich wie nett, dass die taz ab und zu mal darauf hinweist, was für ein Mist "Sozialdemokratisierung" ist.
Leila
Gast
An der Politik kann es nicht liegen, die ist einerseits gar nicht sozial, sondern man spricht nur davon. Den CDU-Wähler scheinen nur ihre eigenen direkten Anliegen wie Arbeitsplatzerhalt in diesen Krisenzeiten von vornehmlichem Interesse und nur deshalb wählen sie die alte CDU (die längst nicht mehr existent ist), weil man der immer noch abkauft, sie schaffe Arbeit, weil sie so wirtschaftsnah agiert.
Das ist der wahre Grund, nicht Merkel allein, denn die macht ja nicht viel Eigeninnovatives, die folgt nur dem, was ihr die Wirtschaft und Finanzwelt in die Feder diktiert. Dennoch hält sich hartnäckig die Mär von der angeblichen Wirtschaftskompentenz der Union. Übrigens: Die angebliche Kompetenz der FDP ist entlarvt. Das aber nützt nur der Union.
Dabei müsste jedem auffallen, dass in den letzten 10 Jahren sozialversicherungspflichtige Vollzeitjobs abgebaut werden zugunsten von Teil-, Leih-, Zeitarbeit, Mini-Jobs und Geringstverdiensten, die dazu noch von unser aller Steuergelder und Arbeitslosenbeiträgen subventioniert werden müssen. Das heißt im Fazit: Es wird zunehmend absurder. Wir zahlen nämlich mehr und mehr selbst für unsere Arbeit was dazu, damit wir diese prekäre Arbeit arbeiten dürfen. Wohin sind wir nur gekommen durch so viel Dummheit?
Dr.K.Heine
Gast
Es heißt doch immer "ein Volk hat seine Politiker verdient". Armes deutsches Volk. Frau Merkel kann variierenden Schwachsinn verzapfen oder übernehmen,
es zählt der "Merkel-Stempel" und Alle meinen, es wäre gut so. ....aber wohin kann man noch auswandern?
.....obwohl, Sch.... auf die Rente, die eh' schon kaum mehr etwas wert ist, bzw.unsicher ist, ob jemals ETWAS
kommen wird. Traue Keinem über 5 !!
Dr.K.Heine
Gast
Diese Republik hat ja auch auch (zu-)viele Jahre Merkels Zieh-Vater Helmut Kohl gewählt, der ihr das "Aussitzen" beigebracht hat. Ich kann dieses Gesicht nicht mehr sehen und ihre Art nicht mehr ertragen.
YersiniaPestisCholerae
Gast
rot-grün würd ich auch keinen Meter mehr weit trauen -- das ist seit der Agendapolitik und Hartz wohl vorbei. Ich kenn genug Wähler die bis zu dem Moment ewig SPD gewählt hatten, das wars dann.
man hat nur die Wahl zwischen Pest und Cholera. Beide sind für die meisten Bürger mittlerweile gemeingefährlich. Ich wähl seit ewigen Zeiten die nicht sehr erfolgreichen, aber wenig Schmerzen verursachenden Linken.
außerdem würd ich eh nur Parteien wählen, die sich jenseits des Arbeitsfetischismus ein gutes Leben für alle vorstellen können, auch wenn aufgrund von Automatisierung/Rationalisierung und ähnlichen Prozessen nunmal nicht mehr genug Arbeit für alle vorhanden ist. Das Zauberwort heißt Bürgerliches Grundeinkommen statt Zwang und Druck.
RotGrün hat die Menschen nur in die Niedrigfalle tiefer hineingedrückt, 70% der Niedriglöhner sind Frauen.
eigentlich sind die sogenannten Volksparteien alle unwählbar.
Volker hört die Signale
Gast
Sozialdemokratisierung der CDU?
Das Problem ist doch wohl eher die Freidemokratisierung der SPD!
Steinbrück hat mit der SPD und dem durchschnittlichen SPD-Wähler in etwa so viel zu tun, wie RTL mit guter Unterhaltung - da ist es kein Wunder, dass die Wähler sich lieber an andere halten.
Man muss schon ziemlich blind sein, um die strukturellen Probleme der SPD, die eigenen Wähler aufgrund völlig verfehlter Politik und Personalentscheidungen zu mobilisieren übersehen zu können und stattdessen an der Behauptung der "Sozialdemokratisierung der CDU" festzuhalten.
Als Leser fühle ich mich von dieser Behauptung in einer seriösen Zeitung, zumal in einer wie der taz, ordentlich verarscht.