Wildes Berlin: Der Hipster von nebenan
Wer oder was ein Hipster ist, wissen wir nicht. Trotzdem oder genau deshalb benutzen wir das Wort. So geht es nicht weiter.
W enn ich noch einmal das Wort „Hipster“ lese oder höre, sprenge ich irgendwas in die Luft oder haue demjenigen oder derjenigen in die Fresse. Zweimal. Mit voller Wucht. Ich ertrag es nicht mehr.
Wir, und damit meine ich die geliebten Kollegen, benutzen „Hipster“ inflationär – wie es gerade passt. Wir wissen von Hipster-Orten (Neukölln), Hipster-Filmen (Oh Boy), Hipster-Philosophen (Slavoj Žiźek), Hipster-Mode (goldene Leggins) und Hipster-Musik (eigentlich alle aktuellen Bands). Nur wer oder was ein Hipster ist, wissen wir nicht. Trotzdem oder genau deshalb benutzen wir das Wort – als ob jede Person damit etwas anfangen könnte. Von wegen.
Szenenwechsel: L. und ich am Hermannplatz. Zwei Typen zeigen mit dem Finger auf uns. Sagt der eine Langweiler zum anderen: „Voll viele Hipster hier!“ Ich reg mich auf, L. sagt: „Naja, aber irgendwie haben wir doch Attribute von Hipstern“. Das regt mich noch mehr auf. Welche Attribute sollen das denn sein?
Als Mark Greif, der junge Vorzeige-Intellektuelle aus New York, sein Buch „What was the Hipster?“ herausgab, wusste er viel über dieses neue Phänomen. Er kannte ihren Phänotyp, er wusste, dass sie apolitisch sind und was sie so denken, hören, fühlen. Was er nicht wusste: Wer oder was genau ein Hipster ist. Ist ja egal. Wieso sollte sich auch jemand den Begriff definieren und vernünftig erklären? Ist doch einfacher so.
Die alt-neue Diskussion findet keine Ende. Jack Kerouac beschrieb 1940 den Hipster als eine Art Tramper mit spirituellem Charakter. Für Norman Mailer war der Hipster ein amerikanischer Existenzialist, der ein Leben umgeben vom Tod lebt – nachzulesen in seinem Essay „The White Negro“. Was ist von dieser positiven Assoziation geblieben? Nichts.
Der Hipster ist das Feindbild unserer Gesellschaft – neben den Ausländern, den Ossis und eigentlich allen, die nicht heterosexuell sind. Doch den Hipster gibt es nicht. Er ist tot. Es gab ihn auch nie. Er ist ein konstruiertes Phänomen.
Oft wird dem Hipster nachgesagt, er sei zu sehr in der Vergangenheit verwoben. Immer in einer Art Reminiszenz. Das hat aber nichts mit einer Bewegung zu tun. Schon immer war zum Beispiel die Mode in der Vergangenheit angesiedelt. Mode ist ein zyklischer Prozess. Tendenzen wiederholen sich.
Dieser Text ist Teil der neuen taz.berlin-Wochenendausgabe. Sie erscheint am Samstag zum dritten Mal und bietet auf zwölf Seiten Recherche, Interviews, Meinung, Kolumnen und viel Kultur.
Zudem im neuen, zwölfseitigen Wochenendteil der taz.berlin:
- Auch am Grab darf gelacht werden: Interview mit einer Trauerrednerin
- Ein Porträt des Schauspielers Peter Kurth
- Der Schwerpunkt "ein Jahr Rot-Schwarz"
- Ein vierteiliger Rückblick auf die Woche
Und ja, natürlich ist meine Generation (+/- 30) von der Historie fasziniert. Wie auch nicht, wenn die Gegenwart scheiße ist. Das Hier und Jetzt ist künstlich. Wir suchen krampfhaft nach Authentizität und finden sie halt in den Filmen von Fellini, in der Musik von Arthur Russell, in der Mode der 80er und 90er.
Wenn ich meine Kollegen frage, was oder wer ein Hipster ist, antworten sie: „Menschen, die so sind wie du.“ Ach so. Als ich mit F. im Südblock sitze, mich mal wieder über den inflationären Gebrauch in unserer Zeitung aufrege und in die Luft gehen will, antwortet sie trocken: „Was willst du eigentlich sein? Hipster nicht. Hobo auch nicht. Queer sowieso nicht. Und schwul schon mal gar nicht.“ Ich hatte keine Antwort. Brauchte ich auch nicht.
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