UN-Bericht: Folter in China ohne System

UN-Sonderermittler Manfred Nowak entlastet die chinesische Regierung vom Vorwurf der systematischen Folter von Gefangenen. Folter sei zwar weit verbreitet, ginge aber vor allem auf „Individuen“ zurück, nicht auf zentrale Anweisungen

AUS PEKING GEORG BLUME
UND JOHANN VOLLMER

Zum ersten Mal überhaupt war ein Sonderermittler der Vereinten Nationen der Folter in China auf der Spur. Zwei Wochen lang konnte sich der Wiener Rechtsprofessor Manfred Nowak chinesische Gefängnisse anschauen und ohne Aufsicht mit Gefangenen reden. Dabei kam er zu einem überraschenden Ergebnis: Die Folter sei in China zwar weit verbreitet, aber nicht systematisch. Sie werde nicht von der Kommunistischen Partei angeordnet, sondern sei der Werk von „Individuen“, die unter dem Druck der Gerichte ständen, Geständnisse abzuliefern. Nowak gab gestern zum Abschluss seiner Untersuchungen in Peking eine Pressekonferenz, auf der der Eindruck entstand, nicht die Herren im Politbüro seien für die routinemäßige Elektroschockbehandlung von Verdächtigen in China verantwortlich, sondern überforderte Landpolizisten.

Nowak sparte nicht mit Lob für die chinesische Regierung. Er sprach von seinem „wohl begründeten Glauben“, dass die Regierung Anstrengungen zur Einschränkung der Folter unternehme. Zwar räumte er ein, dass sich sein Glaube nicht „präzis“ verifizieren lasse. Doch habe er Gefangene gesprochen, die von einen Verbesserung der Haftbedingungen und polizeilichen Befragungsmethoden sprachen. Er betonte den „Professionalismus“ seiner Gastgeber. „Keine meiner Anfragen wurde abgelehnt. Ich hatte Zugang zu jedem Häftling, den ich sprechen wollte“, sagte Nowak. Gleichwohl räumte er eine ständige Überwachung durch den Geheimdienst ein. Es war ihm unmöglich, Beweise aufzunehmen. Kamera und Aufnahmegerät seien bei den Gesprächen untersagt gewesen.

Ein von Nowak gestern schriftlich vorgelegter Bericht zitiert zwar die Anschuldigungen von Menschenrechtsorganisationen, dass in China „beständige und systematische Folter gegen ethnische Minderheiten, politische Dissidenten, Falun-Gong-Anhänger und Mitglieder von Kirchengruppen ausgeübt werde“. Doch macht sich der Bericht diese Anschuldigungen nicht zu eigen. Er bestätigt lediglich, dass Foltermethoden wie Elektroschocks, Zigarettenverbrennungen, das angeordnete Schlagen von Gefangenen durch Mitgefangene, Schlaf- und Nahrungsentzug in Einzelfällen angewandt wurden. Zudem folgt der Bericht der chinesischen Regierungssicht, wonach Folter in den Städten abgenommen habe und vor allem noch auf dem Lande verbreitet sei. Das entspricht einem üblichen Denkschema: Auch Umweltdelikte in China werden heute stets mit der Korruption lokaler Behörden erklärt. Nie aber ist die Zentralregierung schuld.

Offenbar ist Nowak daran gelegen, das Gespräch über Folter mit der chinesischen Regierung nicht abbrechen zu lassen. Jahrzehntelang hatte Peking UN-Ermittlungen abgelehnt, obwohl Folter seit 1996 laut chinesischem Gesetz verboten ist.

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