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Kolumne FernsehenDer Tag beginnt mit Mussolini

Jürn Kruse
Kolumne
von Jürn Kruse

Warum ziehen sich so viele halbwegs gebildete Menschen an Feiertagen den kitschigsten Müll rein, zum Beispiel „Sissi“?

Jedes jahr auf's neue: Drei Haselnüsse für Sissi bei geänderter Wagenreihung. Bild: WDR/DEGETO

E s bleibt wohl für immer ein Rätsel, warum Menschen der Meinung sind, ihren paar hundert Freunden bei Facebook mitteilen zu müssen, was sie gerade im Fernsehen schauen. Genauso wie es ungelöst bleiben wird, wie meine Freunde darauf kommen, ihren Standort preiszugeben.

An Feiertagen ist es besonders schlimm. Die Leute reisen, und wenn sie angekommen sind – natürlich inklusive auf der Fahrt abgesetztem Kommentar über die Bahn („Wieder geänderte Wagenreihung. Ich könnt kotzen. Schlimmer kann es nicht mehr werden.“ – Mutti und 17 anderen gefällt das) –, haben sie Zeit fürs Fernsehen. So verkündete eine (natürlich ganz liebe) Freundin von mir: „Sissis Liebreiz verzaubert jedes Jahr auf’s neue ...“ Darüber ein Foto ihres Fernsehers und darunter Kommentare à la „Ich schau es auch ;)“. Der Smiley zeigt die Ironie und so.

Warum ziehen sich so viele halbwegs gebildete Menschen an Feiertagen den kitschigsten Müll rein? „Sissi“? „Drei Haselnüsse für Aschenbrödel“? „Dinner for One“? Weihnachts- und Silvesteransprache von den beiden Chefs von uns allen?

Gut, dass Phoenix kurz nach der Jahrtausendwende damit angefangen hat, einen neuen Fernsehbrauch an nahezu allen Feiertagen zu etablieren: „100 Jahre – Der Countdown“. Das ist das Programm für den Weihnachtsgeplagten, der sich irgendwie Richtung Silvester schleppt.

Aufwachen, Fernseher an, „I have a dream“, „Wollt ihr den totalen Krieg?“, „Wir wählen die Freiheit“, dann stürzt die Kamera durch das Loch der pixeligen Neun auf die Erde und „Mussolinis Marsch auf Rom“ beginnt. Es folgen „Der schwarze Freitag“ von 1929, „Hitlers Machterschleichung“ 1933 und „Maos langer Marsch“. Dann gibt’s Frühstück, vielleicht ein bisschen aufräumen, sauber machen (sich selbst und die Wohnung) und dann zurück aufs Sofa zur Heimkehr der deutschen Kriegsgefangenen aus der Sowjetunion 1955.

privat
JÜRN KRUSE

ist Medienredakteur der taz.

Von 9 Uhr morgens bis kurz nach Mitternacht zeigt Phoenix irgendwann an Ostern und zwischen den Jahren die 100 Schnipsel aus den Jahren 1900 bis 1999. Das Problem: Wer schafft es schon so früh morgens vor den Fernseher? Mir fehlt deshalb das erste Jahrzehnt. Programmchef Michael Hirz hat es schon einmal versucht, mir mit einer Auflösung der Chronologie entgegenzukommen: erst 1950, am Nachmittag das Ende des Jahrhunderts und dann wieder nach 1900 springen. Doch ich hab es damals wieder erst zum 1. Weltkrieg geschafft.

Mein Weihnachtswunsch für das kommende Jahr ist übrigens folgender: Guido Knopp soll seinen baldigen Ruhestand nutzen, um aus 100 Jahren endlich 110 Jahre zu machen. Der 11. September, Krieg im Irak, Gerd Schröders Vertrauensfrage, die Bankenkrise – Stoff ist doch genug da. Wichtig ist, dass der anachronistische Vorspann bleibt, denn „100 Jahre“ verzaubert halt jedes Jahr aufs Neue.

Epilog: Ich bin mir meiner Schizophrenie bewusst, mich hier über Facebook-Meldungen zum Fernsehkonsum zu beschweren und an gleicher Stelle selbst ständig mitzuteilen, was ich gucke.

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Jürn Kruse
Ist heute: Redaktionsleiter bei Übermedien und freier Autor. War mal: Leiter des Ressorts tazzwei bei der taz. Davor: Journalistik und Politikwissenschaft in Leipzig studiert. Dazwischen: Gelernt an der Axel Springer Akademie in Berlin.
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8 Kommentare

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  • MH
    Markus Hoffmann

    Dass ein so medienunmündiger Mensch wie Jürn Kruse Medienmolumnist ist, ist eine weitere Ironie.

  • S
    Skyguy

    ... aber vielleicht hofft der Autor auch nur auf Vorkommnisse, wie sie in einem Film an Silvester um 17:10 Uhr auf RTL geschildert werden...

  • M
    Mart

    Will mich obigem Kommentar - wenn auch nciht in gleicher Schärfe - anschließen: Ist ja alles ganz nett so als verspätete Popliteraturkolumne,lieber Autor, aber auch wenn unsere Generation Golf 5 alles irgendwie ironisieren dürfen sollte, so meine ich doch, dass die gute alte Schizophrenie mit Respekt behandelt werden muss. Wie der Goldene Reiter sang, so ist diese Krankheit sicherlich mindestens genausoviel eine Störung der sozialen Umwelt, wie der des psychischen Selbsts, aber eine witzige Sache ist ne Psychose auf keinen Fall. Also wenn wir weißen, deutsch-deutschen Mittelstandskinder bildungbürgerlicher Eltern mit Tocotronicfrisur und zeitgemäßer Gesichtsbehaarung wieder mal was für alle Bioladenstammgäste Leichtverdauliches zum Schwadronieren suchen, dann aber bitte kein argloßes Wordropping, das Betroffenen wirkich übel aufstoßen kann. Sonst fällt nämlich zwangsläufig das Wort Schnösel, ganz ohne Schizophrenie.

  • R
    rolff

    Wie wäre es mit einer DVD-Sammlung?

  • PG
    Paul Gerhardt

    Besser als die menschelnde Weihnachtsansprache des BP sind o.g. Sendungen allemal.

  • DT
    Der Tag beginnt mit Fremdschämen

    Herr oder besser: Flitzpiepe Kruse fragt:

    „Warum ziehen sich so viele halbwegs gebildete Menschen an Feiertagen den kitschigsten Müll rein?“

     

    Die Frage ist ganz einfach zu beantworten. Als taz-Leser ist man das ganze Jahr über bestens über schreckliche Katastrophen, böse Politiker, böse Fernsehsender, böse Konkurrenzmedien, zwischenmenschliche Zerwürfnisse, Niedertracht, Habsucht, und… und… und… informiert.

     

    Ab und an ist ein wenig heile Welt einfach Balsam für die Seele. So einfach ist das.

     

    Zudem braucht der halbwegs gebildete taz-Leser ab und zu qualitativ hochwertige(re) Unterhaltung (z.B. Sissi, 3 Nüsse für Aschenbrödel, Dschungelcamp und Konsorten).

    Sozusagen als Kontrastprogramm zu nahezu allen taz-Kolumnen (ausgenommen der von Bettina Gaus).

     

    Und diese Kolumne „Fernsehen“ („Fremdschämen“ wäre ein passenderer Titel), dieses Paradestück einfältiger Selbstentblößung, rangiert leider ganz oben in den bundesweiten Kolumnen-Shitlisten.

  • M
    miri

    "Warum ziehen sich so viele halbwegs gebildete Menschen an Feiertagen den kitschigsten Müll rein?" -- Weil er nur dann gesendet wird, Sie Stoffel! Ich würde mir die schönen alten Filme aus der heilen Welt auch jederzeit sonst reinziehen, aber gibts ja nich!

  • MT
    Mitfühlender taz-Leser

    "Schizophrenie (von altgriechisch σχίζειν s’chizein „abspalten“ und φρήν phrēn „Seele, Zwerchfell“) ist eine schwere psychische Erkrankung. Sie ist durch Störungen des Denkens, der Wahrnehmung und der Affektivität gekennzeichnet."

     

    Da der Autor sich offensichtlich darüber bewußt ist, an einer schweren psychichen Erkrankung zu leiden, bleibt zu hoffen, dass er daraus die Konsequenzen zieht und sich in ärztliche Behandlung begibt.

     

    Das hätte auch für den gequälten Leser Vorteile: Künftig würde er von dem geistigen Sondermüll (könnte eine Folge der Erkrankung sein), den der Autor produziert, verschont werden.

     

    Oder sollte ich mich täuschen? Vielleicht leidet der bedauernswerte Autor gar nicht an einer schwerwiegenden psychischen Erkrankung sondern nur an besorgniserregender Dummheit, die er unter anderem eindrucksvoll durch den völlig falschen und verharmlosenden Gebrauch des Wortes "Schizophrenie" demonstriert?

     

    Übrigens: Nein. Dieser Artikel ist mir selbstverständlich keinen Cent wert.