Kachin-Konflikt in Birma eskaliert: „Trainingsflüge“ gegen Minderheiten
Birmas Luftwaffe fliegt Angriffe auf Stellungen der „Kachin Independence Army“. Ban Ki Moon fordert das Ende der Gewalt. Von Reformen ist nichts zu spüren.
BANGKOK taz | Für die Menschen in Birmas Kachin-Bundesstaat sind Gewalt und Krieg Alltag. Jetzt hat sich der Konflikt zwischen Regierungstruppen und den Rebellen der ethnischen Kachin-Minderheit, der „Kachin Independence Army“ (KIA), nochmals verschärft: Seit Tagen berichten lokale Quellen von Luftangriffen der Armee auf KIA-Stellungen. Vor allem die grenznahe Region bei Laiza, wo sich das KIA-Hauptquartier befindet, kam unter Beschuss durch Kampfjets und -hubschrauber.
UN-Generalsekretär Ban Ki Moon hat das Vorgehen der Armee verurteilt: Birmas Militär müsse die Angriffe stoppen und eine faire und nachhaltige Lösung für den Konflikt finden. Ebenfalls besorgt äußerte sich das US-Außenministerium und sprach von einer neuen Eskalation. Sogar einen diplomatischen Rüffel seines langjährigen Verbündeten China handelte sich Birma ein: Mehrere Bomben seien auf chinesischem Gebiet gelandet, wogegen China formal protestiert habe, erklärte eine Sprecherin des Außenministeriums in Peking am Freitag.
Die Luftangriffe werfen die Frage auf, inwieweit die quasi-zivile Regierung des seit März 2011 amtierenden Präsidenten und Ex-Generals Thein Sein wirklich das Militär kontrolliert. Berichten zufolge soll der international für seinen Reformkurs viel gelobte Präsident vergeblich einen Stopp der Bombardements befohlen haben. Schon in der Vergangenheit soll er die Armee angewiesen haben, Angriffe auf die Kachin einzustellen. Doch diese hatte das ignoriert.
Auch stellt sich die Frage, wie viel Rückgrat die Regierung angesichts ihres Schlingerkurses besitzt: Das Militär hat die Luftangriffe mittlerweile sogar eingeräumt und damit der eigenen Regierung widersprochen, die den Einsatz von Kampfjets herunterspielte und diese vielmehr als „Trainingsflüge“ bezeichnet hat.
„Selbstverteidigung“ der staatlichen Truppen
Am Freitag musste ein neues Argument her: In ihrer Stellungnahme spricht die Regierung plötzlich von „Selbstverteidigung“ der staatlichen Truppen, denn die Kachin-Rebellen zerstörten Infrastruktur, überfielen Militärkonvois und bedrohten die Bevölkerung. Dabei sei die Armee mit „größtmöglicher Zurückhaltung“ vorgegangen. Für die Kachin klingt das wie Hohn.
In einem Brief an die renommierte „International Crisis Group“ (ICG) forderten Kachin-Netzwerke die Organisation auf, Abstand davon zu nehmen, Thein Sein wie angekündigt im April den ICG-Friedenspreis zu verleihen: „Trotz wachsender Beweise, dass das Militär immer mehr hoch entwickelte Waffen gegen das eigene Volk einsetzt, reagiert die Regierung nicht nur mit Trivialisierung, sondern mit offenen Lügen“, heißt es. Im Büro des Präsidenten habe man erklärt, die jetzigen Kämpfe seien nicht gravierend, während ein Vertreter des Militärs im Parlament behauptet habe, es gebe überhaupt keine Attacken gegen die KIA.
Die Kämpfe waren im Juni 2011 ausgebrochen, als Regierungstruppen eine Offensive gegen die Kachin gestartet hatten. Dadurch zerbrach ein 17 Jahre alter Waffenstillstand. Bis zu 100.000 Menschen wurden vertrieben. Menschenrechtler werfen Birmas Militär Morde, Folter, Vergewaltigungen und andere Gewalt gegen Zivilisten vor. Diese Gräuel hatte Thein Sein im September bei seinem USA-Besuch, wo er vor der UN-Vollversammlung sprach, in einem BBC-Interview geleugnet. Die Regierung vereinbarte mit etlichen Rebellengruppen Waffenruhen. Mit den Kachin sind alle Verhandlungen gescheitert. Die Aussichten auf Frieden dürften geringer sein als je zuvor.
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