DFL-Geschäftsführer Andreas Rettig: „Ich bin froh, dass es die Ultras gibt“
Der neue DFL-Geschäftsführer Andreas Rettig fordert Vereine, Fans und Polizei auf, ihre Machtspielchen zu beenden. Er fühlt sich im Stadion sicher.
taz: Herr Rettig, manche Politiker stellen Ihre Amtszeit unter ein Leitmotiv. Haben Sie auch eines?
Andreas Rettig: Nur gemeinsam geht’s. Das gilt sowohl für das Miteinander von DFL und DFB als auch für unser Verhältnis zu den Fans.
Zuletzt war die Debatte um die Sicherheit in den Stadien allerdings reichlich verfahren.
Das Problem ist, dass jeder seinen Ausschnitt wahrnimmt und meist auch legitime Interessen hat. Die große Kunst wird es sein, dass alle aus der Vogelperspektive auf die Probleme draufschauen.
Zumal viele Fans bestreiten, dass es überhaupt ein Sicherheitsproblem gibt. Der Internet-Aufruf „ich fühl’ mich sicher“ wurde zigtausendfach unterschrieben.
Den hätte ich auch unterschrieben! Was uns wirklich Kummer bereitet, betrifft ja auch nur einen kleinen Teil der Zuschauer. Das gilt auch für die umstrittensten Maßnahmen wie die Kontrollen in separaten Zelten: Selbst beim Spiel Bayern München gegen Frankfurt, bei dem die Kontrollen so hohe Wellen geschlagen haben, wurden maximal 30 Leute untersucht. Und keiner von denen musste sich auf die Unterhose ausziehen. Ich sage aber auch: Von allen Seiten wurde nicht so kommuniziert, wie das im Sinne einer Deeskalation hilfreich ist.
ANDREAS RETTIG, 49, ist seit dem 1. Januar 2013 Geschäftsführer der Deutschen Fußball-Liga (DFL). Zuvor war er als Manager beim SC Freiburg (1998–2002), beim 1. FC Köln (2002–2005) und dem FC Augsburg (2006–2011) tätig.
Und danach haben Vereine, Fans und Polizei ihre Sicht der Dinge ventiliert. Schuld waren die jeweils anderen.
Das ist die selektive Wahrnehmung, die wir aufbrechen müssen. Die Fan-Vertreter haben damals nur über die Zeltkontrollen geklagt. Der Veranstalter hat vor allem hervorgehoben, dass er dank der verschärften Sicherheitsmaßnahmen Messer, Schlagringe und andere Waffen entdeckt habe – und dabei verschwiegen, dass die Waffen nicht in den Zelten gefunden wurden. Das eigentliche Thema, dass nämlich bei einem Fußballspiel mehr als ein Dutzend Messer gefunden wurden, ging dabei völlig unter.
Ein Glück, mag mancher sagen, Otto Normalverbraucher glaubt ja schon ohne konkreten Anlass, dass Stadien lebensgefährliche Orte sind.
Stimmt, die öffentliche Wahrnehmung hat zurzeit wenig mit der Realität zu tun.
Wie erklären Sie sich das?
Nehmen Sie den Platzsturm in Düsseldorf. Da gingen Bilder um die Welt, die als Symbol für Gewalt gewertet wurden. Dabei gab es gar keine Gewalttaten. Das war ein Ausdruck von Freude, auch wenn Platzstürme und der Gebrauch von Pyrotechnik natürlich grundsätzlich zu verurteilen sind. Ich habe allerdings auch den Eindruck, dass zuletzt viele über Sicherheit geredet haben, die mit dem Schirm in die VIP-Loge eskortiert werden.
Wieder so eine selektive Wahrnehmung.
Unbedingt. Heute herrscht Druck in den Familien. Die Lehrer resignieren zunehmend. Weder Polizei noch Schiedsrichter werden als Autorität wahrgenommen, die Kirchen schon gar nicht. Zudem gibt es eine große Politikverdrossenheit. Ich glaube, die Bedeutung der Ultras rührt auch daher, dass sie eine Anlaufstelle sind – in Zeiten, in denen vieles erodiert. In dieser Gruppe hält man zusammen und geht durch dick und dünn. Also verrät man seine Kumpels auch nicht.
Klingt nach Ganovenehre.
So meine ich das aber nicht. Ich bin sogar froh, dass es die Ultras gibt – solange sie sich an den gesetzlichen Rahmen halten. Was mich allerdings stört: Ich kann nicht aus meinem Engagement ableiten, dass ich mich überhöhen darf, und anderen absprechen, echte Fans zu sein.
Ein echtes Problem hatte die DFL mit dem Konzept „Sicheres Stadionerlebnis“, das die Fankurven bundesweit ablehnten. Dabei steht darin nichts Bahnbrechendes. Ziemlich viel Ärger für ein Papier, das offenbar vor allem die Politik besänftigen sollte.
Ich kann nicht bestreiten, dass es auch politischen Druck gab, aber wir haben den an den entsprechenden Stellen durchaus zurückgewiesen. Politiker sollten sich auf ihre Kernkompetenz konzentrieren und den Fußball den Fachleuten überlassen.
Die Schärfe kam also nicht zuletzt durch mediale Überzeichnungen und den Druck der Politik zustande?
Stimmt.
Warum dann also das Papier?
Weil es viel Positives beinhaltet, denken Sie an die Qualifizierung der Ordnungsdienste. Die richtig neuen Dinge sind ja die positiven, alles andere war schon vorher möglich. Ich glaube, das Papier hatte bei den Protesten eher eine Stellvertreterfunktion. Ich habe aber den Eindruck, dass sich in der Winterpause alle Beteiligten ein wenig beruhigt haben und dass wir uns jetzt besonnener unterhalten können. Alle Seiten sollten jetzt die Machtspielchen beenden.
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