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Gymnasial-Mutter über die Tyrannei der Schule"Der Stress führt zum Burnout"

Mareile Kirsch droht dem Hamburger Senat mit einem Volksentscheid. Vehement fordert sie die Rückkehr zum neunjährigen Gymnasium für alle, die wollen.

Wegen 45-Stunden-Woche: Mareile Kirsch fordert, dass Eltern für ihre Kinder auch das neunjährige Abitur wählen können. Bild: dpa
Kaija Kutter
Interview von Kaija Kutter

taz: Frau Kirsch, Sie kämpfen seit zehn Jahren in Hamburg gegen die Schulzeitverkürzung an Gymnasien. Auf einmal hören Ihnen alle zu. Was ist passiert?

Mareile Kirsch: Ich habe eine Online-Petition gestartet, die sehr viel Zuspruch findet. Es zeigt sich, dass viele Eltern diesen Zwang zum achtjährigen Gymnasium (G8) nicht mehr wollen. In nur fünf Tagen erhielten wir 2.592 Unterschriften.

Und Sie drohen mit einer Schul-Volksinitiative. So etwas schreckt in Hamburg Politiker auf, weil 2010 so die Primarschule gestoppt wurde.

Wir bereiten das vor. Wir warten aber erstmal ab, ob die Politik auf die Petition reagiert. Wir möchten, dass Eltern ähnlich wie in Schleswig-Holstein, Hessen oder Baden-Württemberg eine Wahl zwischen G8 und G9 haben.

Hamburgs Schulsenator Ties Rabe (SPD) warnt, Sie zettelten ohne Not einen Schulstreit an. Das G8 habe sich bewährt.

Das stimmt nicht. Nicht umsonst sind 80 Prozent der Eltern laut einer Emnid-Umfrage dagegen. Die Kinder haben 45-Stunden-Wochen, wenn man Hausaufgaben einrechnet, und kaum Freizeit. Ein Vater sagte mir: „Die Schule tyrannisiert unsere Familie“. Eine Mutter berichtet von ihrem Sohn, der gute Noten hat, aber weinend zur Schule geht. Meine Tochter war im ersten G8-Jahrgang der 2010 Abitur machte. In ihrem Umfeld haben sich alle Befürchtungen bewahrheitet. Nach der Schule kommt das verkürzte Bachelor-Studium. All der Stress führt früher oder später zum Burnout.

Aber es gibt in Hamburg doch weiter das neunjährige Abitur an den Stadtteilschulen. Ist es nicht snobistisch, dies als Alternative abzulehnen?

Das hat mit Snobismus nichts zu tun. Die Stadtteilschule soll eine tolle Schule werden. Sie hat einen anderen Bildungsauftrag. Sie soll auf den Beruf vorbereiten und das Abitur vorhalten. Das Gymnasium hat das Profil einer vertiefenden Allgemeinbildung und dient der Vorbereitung auf die Hochschule. Für die braucht man Zeit. Die will ich nicht geschrumpft sehen, indem man Bildungspläne entschlackt.

Im Interview: 

Mareile Kirsch

ist Journalistin, Ethnologin und hat zwei Kinder. Sie war Mitglied der Initiative "Wir wollen lernen", die 2010 die Schulreform in Hamburg stoppte.

Die Vereinigung der Gymnasialschulleiter ist gegen Ihren Vorstoß. Eine Aufweichung des G8 werde zu einer „auch für die Gymnasien höchst problematischen Schwächung der Stadtteilschule führen“. Sehen Sie nicht auch einen Vorteil darin, wenn bildungsorientierte Eltern ihr Kind zur Stadtteilschule schicken?

Ich verstehe den Ansatz. Aber es kann nicht sein, dass man dazu gezwungen wird. Ich bin selber Förderkraft an einer Stadtteilschule und sehe, dass die dicke Probleme haben. Zum Beispiel, weil die Inklusion nicht ausreichend mit Ressourcen hinterlegt ist und die Kinder dort nicht die nötige Förderung erhalten. Die Stadtteilschule hat Probleme, das spricht sich rum. Die Gymnasien sind einfach attraktiv, auch für Familien mit Migrationshintergrund.

Rabe sagt, dass mehr Schüler denn je Abitur machen.

Das passiert trotz des G8.

CDU für Runden Tisch

Wahlkampf-Thema ist das Turbo-Abitur in Niedersachsen . Denn dort sind auch die Gesamtschulen gezwungen, die Lernzeit bis zum Abitur von 13 auf auf zwölf Jahre zu verkürzen. Einen Ausweg wie die "Stadtteilschule" in Hamburg oder die "Oberschule" in Bremen gibt es nicht.

Stoppen würde die SPD diese Reform, die erst bis zur Klasse 6 hochgewachsen ist, im Fall eines Wahlsiegs.

CDU-Spitzenkandidat David McAllister greift das Thema nun auf. Er lädt Eltern, Lehrer und Schüler optimistisch für die Zeit nach der Wahl zum "Runden Tisch" ein, um darüber zu reden, "wie wir die Unterrichtsinhalte entfrachten können".

Die Grünen nennen dies ein "billig-Last-Minute-Angebot", das zehn Jahre zu spät komme. McAllister fürchte wohl bei der Wahl die Quittung für seine Schulpolitik.

Auch Die Linke spricht vom "Wahlkampftrick". Beide würden das 13. Jahr an Gesamtschulen und Gymnasien wieder zulassen.

Und dass die Leistungen besser sind.

Das bezweifeln wir. Die Studien dazu legt er nicht offen.

Und es gebe Chaos. Gymnasien würden über Jahre zur Reformbaustelle.

Das sind alles Nebelwolken. G8 wurde ja auch damals ad hoc eingeführt. Es muss gar nicht so viel geändert werden. Die Bildungspläne sind die gleichen geblieben, die Lehrbücher, die Klassenräume und Gebäude auch.

Was macht Sie so sicher, dass Ihr Vorhaben Erfolg hat. In Niedersachsen ist gerade eine Volksinitiative zur Rückkehr zum G9 gescheitert.

Die haben das mit zu viel anderem vermischt. Das darf man nicht. Wir konzentrieren uns ganz auf diese eine Forderung, um viele Eltern anzusprechen.

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5 Kommentare

 / 
  • KP
    Kim Possible

    Berufsausbildung und Studium werden immer mehr zu einem sowohl als auch. Es gibt duale Studiengänge oder Aufbaustudiengänge. Die reinen Wissenschaften sind nur noch ein kleiner Teil der Hochschulen.

     

    Die Unterteilung in Intellektuelle auf dem Gymnasium und Praktiker auf den Stadtteilschulen passt somit nicht. Die Gymnasien müssten dafür noch deutlich schrumpfen.

     

    Gymnasium ist der schnellere Weg zum Abschluss für die schnellen Schüler. Das sind nicht die intelligenteren Schüler und erst Recht nicht die besseren Menschen. Nur schneller!

     

    Es fällt schwer, Frau Kirsch zu glauben, dass es hier nicht darum geht angestammte Bereiche des Bildungsbürgertums zu verteitigen.

     

    Schulen müssen natürlich besser ausgestattet werden, das steht auf einem anderen Blatt!!

  • SD
    Schuhe des Fischers

    Es gibt eine immer stärkere Tendenz zu "ehrgeizigen" Eltern, die alle möglichen Wünsche in ihre Kinder hineinprojizieren und sie damit unter Druck setzen - und wenn dann der Stress ausbricht, ist natürlich die Schule schuld.

     

    Ich hatte im alten G9-System kaum mehr als 30 Stunden pro Woche bis zur Oberstufe und das 11. Schuljahr war praktisch überflüssig (Schüler, die es ausgelassen haben, brauchten fast nichts nachzuholen). Beim Abi war ich dann fast 20.

     

    Durch die Beschleunigung ist G8 ist im Grundsatz eine vernünftige Sache. Allerdings glaube ich gern, dass es an vielen Stellen noch Justierungsbedarf gibt. Eltern sollten sich aber eher dafür einsetzen, dass bestehende System sinnvoll zu verbessern (z.B. durch Entschlackung der Lehrpläne, bessere Verzahnung mit außerschulischen Angeboten etc.), als immer gleich auf Konfrontationskurs zu gehen. Das ewige Herumdoktern am Schulsystem in Hamburg (und anderswo) muss irgendwann mal aufhören.

  • E
    Eva

    Frau Kirsch sagte:"Das hat mit Snobismus nichts zu tun. Die Stadtteilschule soll eine tolle Schule werden. Sie hat einen anderen Bildungsauftrag. Sie soll auf den Beruf vorbereiten und das Abitur vorhalten. Das Gymnasium hat das Profil einer vertiefenden Allgemeinbildung und dient der Vorbereitung auf die Hochschule."

     

    Ich möchte mal aus dem Schulgesetz zitieren: §17:

    "(2) Das Gymnasium vermittelt seinen Schülerinnen und Schülern eine vertiefte allgemeine

    Bildung und ermöglicht ihnen entsprechend ihren Leistungen und Neigungen

    eine Schwerpunktbildung, die sie befähigt, nach Maßgabe der Abschlüsse ihren

    Bildungsweg an einer Hochschule oder in berufsqualifizierenden Bildungsgängen

    fortzusetzen."

     

    und $15:

    "(2) Die Stadtteilschule vermittelt ihren Schülerinnen und Schülern eine grundlegende

    und vertiefte allgemeine Bildung und ermöglicht ihnen entsprechend ihren Leistungen

    und Neigungen eine Schwerpunktbildung, die sie befähigt, nach Maßgabe

    der Abschlüsse ihren Bildungsweg an einer Hochschule oder in berufsqualifizierenden

    Bildungsgängen fortzusetzen."

     

    Den so unterschiedlichen Bildungsauftrag sehe ich nicht. Die Stadtteilschule soll genauso auf die Hochschulreife vorbereiten wie das Gymnasium. Und das Gymnasium soll ebenso berufsqualifizierend bilden. Im Übrigen war es Wunsch der Initiative "Wir wollen lernen" um Herrn Scheuerl (so viel ich weiß), dass im Schulgesetz steht, dass auch das Gymnasium eine grundlegende Bildung vermittelt.

     

    Also wohl doch Snobismus. Sonst müssten ja ihre Kinder für ein G9 Abitur mit I-Schülern in einer Klasse sitzen und das geht gar nicht.

  • G
    G2Abi1985

    Habe 1985 Abi gemacht, als erster Jahrgang, der nur 2 (!) Jahre Zeit dafür hatte. Bis zur 10.Klasse gemeinsames Lernen.

    Die Abi-Zeit war meine schönste Zeit, Motorsport ohne Ende. Abschluss mit 1,1.

    Wir waren der beste Abi-Jahrgang nach einheitlicher Beurteilung des Lehrerkollegiums - einer 200 Jahre alten Traditionsschule mit knallharten Standards.

    Der Abi-Erfolg sollte nicht herbei gepaukt werden, besser ein guter Beruf als ein schlechtes Studium.

    Und: G8 ist ein bundesweiter Standard, endlich mal keine Kleinstaaterei.

  • K
    karlus

    Ich finde G8 richtig, denn es zwingt

    dazu Didaktiken zu überarbeiten,

    neue Schulorganisationskonzepte aufzubauen,

    LehrerInnen auf Effizienz nachzutrimmen

    und für bestimmte Fächer eher einen projekt-,

    als einen Auswendiglernansatz zu finden.

     

    Insbesondere das Bildungssystem muss endlich

    Lerninhalte an die neuen medialen Möglichkeiten

    anpassen und wieder für erfolgreiche JUNGEN-generationen sorgen, damit wir als Gesellschaft den

    Bevölkerungsschwundtrend endlich umkehren können.

     

    Investitionen in das Schuldesign sind hierbei

    wünschenswert, aber überhaupt nicht ausschlaggebend.

    Im Gegenteil die exorbitanten Kosten sind wenig

    mit der Leistung korreliert, wenn man sich im Vergleich andere Pisagewinnerländer ansieht.

    Am wichtigsten ist, die neue Didaktikgestaltung

    und das friedliche, mobbingfreie Lernen mit

    ausgeglichenen, fairen, liebenswerten Lehrkräften.

    Die autodidaktischen Lernmöglichkeiten parallel

    zu personenzentrierten Unterricht und ein

    aktives Vereinsleben müssen gefordert werden.

     

    Das Abitur ist noch kein Berufsabschluss.

    Die Kinder verschleißen tatsächlich zu stark

    bevor sie irgendetwas wichtiges erreicht haben!

    Wichtig ist die Kommunikation zu vereinfachen und

    mit viel redundanten Lernmöglichkeiten auszustatten.

     

    Die Antragstellerin macht den Fehler, dass etliche Kinder auch die Schule schnell hinter sich haben wollen und nicht ewig dem dortigen Milieu ausgeliefert sein wollen.

    Stadtteilschulen brauchen letzlich Lehrkräfte

    die ebenso qualifiziert sind, wie die an

    Gymnasien, um die Chancengleichheit herzustellen

    und abiturfähiges Lehrmaterial, welches sie nicht

    nach Gutdünken der Lehrkräfte, sondern auf

    eigenen Wunsch hin, bekommen.

     

    Mareile Kirsch glaubt letzlich nicht mehr an die

    Reformationsfähigkeit der Schule.

    Das die besagten Studien allerdings nicht

    freigegeben werden von McAlister, ist tatsächlich

    eine Unverschämtheit!!!

    Ganz besonders das Bildungssystem der Schulen,

    benötigt dringend eine objektivere

    Effizienzgestaltung, Wissenserfahrbarkeit

    und soziale Kompetenzschulung besonders bei Jungen.

    Die bisher dargelegte Ineffizienz ist

    eine Bedrohung für den deutschen Fortbestand!