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VersammlungsgesetzMini-Eklat am Mittwochabend

Der Rechtsausschuss stimmt einem Gesetz zu, das polizeiliches Filmen auf Demos grundsätzlich erlauben soll. Die Opposition verlässt aus Protest den Saal.

Nur böse gucken reicht offenbar nicht: Polizisten bei der Revolutionären Mai-Demo, hier Kollegen aus NRW. Bild: dapd

Es passiert doch noch etwas in dieser sonst so zähen Ausschusssitzung am Mittwochabend: Die Grünen, die Linken und Piraten verlassen den Rechtsausschuss vorzeitig - um dagegen zu protestieren, dass die Koalition eine wichtige Gesetzesänderung eben noch schnell abhaken will. Es geht um so genannte Übersichtsaufnahmen bei Versammlungen, also um die Frage, ob die Polizei bei Demonstrationen auch ohne konkreten Anlass filmen darf.

„Es ist eine Unverschämtheit, dass um zehn vor sechs über eine so wichtige Gesetzesänderung beraten werden soll“, sagt Klaus Lederer von der Linkspartei, bevor er der den Saal verlässt. Er und Benedikt Lux (Grüne) hatten eine Sondersitzung für den Rechtsausschuss gefordert, in der das Gesetz in Ruhe beraten werden soll. Sie werfen den Ausschussmitgliedern von CDU und SPD vor, die Sitzung in die Länge gezogen zu haben, um das umstrittene Gesetz am Ende schnell abhaken zu können.

Im halb leeren Saal machen CDU und SPD weiter im Programm. „Wir wollen ja eine ordnungsgemäße Beratung der Grundlage“, sagt Sven Kohlmeier von der SPD. Es gehe um eine "Übersichtsaufnahme von einem höheren Standort, so dass einzelne Gesichter nicht zu erkennen sind.“

Aktuell darf die Polizei auf Demos nur filmen, wenn von den Teilnehmern mutmaßlich eine erhebliche Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung ausgeht. So entschied es das Verwaltungsgericht im Jahr 2010. Nun soll das Filmen grundsätzlich möglich sein. Laut dem von Innensenator Frank Henkel (CDU) vorgelegten Gesetzentwurf geht es darum, Einsätze mit Übersichtsaufnahmen besser koordinieren zu können, nicht um individualisierbare Aufnahmen einzelner Demo-Teilnehmer. Das Gesetz verbietet denn auch, die Aufnahmen zu speichern.

Kohlmeier empfiehlt zu prüfen, ob die Aufnahmen aus Transparenzgründen kenntlich gemacht werden können. Er denkt an deutlich sichtbare Westen, die der Kameramann tragen könnte. Schließlich wird abgestimmt, das Ergebnis ist einstimmig, mangels Opposition im Saal.

„Wenn es um Überwachung geht, ist die Koalition ganz schnell“, sagt Benedikt Lux am Rande der Veranstaltung der taz. Es könne aber nicht ausgeschlossen werden, dass mit den Aufnahmen doch einzelne Teilnehmer erkennbar sind. Außerdem schließe der Entwurf nicht aus, dass Drohnen zum Filmen eingesetzt werden. Der Gesetzentwurf muss jetzt im Innenausschuss beraten werden.

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8 Kommentare

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  • M
    moffke

    ..."wenn von den Teilnehmern mutmaßlich eine erhebliche Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung ausgeht." Sicher ist, dass auf jeder Demo die grösste Gefahr immer erst einmal von der in zivil und uniform versammelten Polizei ausgeht. Daher müssten alle Kameraaugen auf den grössten anzunehmenden Dauer-Intensivgewalttäter gerichtet sein. Nur eine permanente öffentlichkeitswirksame Kontrolle kann Polizisten überhaupt von Straftaten abhalten. Die persönliche Kennzeichnung reicht noch nicht aus, um Berlin demokratiesicher zu machen. Das preußische Gewalterbe drückt noch viel zu lange nach.

  • S
    supporter

    "Gutes Bild - leider ohne Creative-Commons-Lizenz. Da lohnt dann der finanzielle und/oder zeitliche Aufwand nicht. D. Red."

     

    Wie weit ist es denn schon gekommen wenn die Taz nicht mehr bereit ist Fotograf_innen für ihre Arbeit zu entlohnen?!

    Selbstverständlich entlohnen wir die FotografInnen, die für unsere Printausgabe arbeiten, ebenso bezahlen wir die Bildagenturen für ihr Material, auch das, welches online erscheint. Damit ist unser Budget aber auch erschöpft, will sagen: Lizenzen für lediglich online erscheinende Fotos können wir uns zurzeit nicht leisten, da müssen wir eben auf Agenturmaterial zurückgreifen, für das Pauschalen entrichtet werden. Viele Grüße, d. Red.

  • O
    Orwell

    Der Innensenator Henkel (CDU) und die Spezialdemokraten

    sollten sich endlich mal um die massenhaften Wohnungseinbrüche in Berlin kümmern und diese effektiv bekämpfen. Das wäre mal eine eminent wichtige Aufgabe!

     

    Aber Bürgerinnen und Bürger wie Strafgefangene per Video zu überwachen, die lediglich ihr Verfassungsrecht auf Demonstrationsfreiheit wahrnehmen, ist nicht akzeptabel.

     

    Die schwarz-gelbe Bundesregierung will am 30. Januar allen Ernstes per Gesetz beschließen, dass Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer wie Strafgefangene per Video am Arbeitsplatz gefilmt werden. Wer dagegen demonstriert wird dann vom rot-schwarzen Berliner Senat gefilmt.

     

    Super. SPD, CDU und FDP etablieren den Überwachungsstaat.

     

    stellen Sie sich vor, Sie werden an Ihrem Arbeitsplatz von einer Kamera gefilmt. Sie haben das Gefühl, Ihr Chef weiß mehr über Sie, als er sollte. Und beim nächsten Vorstellungsgespräch werden Sie mit detaillierten Informationen von früheren Arbeitgebern konfrontiert. Wenn die Bundesregierung ihr "Beschäftigtendatenschutzgesetz" durch den Bundestag bekommt, könnte die Realität diesem Szenario erschreckend nahe kommen.

     

    Völlig überraschend hat die Regierung Anfang des Jahres den Gesetzesentwurf dem Bundestag vorgelegt. Sofort erntete sie einen Sturm der Entrüstung von Datenschutzbeauftragten und Gewerkschaften. Der federführende Innenausschuss verschob die Beratung - auf kommenden Mittwoch. Das ist unsere Chance: Bis dahin wollen wir mindestens 75.000 Menschen hinter unserem Appell versammeln. Helfen Sie mit, das Gesetz zu Fall zu bringen!

     

    Appell zum Unterzeichnen:

    https://www.campact.de/arbeitnehmerdatenschutz/appell/?_mv=Fj9yLyAxUIkun4GyAiOdy

     

    "Das neue Gesetz würde zwar geheime Videoüberwachung à la Lidl verbieten, gleichzeitig aber die offene Videoüberwachung am Arbeitsplatz massiv ausweiten. Unternehmen könnten durch Screening alle möglichen Daten ihrer Beschäftigten auf Auffälligkeiten abgleichen: Etwa Stammdaten oder Stempelzeiten, aber auch E-Mails oder Internetzugriffe. Und sie dürften beim bloßen Verdacht einer Straftat solche Beschäftigtendaten sowohl konkreten Personen zuordnen, als auch ohne deren Kenntnis sammeln.

     

    Während das Gesetz die Befugnisse von Unternehmen ausweitet, kümmert es sich nicht um den Schutz von Beschäftigten. Ein Klagerecht für Betriebs- und Personalräte ist nicht im Gesetz enthalten. Das erschwert ihnen, Beschäftigte zu unterstützen - selbst wenn jemand Opfer von illegaler Überwachung wurde.

     

    Die Kritikpunkte sind so zahlreich, dass mit kosmetischen Korrekturen nicht geholfen ist: Der Bundestag muss den Gesetzesentwurf abweisen."

  • B
    boeseraltermann

    Das Bild passt wieder mal so garnicht zum Thema.Da fänd ich das hier schon passender:

     

    http://www.flickr.com/photos/boeseraltermannberlin/6110307579/in/set-72157627586854106

     

    Ganz selbstverständlich alles filmen und dabei jemütlich eene quarzen.Das passt in Berlin genauso.

    Gutes Bild - leider ohne Creative-Commons-Lizenz. Da lohnt dann der finanzielle und/oder zeitliche Aufwand nicht. D. Red.

  • D
    Dagewesene

    Der Herr Lux soll mal seine Backen nicht so aufblasen. Er hat ja bei dieser Protestaktion den Raum gar nicht verlassen, sondern stand brav für Presse-Statements bereit.

  • M
    Murphy

    Es ist eigentlich völlig egal, wofür gefilmt werden soll und wie lange die Aufnahme vorgehalten werden sollen.

    Wie das Verwaltungsgericht Berlin, VG 1K 905.09 ausführte ist es ausreichend, wenn Versammlungsteilnehmer (VT) damit rechnen müssen, aufgezeichnet und registriert zu werden. Dies könne VT vom Begleiten einer entsprechenden Veranstaltung abschrecken oder zu ungewollten Verhaltensweisen zwingen, um den beobachtenden Polizeibeamten möglicherweise gerecht zu werden. Durch diese Einschüchterung könnte mittelbar auf den Prozess der Meinungsbildung und demokratischen Auseinandersetzung eingewirkt werden.

    Die Berliner Polizei hatte ihre Aufnahmen damit gerechtfertigt haben, sie seien zur Einsatzlenkung und für die Verkehrssicherheit erforderlich. (Vergl. Argumentation Innensenator Frank Henkel / CDU)

    Ähnlich argumentiert das Oberverwaltungsgericht Münster. Das OVG hat mit Beschluss vom 23.11.2010 (Az.: 5 A 2288/09) ein Urteil des Verwaltungsgerichts Münster bestätigt, wonach die Polizei bei Versammlungen nicht anlassunabhängig filmen darf.

    Beide Urteile stärken hier die Polizeifestigkeit des Versammlungsrechts, auch wenn das von CDU und SPD in Berlin keiner wahrnehmen will.

  • B
    Brandeis

    Das ist mal wieder so typisch... Auf der einen Seite einen Peseudo-Datenschutz für Beschäftigtendaten (in den die eine oder andere Aufweichung eingebaut wird) vorantreiben, und dann hintenherum den Datenschutz sturmreif schießen (Meldegesetz, Videoüberwachung bei Demos). Klar, die Rechtsprechung lässt zurzeit Überwachung zu Koordinationszwecken zu, wenn keine Personen identifiziert werden können. Ich wette aber, ohne den konkreten Entwurf zu kennen, dass das hier schon wieder weitergeht. Hinterher heißt es wieder, man würde nur die Rechtsprechung kodifizieren. Dann dauert es fünf Jahre bis das BVerfG ein sowohl als auch Urteil fällt. Und dann ist der Bürger am Ende des Tages mal wieder der Gekniffene. Same shit, different day...

  • B
    BAReFOOt

    Wann spricht es endlich jemand öffentlich aus: Diese CDU-/SPD/FDP-Politiker, die ganz offen und ohne Scham regelmäßig und *systematisch* gegen das Grundgesetz verstoßen, sind *Staatsfeinde*. Sie begehen Hochverrat am Volk und lassen die NPD und DVU wie Waisenknaben aussehen. Denn selbst die trauen sich nicht, ein derartiges Niveau an totalitärem verfassungsfeindlichem Extremismus zu zeigen, und sogar als „normal“ zu behandeln.

     

    Diese Leute verdienen ein Verfahren vor dem obersten Gerichtshof und Gefängnis oder Exil auf 10+ Jahre. (Standarddauer für Hochverrat und dergleichen Kapitalverbrechen.) Und sonst nichts.