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Theater in HamburgShakespeare auf Klassenreise

Seit 15 Jahren bildet Astrid Eggers behinderte Menschen zu Schauspielern aus. Im Jubiläumsjahr bringt ihr Ensemble den "Crazy Sommernachtstraum" auf die Bühne.

Astrid Eggers im Einsatz: Die DarstellerInnen werden geschminkt. Bild: Jens Wiesner

HAMBURG taz | Emily Willkomm trägt eine lockige Langhaarperücke und ist in ein glitzerndes Kleid gehüllt – sie spielt die Feenkönigin. Langsam wird sie in den Saal geschoben. Emily sitzt im Rollstuhl. Ihr Mund ist weit geöffnet, ihr Blick wandert umher. Sie kann nicht sprechen. Und doch ist sie Teil des Ensembles des Klabauter-Theaters in Hamburg.

Vor 15 Jahren hat Astrid Eggers das Theater gegründet. Für die Stiftung „Das Rauhe Haus“ bildet sie behinderte Menschen zu Schauspielern aus. Ebenso lange kämpft sie um Anerkennung. „Wir sind kein Laientheater und auch kein Schauspielhaus – und doch erschaffen wir Kunst“, sagt sie. Jeden einzelnen Darsteller hat die 62-Jährige selbst ausgewählt. Welche Form der Behinderung vorliegt, spielt für sie keine Rolle. Wichtig sei, dass der Mensch interessant ist, und dass „etwas passiert“, wenn er auf der Bühne steht.

Der „Crazy Sommernachtstraum“ ist eines der Lieblingsstücke des Ensembles. Sie haben es schon fast 40 Mal aufgeführt. Aufgeregt sind sie vor der Vorstellung trotzdem. „Einige haben die Nacht kaum schlafen können“, sagt Eggers. Kurz bevor die Türen zum Saal geöffnet werden, versammelt sie ihre Truppe auf der Bühne. Sie bilden einen Kreis, atmen tief durch und wippen leicht mit den Füßen. „Habt ihr alle Bodenhaftung?“, fragt Eggers in die Runde. „Dann los, ihr Süßen! Habt Spaß!“

Sie selbst nimmt im Soufflierkasten Platz, von wo aus sie auch die Lichtanlage steuert. Die ausgebildete Schauspielerin ist offiziell nur für die Schauspielausbildung und die Regie angestellt, aber sie kümmert sich auch um vieles andere. In Zusammenarbeit mit Kollegen erarbeitet sie Hilfspläne, organisiert, dass ihre Darsteller rechtzeitig gebracht und abgeholt werden, rührt die Werbetrommel und hat einen Förderverein gegründet.

Neue Theaterstücke entstehen vor allem bei den Proben, einige Szenen schreibt sie nach Feierabend. Für ihren „Crazy Sommernachtstraum“ hat Eggers Benjamin Leberts „Crazy“ und William Shakespeares „Ein Sommernachtstraum“ miteinander verwoben. Entstanden ist ein Stück über die Jugend und die erste große Liebe. Rahmenhandlung ist die gemeinsame Klassenreise nach Ratzeburg. Niklas Oldhafer und Oliver Gerhard spielen die zwei männlichen Hauptcharaktere, Lysander und Demetrius – beziehungsweise Lennik und Darius.

Oldhafer ist seit 15 Jahren dabei, Gerhard seit 2005. In ihrer Gestik und Mimik, in der Art, wie sie sprechen und in ihren Rollen aufgehen, fällt es schwer zu glauben, dass die beiden im Alltag auf Hilfe angewiesen sind.

Eindrucksvoll ist auch der Auftritt von Sabrina Fries, die in ihrer Rolle der Titania lange Passagen aus Shakespeare rezitiert und sich kraftvoll gegen ihren Bühnen-Gatten Lars Pietzko alias Oberon auflehnt. Pietzko steht ihr in seiner Bühnenpräsenz in nichts nach. Zwar sitzt er im Rollstuhl und kann seine Arme nicht im vollen Umfang kontrollieren, doch hat er einen Ausdruck in der Stimme, als würde er schon sein Leben lang Hörbücher einsprechen.

Der „Crazy Sommernachtstraum“ ist ein komisches Stück. Betont unschuldig sitzt Amon Nirandorn in seiner Rolle als Puck auf dem Bühnensofa. Er hat das Down-Syndrom, ist nicht besonders groß und erzählt dem Publikum, dass er sich verliebt hat. Doch als er die Vorzüge seiner Angebeteten aufzählt, ändert sich der unschuldige Eindruck. Nicht nur habe die junge Frau einen schönen Kapuzenpullover, sondern auch große Titten und eine große Vagina.

Einige Aussagen provozieren bewusst, andere entwickeln spontanen Witz. Astrid Eggers erinnert sich an eine Vorstellung in Bonn, in der bis zur dritten Szene niemand auch nur einen Mucks gemacht hatte. „Erst als wir das Publikum ein wenig angelacht haben, stimmte es schließlich mit ein“, sagt Eggers. „Die dachten, man dürfe nicht lachen, wenn Menschen mit Behinderung spielen. Dass man über die Kunst und nicht über die Künstler lacht, war denen nicht klar.“

Das Stück endet mit einem Happy End. Lysander und Hermia haben zueinander gefunden und küssen sich. Das Publikum applaudiert und erhebt sich nur langsam von den Stühlen. Im Vorraum treffen die Zuschauer auf einige Darsteller und gratulieren zu der gelungenen Vorstellung. „Irgendwie bin ich glücklich“, sagt Marc-André Steffen, mit 16 Monaten Bühnenerfahrung ein Klabauter-Neuling. „Das liegt an dem Applaus“, antwortet ihm Niklas Oldhafer. „Applaus macht einfach glücklich“.

Das Feedback sei immer positiv, sagt Eggers. Viele Zuschauer kämen allerdings mit einer bestimmten Erwartungshaltung. Immer wieder höre sie den Satz: „Das hätte ich nicht gedacht!“ Selbst andere Schauspieler seien mitunter überrascht, auf welch hohem Niveau gespielt werde. „Viele wissen nicht, wie sie uns einordnen sollen. Wir machen ja keinen Sozialkram – wir machen Kunst!“, sagt Eggers. „Ich sage immer: ,Leute, wir wollen euer Interesse, wir wollen eure Neugier – euer Geld wollen wir auch – wir wollen aber nicht euer Mitleid!‘“

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