Berlinale Staralbum: Sam Rockwell: Der Zausel
Abonniert ist er für gewöhnlich auf den Freak mit der schrägen Visage aus der zweiten Reihe des Ensembles: der Schauspieler Sam Rockwell.
Was für ein Kaputtnik! Völlig vereinsamt lebt er in einer Waldhütte, fettig und borstig stehen seine Haare ab, der Bart ist lang und harsch, die Haut fahl und schmutzig. Sein Abendessen erlegt er in neblig-kalten Morgenstunden mit dem Gewehr. Ein Schuss geht fehl, eine Frau ist tot und ein enormer Batzen Geld mit einem Mal in seinem Besitz – damit fängt der ganze Ärger an.
Keine Frage, in David M. Rosenthals „A Single Shot“ (Forum) ist Sam Rockwell einmal mehr so zu sehen, wie man ihn innig liebt: Als zauselbärtiger Hillbilly erforscht er erneut die Regionen des körperlichen Daseins weitab jener Ermattung, die einem als Berlinale-Besucher bestens vertraut ist. Wenn Rockwell sich in „A Single Shot“ gewaltsam um einen Finger erleichtert, das eigene Grab schaufelt, fühlt man sich nach einem langen Kinotag mit schlechtem Essen und zu viel Kaffee gleich wieder vergleichsweise munter.
Kaputt in Hollywood: Als Untergeher vom Dienst kann der 1968 geborene Schauspieler auf ein beeindruckendes Portfolio körperlichen Raubbaus zurückblicken. Dass ihm Strahlemann-Rollen eher verwehrt bleiben, mag an seiner linkischen Erscheinung liegen. Abonniert ist er für gewöhnlich auf den Freak mit der schrägen Visage aus der zweiten Reihe des Ensembles.
Umso großartiger spielt er in seinen wenigen Hauptrollen auf, wenn er sich mit Bart im Gesicht zum Äußersten treibt: Vor zehn Jahren schneiderte ihm George Clooney in „Confessions of a Dangerous Mind“ die Rolle des vom TV-Host zum CIA-Agenten aufgestiegenen Chuck Barris geradezu auf den Leib:
Im Hamsterrad herrlichster Paranoia erstrampelte sich Rockwell seinen internationalen Durchbruch. In der One-Man-Show „Moon“ schmachtete er vom Erdtrabanten aus den Globus an, während die Kamera seinen gen-induzierten körperlichen Verfall minutiös festhielt und melodramatisch auflud. Im lieben Sci-Fi-Nerd-Film „Gentlemen Broncos“ profilierte er sich mit wilder Gesichtsbehaarung als intergalaktischer Held in absonderlichen Hosen.
Mit seinem nervösen Lachen und dem Hang zur totalen körperlichen Verausgabung ist der ewig pubertär wirkende Sam Rockwell vielleicht wirklich das Sinnbild jener neoliberalen Generation, die nach Burn-out und Nervenzusammenbruch auch noch den eigenen körperlichen Verfall mit einem kessen Spruch ironisiert. In „A Single Shot“ wird er nun fürs Erste von einem gnädigen Reh erlöst. Doch der nächste Fusselbart wartet bestimmt schon.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!