piwik no script img

Staatsbürgerschafts-DebatteFDP entdeckt den Doppelpass

Liberale finden die doppelte Staatsbürgerschaft plötzlich gut. Die CSU ist verärgert. Die Opposition freut der Sinneswandel – und überschüttet die FDP mit Spott.

Ich bin beides! Bild: Miguel Lopes

BERLIN taz | Die Kanzlerin war nicht angetan. Ein aktueller gesetzgeberischer Handlungsbedarf sei nicht ersichtlich, ließ sie ihren Regierungssprecher Steffen Seibert nur knapp ausrichten. Es gebe weiter „gute Gründe“ für den deutschen Grundsatz, die Mehrstaatlichkeit zu vermeiden.

Noch deutlicher wurde Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU): „Frau Leutheusser-Schnarrenberger bereitet offensichtlich eine Ampelkoalition vor“, knurrte er. Der Minister, in dessen Ressort das Thema fällt, lehnt jede Änderung am geltenden Staatsangehörigkeitsrecht ab: Eine Gesetzreform stehe nicht auf seiner Agenda.

FDP-Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger hatte zuvor für Aufregung in den Reihen der Regierung gesorgt, indem sie sich für eine Reform des Staatsangehörigkeitsrechts aussprach. „Die Optionslösung gehört auf den Prüfstand“, hatte die Ministerin am Montag zu Spiegel Online gesagt. „Integration kann auch durch doppelte Staatsbürgerschaft gefördert werden, wie die vielen Fälle von gut integrierten Bürgern mit Doppelstaatsbürgerschaft zeigen.“

Zuvor hatte schon der Menschenrechtsbeauftragte der Bundesregierung, Markus Löning (FDP), die Optionspflicht scharf kritisiert: Die Ungleichbehandlung von jungen Deutschtürken sei „schwer auszuhalten“, sagte er der Süddeutschen Zeitung. FDP-Fraktionschef Rainer Brüderle schlug im Handelsblatt ähnliche Töne an. Das wirkte wie eine konzertierte Aktion, mit der sich die FDP vor der Wahl in Sachen Integration vom Koalitionspartner absetzt.

180-Grad-Wende

Die Opposition begrüßt den Sinneswandel der FDP, spart aber auch nicht mit Spott. „Schön, dass die verzweifelt ums Überleben kämpfende FDP nun plötzlich ihre Liebe zur doppelten Staatsbürgerschaft entdeckt“, höhnte der innenpolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Michael Hartmann. Er erinnerte daran, dass die FDP seit dem Jahr 2000 alle Initiativen abgelehnt hat, das Staatsangehörigkeitsrecht zu ändern und die Optionspflicht abzuschaffen.

„Durchschaubar“ findet auch Katrin Göring-Eckardt, die Frontfrau der Grünen, was sie „das wahltaktische Kalkül der Bundesjustizministerin und ihrer Partei“ nennt. „Anstatt Verantwortung für die gescheiterte Integrationspolitik von Schwarz-Gelb zu übernehmen, stiehlt sich die FDP nun davon, indem sie sich plötzlich von der eigenen Politik distanziert“, sagt sie. Die Linken-Politikerin Sevim Dagdelen wirft der Union „Türkenfeindlichkeit“ vor, weil der Optionszwang vor allem Türkinnen und Türken betreffe.

Dass nun auch die FDP die Optionspflicht in Frage stellt und sich für die Mehrstaatlichkeit ausspricht, begrüßt Kenan Kolat von der Türkischen Gemeinde. „Wenn die FDP das ernst meint, dann sollte sie einen Gruppenantrag mit den anderen Fraktionen stellen, um die Optionspflicht noch in dieser Legislaturperiode abzuschaffen“, findet der SPD-Politiker. „Damit würde sie Geschichte schreiben.“

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

11 Kommentare

 / 
  • D
    Deutsch-Pole

    Wird uns Doppelstaatlern auch nur eine Staatsangehörigkeit abgenommen, streitig oder gar nur madig gemacht, ist das eine Missachtung unserer binationalen Identiät. Das ist eine Verletzung unseres grundlegenden Menschenrechts auf freie Entfaltung der Persönlichkeit. Dafür können und müssen wir ggf. auch vor Gericht ziehen. Wenn es sein muss bis nach Karlsruhe oder Brüssel!

  • L
    Lieblingskind

    Ein Artikel vom 18. Februar 2013

     

    "Ich möchte wetten, dass einmal ein deutscher Kanzler oder eine Kanzlerin im nächsten Jahrzehnt mit dem Kollegen aus Paris auf Knien nach Ankara robben wird, um die Türken zu bitten, Freunde, kommt zu uns."

    Günther Oettinger

    Quelle:

    http://www.spiegel.de/politik/ausland/oettingers-aeusserungen-zum-eu-beitritt-der-tuerkei-verwirrt-bruessel-a-884639.html

  • GB
    German Brit

    Interessant wie einseitig ausgerichtet diese Debatte ist...

    Ein Doppelstaatsbürger ist also immer ein Deutschtürke?

    Als Deutschbrite wage ich das anzuzweifeln. By the way habe ich beide Staatsangehörigkeiten und wäre etwas ungehalten, wenn irgendeine staatliche Instanz mir eine der Staatsangehörigkeiten wegnehmen würde.

     

    Diese sinnbefreiten Debatten immer. Dabei ist das Sommerloch noch so weit weg.

  • G
    Gouvernator

    Wer die Doppelte Staatsbürgerschaft anstrebt, will seine Rechte verdoppeln und seine (Loyalitäts)pflichten halbieren. Deshalb bin ich grundsätzlich gegen Doppel-,Drei- oder Vierfachstaatsbürgerschaften. Wer in einem Land geboren wird, bekommt diese Staatsbürgerschaft und keine andere. Warum ist plötzlich für Linke diese Blut- und Herkunftsstaatsbürgerschaft so wichtig?

     

    Bezogen auf Türken in Deutschland und Deutschtürken besteht wegen des aus Ankara geschürten enormen Herkunftspatriotismus ein besonderes Problem. Wollen wir hier ein zweites deutsches Staatsvolk mit türkischer Erstsprache von 3 000 000 Bürgern mit wachsender Tendenz?

  • S
    Stadtmauern

    Es ist wahr: Die Forderung nach einer doppelten Staatsbürgerschaft ist nicht Teil des Programms von CDU, CSU und NPD.

  • D
    Deutsch-Pole

    Scheinheilige Debatte von den Konservativen. Die Doppeltestaatsbürgerschaft ist in bestimmten Fällen bereits möglich und auch von deutscher Seite geregelt. Kinder aus Binationalen Ehen haben die doppelte Staatsbürgerschaft meist automatisch schon von Geburt an. Nur bei "den" Türken wird wieder so ein Tara gemacht!

  • F
    Falls

    Jeder Artikel von Daniel Bax ist gleich, nur noch zum Gaehnen, diese muede, offen zur Schau gestellte provinzielle Intoleranz. Einfach nur noch sterbenslangweilig, die taz. Wo ist denn der solide, fundierte linke Journalismus hin? Stattdessen nur noch dieses lahme Dauergenoele.

  • E
    eksom

    Nur Show vor den Bundestagswahlen von der FDP. Sie wird niemals richtig für die doppelte Staatsbürgerschaft eintreten, weil sie die ehem. LDP ist! Top infiltriert von den Nazis. Diese FDP kennt noch nicht einmal den Artikel 3 Abs. 3 des Grundgesetzes! Bürger von 54 anderen Nationen dürfen in Deutschland die doppelte Bürgerschaft haben, nur die Türken nicht!

  • T
    tollschocken

    Die Einheit ist in der FDP bei diesem Thema mitnichten hergestellt. FDP-Fraktionsvorsitzender in Baden-Württemberg Ulrich Rülke am 16.1.2013: „Integration bedeutet Bekenntnis zu Deutschland. Darum sollte sich Ministerin Öney kümmern und nicht darum, dass es doppelte Loyalitäten in unserem Land gibt.“ Allerdings ist der Rülke noch peinlicher als die restliche FDP. Insofern: anyway

  • S
    sarko

    "FDP entdeckt den Doppelpass" ... man darf gespannt sein , was diese Partei im Wahljahr noch alles "entdeckt" , um sich an bestimmte Bevölkerungsgruppen ranzuschleimen .

    Und jedesmal rauscht der Blätterwald : FDP FDP FDP ....

     

    kotzbrechbrrroch

  • N
    Neronimus

    Frau Leutheuser-Schnarrenberger liegt in der letzten Zeit sehr daneben.

    Eine Staatsbürgerschaft ist mehr als die Berechtigung sich irgendwo aufhalten zu können. Es geht nicht nur ums Rosinenpicken. Man muss sich schon dafür entscheiden, in welchem Land man Staatsbürger sein möchte. Die Frage muss natürlich auch erlaubt sein, warum in der Regel “Neudeutschen“ dieses Privileg gewährt werden soll. Wenn man allen Bundesbürgern die Möglichkeit eröffnen könnte, ebenfalls mehrere Staatsbürgerschaften zu erhalten, dann nur zu. Dann wären alle vor dem Gesetz gleich. Mit ihrem Vorstoß hilft Leutheuser-Schnarrenberger die FDP auch nicht über 3%.