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Kolumne NüchternDie große Suchtoper

Daniel Schreiber
Kolumne
von Daniel Schreiber

Gehört es zu einer guten Suchtbeichte, blond zu sein? Und warum gerät die reuige Trinkerin so viel öfter vor die Kamera als der Trinker?

„Es war eine wichtige Zeit, aber zurechnungsfähig war ich nicht.“ Bild: dpa

S eit ein paar Wochen sprechen mich einige meiner trinkenden Freunde und Bekannten immer wieder darauf an, dass sie die Fastenzeit nutzen, um auch mal eine Auszeit zu nehmen. Ich kann das nur begrüßen.

Ich habe zwar den Eindruck, dass man, um ein paar Wochen ohne Alkohol durchs Leben zu gehen, nicht die Erlaubnis eines Geistlichen braucht – aber das sage ich nicht mehr laut. Denn sonst folgt unweigerlich die Unterhaltung darüber, dass ein, zwei Gläser oder eine halbe Flasche guten Rotweins am Abend doch unbedenklich seien, und ich muss dann sagen: Ja, ja, das stimmt wohl. Obwohl ich denke, dass jeder mit sich selbst ausmachen soll, wie viel er trinkt.

Vielleicht ist es nur ein Zufall, dass das Land pünktlich zum Karneval und dem darauf folgenden Experiment semikollektiver Abstinenz neuerdings ein Alkoholismus-Covergirl kürt. Im vergangenen Jahr war die dänische Dschungelcamp-Gladiatorin Brigitte Nielsen die Protagonistin der großen öffentlichen Suchtoper. Dieses Jahr ist es die 40-jährige Heidekönigin Jenny Elvers-Elbertzhagen.

Daniel Schreiber

lebt in Berlin. Er ist Autor der Biografie „Susan Sontag. Geist und Glamour.“

Jungfräuliches Häkelweiß

Vier Monate nach ihrem betrunkenen Auftritt in einer NDR-Talkshow präsentierte sie sich kürzlich geläutert und in jungfräulichem Häkelweiß auf der Titelseite der Gala und in der RTL-Dokumentation „Die Alkoholbeichte! Jenny Elvers – die ungeschminkte Wahrheit“. Irgendwann, erzählte sie dort, brauchte sie eine Flasche Wein, eine Flasche Sekt und eine Flasche Wodka am Tag, um durchs Leben zu kommen. Die Ärzte der von ihr aufgesuchten Entzugsklinik in Bad Brückenau gaben ihr nur noch sechs bis acht Wochen.

Ich habe nie so viel getrunken wie Elvers-Elbertzhagen und ich war auch nie in einer Suchtklinik. Aber wenn ich an die ersten Monate meiner Nüchternheit zurückdenke, macht es mich traurig, sie auf dem Titelblatt und vor der Fernsehkamera zu sehen. Mein Leben schien damals nur noch auf Autopilot zu funktionieren. Ich befand mich in einem Zustand der Verwirrung. In guten Momenten fühlte es sich an, als hätte eine französische Schwarz-Weiß-Tragikomödie plötzlich Farben bekommen. In schlechten, als würde ich ohne Haut dastehen.

Es war eine wichtige Zeit, aber zurechnungsfähig war ich nicht.

Choreografie der Beichte

Die öffentliche Choreografie der Suchtbeichte ist uns inzwischen vertraut. Fast immer scheinen unsere alkoholabhängigen Mimis, Normas und Violettas blond zu sein und ihre Karriere auch auf ihrer sexuellen Freizügigkeit aufgebaut zu haben. Männer haben bei dieser Kür selten eine Chance. Sogar die alkoholisierten Ausfälle unserer Politiker, wie neulich Rainer Brüderle, entschuldigen wir mit dem sprichwörtlichen Glas zu viel.

Öffentlich wird Alkoholismus, obwohl unter Männern weiter verbreitet als unter Frauen, feminisiert. Bekanntlich ist es nicht so, dass Frauen nicht trinken können; aus irgendeinem Grund dürfen sie es nur immer noch nicht.

Verstärkte Beobachtung

Auf Identifikation zielen die öffentlichen Inszenierungen der Alkoholkrankheit von Prominenten wie Elvers-Elbertzhagen nie ab. Im Gegenteil. Spätestens nach ihrer Beichte stehen sie unter verstärkter Beobachtung. Mit gezückten Kameras wartet die halbe Welt auf ihren Rückfall. Und falls sie – man denke an Nielsen, Lindsey Lohan oder Britney Spears – tatsächlich wieder anfangen sollten zu trinken, werden sie in einer zynischen Version altertümlicher Jungfrauenopferkulte medial wie Osterlämmer geschlachtet.

Die Öffentlichkeit scheint Figuren wie sie zu brauchen. Mit ihrer Hilfe kann sich jeder sagen, dass er so schlimm nicht ist, und beruhigt weitertrinken. Niemand von uns mag über Alkoholismus als eine Krankheit denken, und erst recht möchte niemand glauben, dass wir alle in die Flugschneise seines Einflusses geraten können.

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Daniel Schreiber
Schreibt für verschiedene Zeitungen, Zeitschriften und das Radio über Literatur und Kunst. Sein Buch "Susan Sontag. Geist und Glamour", die erste umfassende Biografie über die amerikanische Intellektuelle, ist im Aufbau-Verlag und in amerikanischer Übersetzung bei Northwestern University Press erschienen. Im Herbst 2014 kommt sein neues Buch "Nüchtern. Über das Trinken und das Glück" bei Hanser Berlin heraus. Darin erzählt er seine persönliche Geschichte und macht sich über die deutsche Einstellung zum Trinken und Nicht-Trinken Gedanken. Schreiber lebt in Berlin. ( http://daniel-schreiber.org )
Themen #Alkohol

3 Kommentare

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  • C
    christoph

    Ich danke Daniel sehr - Alkoholismus ist, auch wenn es abgeleiert klingt - ein großes Tabu. Gerade in Berlin, wo es üblich ist, Halbliterflaschen Bier schon morgens ins der UBahn zu leeren.

    In Berlin, gerade in den Medienwelt, ist es akteptierter, offensichtlich ein Alkoholproblem zu haben, als keinen Alkohol zu trinken. Ersteres gilt als cool-verrucht, letzteres als Freudlosigkeit.

    Ich danke Daniel, weil er sich mit dem Thema auf eine intellekuelle Weise auseinandersetzt, mit der Menschen wie ich, auch nicht doof, auch Alkoholproblem, mehr anfangen können als den ewig gleichen Gesülze, das normalerweise zu dem Thema stattfindet. Er stellt sich und der Umwelt die richtigen und oft schmerzhaften Fragen. Für mich persönlich ist das größte Problem das ohne Alkohol sehr zähe Nachtleben ...

    Bitte weitermachen mit der Kolumne!

  • S
    schnappi

    Nun, diese Kolumne scheint wenig Interesse zu wecken, wie wäre es mit Kolumne Suchtberatung/ Abstinenz. Alkohol ist ei gefährlich Ding, zweifelsohne.

  • K
    krowang

    Ich muss nicht sagen: "Ja, ja, das stimmt wohl." Ich denke und sage: "Ich möchte das nicht.". Ich bin froh, dass ich aus den, für mich krankmachenden, Belohnungssystemen mit Suchtmitteln ausgebrochen bin.

     

    Wer ist Jenny Elvers?