Der Lesetage-Vergleich: Zwischen den Zeilen
Die "Vattenfall-Lesetage" kündigen ihr Programm im Rathaus an - die Konkurrenz von „Lesen ohne Atomstrom“ lädt ins Schauspielhaus. Ein Vergleich.
Ambiente
Vattenfall-Lesetage: Die Wände sind aus hellem Holz, lange Tische bilden einen Bogen. Teppichboden. Vattenfall konferiert im Rathaus, Saal 151.
Lesen ohne Atomstrom: Marmorsaal des Schauspielhauses, ist entsprechend getäfelt, verfügt über eine Bar und Bistrotische. Das Podium präsentiert sich vor einem roten Samtvorhang.
Podium
Vattenfall-Lesetage: Pieter Wasmuth, Nord-Chef von Vattenfall, seine Angestellten Barbara Heine und Judith Kahlbach, Kultursenatorin Barbara Kisseler, Schauspieler Thomas Linke und NDR-Nachrichtensprecher Martin Wilhelmi als Moderator.
Lesen ohne Atomstrom: Andreas Blechschmidt (Kultur für alle), Oliver Neß (Erneuerbare Lesetage), Stefan Voelkel (Fruchtsäfte), Volker Krause (Bohlsener Mühle), Charlotte Hermelink (Goethe-Institut), Stefan Schurig (World Future Council), Frank Otto (Unternehmer), Kathrin Augustin (Obsthof), Petra Meier-Ehlers (Öffentliche Bücherhallen), Hilla Fitzen (Sony), Hartwig Westphalen (Sun Energy Europe), Florian Vogel (Deutsches Schauspielhaus), Christian F. Hebbel (Dramatiker).
Promiquote
Vattenfall-Lesetage: 17 Prozent. Der Showact der Presserunde heißt Thomas Linke. Mit sonorer Stimme liest er aus drei Büchern. Manchmal reckt er die Faust in die Luft, die Fernsehteams umkreisen ihn. Neben ihm im Bild zieht Vattenfall-Chef Wasmuth seine Sakkoärmel glatt.
Lesen ohne Atomstrom: Frank Otto, Medienunternehmer und zweitältester Sohn des Versandhausgründers; Christian F. Hebbel (1813-1863, leider nur als Marmorbüste) - ergibt acht Prozent.
Verköstigung
Vattenfall-Lesetage: Entwicklungshilfe-Wasser von Viva con Agua, Lemonaid, Apfelsaft Marke "Nachbarsgarten".
Lesen ohne Atomstrom: Kaffee und Bio-Kekse, diverse Sorten "Bio-Zisch".
Medienauftrieb
Vattenfall-Lesetage: Zwei Kamerateams, drei Fotografen, Reporter von Radio und Zeitung besetzen mehrere Stuhlreihen.
Lesen ohne Atomstrom: Acht SchreiberInnen, ein Fotograf.
Fremdschämfaktor
Vattenfall-Lesetage: Mittel bis hoch. Die Wangen des Moderators Wilhelmi schimmern rosa. Wenn Schauspieler Linke vorliest, wie jemand "superheldendringend" aufs Klo muss, lacht er laut. Zu Italien fällt ihm ein: "Nicht Bunga Bunga Vita - Dolce Vita!" Die Lippen der Senatorin kräuseln sich.
Lesen ohne Atomstrom: Null.
Programm
Vattenfall-Lesetage: 120 Mitwirkende aus 14 Ländern, darunter Bestseller-Autoren wie David Guterson und Arno Gruen.
Lesen ohne Atomstrom: Viele Lesungen kombiniert mit Musik und Video-Übertragung nach draußen, etwa Ton Steine Scherben aus dem Innern der Roten Flora auf deren Fassade; Fünf-Freunde Live-Hörspiel.
Deserteure
Vattenfall-Lesetage: Auf die Erneuerbaren Lesetage in städtischen Bücherhallen angesprochen, sagt Senatorin Kisseler: "Wir machen unseren Institutionen keine Vorgaben. Außer sie verstoßen gegen die Menschenrechte."
Lesen ohne Atomstrom: Die Öffentlichen Bücherhallen, in denen es nur erneuerbare Lesungen gibt; die städtische Hamburg Energie, die die Erneuerbaren Lesetage unterstützt; dito das Deutsche Schauspielhaus.
Greenwashing
Vattenfall-Lesetage: Kisseler findet diesen Vorwurf "ein bisschen einseitig". Die Lesetage seien "kein Freibrief" für Vattenfall.
Lesen ohne Atomstrom: "Die Kultur darf gerne von Unternehmen unterstützt, aber niemals instrumentalisiert werden." (Otto) "Wir finden es zynisch, dass Vattenfall seine Pressekonferenz ausgerechnet auf den Fukushima-Jahrestag gelegt hat." (Blechschmidt)
Kulturpolitik
Vattenfall-Lesetage: 4.000 Euro Steuergeld für einen Energiekonzern? "Literaturangebote kann es nicht genug geben", sagt Kisseler.
Lesen ohne Atomstrom: "Mir widerstrebt es, einen Schauspieler vor eine Sponsorenwand zu stellen." (Hermelink)
Atompolitik
Vattenfall-Lesetage: Kein Thema.
Lesen ohne Atomstrom: "Der Erfolg der Ökobewegung steht und fällt mit der Energiewende." (Krause)
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