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PuppentheaterWiedergeburt der Welt aus Schaumstoff

Das Helmi besticht durch grobe Figuren und die Weigerung, erwachsen zu werden. Ein Probebesuch bei der Premiere von „Die Schönen und die Schmutzigen“.

„Die Schönen und die Schmutzigen“ handelt vom Umgang mit Stereotypen und Klischees Bild: Ballhaus-Ost

Der Raum sieht aus, als hätte ihn ein Tsunami-durchgedrehter Fünfjähriger überrollt. Überall Fetzen von Schaumstoff, Stoffreste, Teppichmesser, Draht, überall diese rohen, notdürftig zusammengeflickten Puppen mit den zerknautschten Gesichtern – man weiß nicht, ob sie halb fertig sind oder schon halb kaputt, einer fehlt ein Arm, einer anderen ist das Auge aus dem Kopf gefallen: ein beiläufig bemalter Tischtennisball.

Wir befinden uns im Ballhaus Ost an der Pappelallee – und gerade steigt die Sängerin und Schauspielerin Cora Frost in ein hässliches Schaumstoffpferd mit billigem, blauem Halstuch, dem fast das Maul abfällt. Erst seit Kurzem ist Cora Frost „Gaststar“ beim Puppentheaterkollektiv Das Helmi, und sie scheint sich zu amüsieren. Während sie versucht, ihr Pferd irgendwie zusammenzuhalten und zum Wiehern zu bringen, tun es ihr die anderen nach und steigen in ihre ebenso grob zusammengetackerten Pferde: Emir Tebatebai, ein Mann mit sehr vielen und sehr lustig wippenden Locken, und Solene Garnier, eine junge Frau mit riesigen Augen und sanftem französischem Akzent.

Florian Loyke, Gründer und Mastermind der Helmis, der die meisten Puppen hier gebastelt hat, hängt sich seine zerschrammte Gitarre um und stimmt ein paar feurige Akkorde an. Die Pferde laufen kichernd Parcours, hüpfen kreuz und quer. Loyke fordert mehr Contenance. Sie sind die stolzen Zirkuspferde. Sie proben ihr neues Stück, „Die Schönen und die Schmutzigen“, das am heutigen Donnerstag Premiere feiert.

Nicht Roma: Zigeuner

Wieder einmal haben sich die Helmis, wie sie ihr immer größer werdender Fankreis nennt, ein Stück ausgesucht, in dem Stereotype und Klischees gegen den Strich gebürstet werden – nur dass es diesmal nicht um angeblich gelehrte Männer („Der Name der Rose“), das Land der scheinbar unbegrenzten Möglichkeiten („Rocky“) oder den heiligen Ernst des deutschen Bildungskanons geht („Faust“). „Die Schönen und die Schmutzigen“ handelt von Zigeunern, nicht von Sinti und Roma wohlgemerkt, sondern von Zigeunern. Oder, in den Worten Florian Loykes, der die Gitarre kurz zur Seite legt: „Was denken wir über die? Wie stellen wir uns die vor? Wollen wir vielleicht selber welche sein?“

Inspiriert wurden Loyke und seine Leute diesmal durch zwei Begebenheiten: Zum einen lernten sie einen Sozialarbeiter kennen, der ihnen viel von seiner Arbeit mit Roma erzählte. Zum anderen stand die Geschichte von Jeremie Pate für ihr neues Stück: eine Geschichte, die letztes Jahr durch die Medien geisterte.

Der elfjährige Jeremie, so wurde berichtet, war wegen seiner Roma-Herkunft von den Behörden in einem Wanderzirkus in Mecklenburg-Vorpommern untergebracht worden, und zwar im Rahmen des in Hamburg praktizierten Projekts „milieunahe Integration“ – allerdings gegen den Willen seiner Familie. Im November 2012 schließlich verschwand Jeremie aus dem Zirkus und tauchte erst mehr als vier Wochen später wieder auf. Bis heute ist nicht ganz klar, wie es dem Jungen im Zirkus wirklich ergangen ist – und wo er in jenen vier Wochen steckte. Wer wurde hier von wem stigmatisiert? Eine interessante Fragestellung, fanden die Puppenspieler von Das Helmi.

Nun wären aber die Helmis nicht die Helmis, würden sie sich allein für diese Wirklichkeiten interessieren, die sie immer wieder aufstöbern. „Wir wollen uns diese Welten vor allem erfinden“, sagt Florian Loyke und meint damit, dass es hier eher um Gedankenspiele geht, um das Schillern dieses Falls – also um Projektionen, bei denen man nicht genau weiß, wo sie anfangen und wieder aufhören. Anstatt den Fall professionell zu recherchieren, gilt es die Assoziationsmaschine anzuwerfen: Das ist von jeher das Konzept und der Charme von Das Helmi – dieser Truppe, die zum ersten Mal 2002 auf dem Helmholtzplatz auffiel, wo sie Kinder mit ihrer Version von „Hänsel und Gretel“ erschreckte.

Die Art, wie die Helmis über diese Anfangszeit sprechen, sagt übrigens sehr viel darüber aus, wie sie bis heute Theater machen. Professionalität? Fehlanzeige. Bis heute haben die Helmis keines der zahlreichen Ostberliner Puppentheater von innen gesehen. Die werden oft von Studierten betrieben, denn Puppentheater wurden in der DDR staatlich gefördert, und an der Hochschule für Schauspielkunst „Ernst Busch“ kann man sich bis heute zum Puppenspieler ausbilden lassen.

Emir Tebatebai erklärt sich seine Karriere eher so: „Wir hatten nichts zu tun. Wir wussten auch nicht, was wir machen sollten.“ Von Spieltrieb ist die Rede und davon, dass man nicht erwachsen werden will. Eines Tages klatschte Florian Loyke dann seine erste Puppe aus dem Innenleben einer gefundenen Matratze zusammen – diesem schönen, ollen, weichen Material, das man in keinem Baumarkt kaufen kann, aber in Berlin immer wieder auf der Straße findet, oft mit einem aufgeklebten Stück Papier, auf dem „Geht noch“ steht.

„Wir kommen eben aus einem ganz anderen Berlin, in dem es noch gar keine Streber gab“, seufzt Florian Loyke und kann die recht ironiefreie Melancholie in seiner Stimme nicht ganz unterdrücken. Und dann erzählt er von dieser Theaterproduktion mit Emir, die sie zuletzt versuchten, bevor sie sich Das Helmi ausdachten, ein Theaterstück, das dann „nicht so gut geklappt“ hat, wie er meint. Die Hälfte der Vorstellungen musste abgesagt werden, weil keine Zuschauer kamen, berichtet er. Das Schlimmste aber, sagt er, waren die Schauspieleraspirantinnen, die immer riefen „Was willst du denn? Was willst du denn?“. Und: „Aber das geht so nicht! Das geht doch so nicht, Florian!“

Distanz ist garantiert

Als die Puppen kamen, da hatte sich für Florian Loyke und Emir Tebatebai nicht nur das Problem mit den Schauspielern erledigt, sondern auch das mit dem Theater. Denn selbst, wenn die Helmis ihre Puppen nicht versteckt spielen, sondern immer präsent sind: Die ironische Distanz zur dramatischen Geste ist in diesem Medium garantiert, zumal mit diesen wüsten, oft geradezu misshandelt wirkenden Puppen.

Und wie wird es weitergehen mit den Helmis? Inzwischen kommen sie ja viel rum, auch große, staatstragende Theater sind interessiert, zum Beispiel waren sie bei Jan Bosses Kleist-Inszenierung „Das Käthchen von Heilbronn“ am Maxim Gorki Theater dabei. Sie selbst sagen dazu nur: „Irgendwie ist es einfach losgegangen“, machen dabei ein ziemlich verblüfftes Gesicht und steigen dann wieder in ihre hässlichen Pferde. Kann man nur hoffen, dass diese Verblüffung noch ein Weilchen anhalten wird.

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