piwik no script img

Kolumne FernsehenWir talken und talken und talken

Wir brauchen die fünf ARD-Polittalks. Wo sonst sollen Politiker und Meinungsmacher über ihre manipulierten Umfragen diskutieren?

Noch-„Stern“-Chef Thomas Osterkorn bei Günther Jauch. Bild: dpa

V olker Herres konnte am Mittwoch das deutsche Fernsehvolk beruhigen. Der Programmgestalter des Ersten Deutschen Fernsehens sagte: „Es geht immer weiter nach vorne.“ Die kritische Nachfrage „Hää?“ blieb leider aus.

Herres war auf die fünf Polittalks im Ersten angesprochen worden. Ein Klassiker auf ARD-Pressekonferenzen. Diesmal würde eine Entscheidung zu den Talks bekannt gegeben, raunten einige vorher. Die große Frage: Wer fliegt raus? Plasberg? Maischberger? Will? Beckmann? Jauch? Und was sollte diese Antwort nun bedeuten – es gehe immer weiter nach vorne?

Leider gar nichts. Sämtliche Talks würden bleiben. Allen vorherigen Gerüchten zum Trotz. Irgendwann werde man Bilanz ziehen, sagte Herres. Aber im Moment eher nicht. Denn die Qualität stimme, der Zuschauerzuspruch auch. Alles prima.

privat
Jürn Kruse

ist Medienredakteur der taz.

Als Herres sprach, nickte neben ihm der NDR-Intendant und aktuelle ARD-Vorsitzende Lutz Marmor sehr heftig. Dieses Kurz-vorm-Genickbruch-Nicken sollte volle Zustimmung signalisieren. Genauso sah er das auch. Aber wirklich jetzt. Die Talks sind samt und sonders gut. Die Talks bleiben. Nur irgendwann mal müsse man sich die Frage stellen, ob „das Gesamtvolumen angemessen sei“, wie Herres es formulierte.

62 Stunden Dauertalk

Dabei ist vom Gesamtvolumen her noch eine deutliche Steigerung möglich. Eine sehr deutliche. In Nepal soll kürzlich ein Moderator 62 Stunden und 12 Minuten lang gelabert haben. Gut, wahrscheinlich ließ er auch mal andere zu Wort kommen, aber immerhin: Von Donnerstagmorgen bis Samstagabend war Rabi Lamichhane auf Sendung. Das hat ihm einen Eintrag im Guinness-Buch der Rekorde eingebrockt, der „Bibel des Kleinbürgers“, wie Max Goldt die Sammlung der Bestleistungen nennt.

Spiegel Online sah sich gleich mal genötigt, seine User ganz unbefangen und vorbehaltlos zu fragen, welcher Talkshow-Moderator bzw. welche -Moderatorin aus Deutschland „am ehesten 62 Stunden lang zu ertragen“ sei? Wenig überraschender Sieger: „Bloß nicht! Keiner der Genannten.“ Auf den Plätzen folgen Raab und Jauch.

Passende Umfragen für alle

Ach, ich liebe solche Suggestivfragen, die einem jeder Empirie-Professor um die Ohren hauen würde. Mit den richtigen Formulierungen und dem passenden Institut bekommt jede/r das Ergebnis, das er oder sie braucht. Das ist doch auch ein Stück Demokratie. So finden sogar ARD und ZDF heraus, dass eigentlich fast 80 Prozent der In-Deutschland-Lebenden ab soundsoviel Jahren für den neuen Rundfunkbeitrag seien und dass die In-Deutschland-Lebenden ab soundsoviel Jahren alle Polittalks sehr gerne mögen.

Oder die CSU beschwert sich einfach laut über ihrer Meinung nach zu schlechte Umfragewerte – und prompt erscheint eine Befragung, die den Christsozialen breite Zustimmung beim Stimmvieh offenbart.

Am Ende können die gewünschten Ergebnisse dann in einer Talkshow diskutiert werden. Da bleibt die Auswahl schließlich ähnlich groß wie bei den Umfrageinstituten. Herres hatte doch Recht: Es geht immer weiter.

Links lesen, Rechts bekämpfen

Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen

Jürn Kruse
Ist heute: Redaktionsleiter bei Übermedien und freier Autor. War mal: Leiter des Ressorts tazzwei bei der taz. Davor: Journalistik und Politikwissenschaft in Leipzig studiert. Dazwischen: Gelernt an der Axel Springer Akademie in Berlin.
Jürn Kruse
Ist heute: Redaktionsleiter bei Übermedien und freier Autor. War mal: Leiter des Ressorts tazzwei bei der taz. Davor: Journalistik und Politikwissenschaft in Leipzig studiert. Dazwischen: Gelernt an der Axel Springer Akademie in Berlin.
Mehr zum Thema

14 Kommentare

 / 
  • SD
    Stimme der Demokratie

    Kaum Kritik an den Talkshows war zu hören, als die mediale Steinigung Sarrazins im Gange war. Da haben sich alle über Talkrunden gefreut, in denen träumende Politiker, Migrationsfunktionäre und (zu Unrecht) beleidigte Migranten auf Sarrazin bzw. seine Thesen eingeschlagen haben.

  • S
    Sabine

    Anstatt der ganzen Laberei in den Talkshows, in die größtenteils die immer gleichen langweiligen alten Männer eingeladen werden, die auf wichtig machen und auf unsere Kosten in die öffentlich-rechtlichen Sessel pupsen dürfen, sollten besser anspruchsvolle, kritische Dokumentarfilme und Politmagazine finanziert werden!

     

    Und die freiberuflichen DokumentarfilmerInnen müssen endlich adäquat bezahlt werden, anstatt mit Dumpinghonoraren abgespeist zu werden. Was machen die Intendanten bloß mit unseren Millionen GEZ-Gebühren???

  • P
    Propagandamaschine

    Die Intendanten verwechseln echte politische Inhalte mit der emotionalen Pissrinne der öffentlich-rechtlichen Bedürfnisanstalten die nichts mit Aufklärung zu tun hat.

    Georg Schramm hat recht.

    Die Verblödung schreitet voran.

    Dein Fernseher lügt.

  • F
    Falmine

    Wahrscheinlich müssen wir schon froh sein, dass es zu den Zwangsgebühren namens 'Haushaltsabgabe' (noch) nicht das Zwangsglotzen von TalkSHOWS gibt! Es ist nicht verwunderlich, dass Volker Herres alle prima findet, schließlich ist er selbst mit seinen Presseclub-Moderationen der schwächste aller Talk-Gastgeber.

    Aus einem Pool von 30 oder 40 Namen werden in immer wieder wechselnden Zusammensetzungen Gäste aufeinander losgelassen und dennoch ist garantiert, dass niemand durch ernsthafte Kontroversen zuhause aus dem Dämmerschlaf schreckt.

    Solche langweiligen Zumutungen habe ich schon seit Jahren nicht mehr nötig. Selbst 'hart aber fair' - einst auf WDR eine lobenswerte Ausnahme - ist so glatt gebürstet, dass es einen graust. Da diskutiere ich im Internet lieber selbst. Denn nur durch echte Reibung, also Kontroversen, wird Energie freigesetzt, die auch tatsächlich zu Veränderungen führt. Folgenloses Blabla ist Zeitverschwendung. Wer es noch genauer wissen will, dem sei das Buch "Meine Sonntage mit Sabine Christiansen" empfohlen.

  • I
    ion

    Das gesamte Programm-angebot, resp. die -struktur der Ö.R.-Sender ist insbesondere seit m.M.n. unrechtmässiger Etablierung der Zwangsgebühren eine einzige Frechheit .... und ich hoffe doch sehr, “wir, das Volk”, (lol) werden dann doch noch die Ä***** hochkriegen, um dem Treiben jener Einhalt zu gebieten.

    Und anstatt die jeweiligen Sender-Mediatheken im Web forciert auszubauen, benutzerfreundlich zu gestalten (uneingeschränkte Stream- & Download-Optionen, denn theoretisch könnte jeder ja auch 24/7 alles am klassischen TV-Gerät mitschneiden!) kann man die jeweils aktuelle Wochenausgabe von Jauch, Maischberger, Speckmännchen & Co. Schnatter-Sendung (neben ggf. der Wiederholung durch den ursprünglichen Sender nach wenigen Stunden der 'Live'-Sendung im Nachtprogramm) auch noch mindestens 3x in den folgenden 7 Tagen auf verschiedenen Ö.R.-Kanälen zu den wahnwitzigsten Zeiten im klassischen TV-Gerät wieder-sehen, dergleichen gilt ähnlich für Dokus und selektiv für Spielfilme. Würden ARD & ZDF gezwungen, derlei Mogelpackungen, technischen (und ökologischen) Unsinn zu unterlassen, wären sofort diverse nur pseudo-authentische Spartenkanäle der Ö.R. einzudampfen!

  • S
    sarko

    Wo doch keine Politik mehr stattfindet , werden die Talkshows ganz nötig gebraucht . Alles löst sich in Geschwätz auf , alle dürfen mitschwätzen , ganz demokratisch , sozusagen Demokratie im Endstadium .

     

    Wenn der ganze Laden auch hier bald (wie schon ringsum ) richtig in der Sch**ße sitzt , können wir uns auf Krawall-Shows freuen , wo die Fäuste fliegen , Stinkbomben , oder auch zündende Knaller ...- ist doch mal 'ne Perspektive , oder ?

  • FF
    Fischers Fritze

    TV Talkshows? Sind Durchlauferhitzer für Regierungspropaganda.

  • N
    Nordwind

    Reicht es aus über die Anzahl der Talk-Shows zu streiten?

     

    Viel wichter ist doch die Frage nach dem Sinn dieser Veranstaltungen.

     

    Wer sich diesen Mist einmal analytisch anschaut kann nur zu einem Ergebnis kommen: Talk-Shows in Deutschland sind der verlängerte Arm von Think-Tanks wie Bertelsmannstiftung, INSM, Konvent für Deutschland, Deutsche Nationalstiftung usw.

     

    Und die journalistisch lausig geschulten Moderatoren Spielen dieses üble Spiel der Manipulation und Desinformation durch Neoliberale und Konservative mit oder Verstärken dieses noch.

     

    Diese kannegießersche Volkserziehung von oben ist wohl der gröbste Verstoß gegen den Verfassungsauftrag der Öffentlich Rechtlichen Anstalten seit ihrem Bestehen.

  • TK
    TV Kritiker

    Deutschland ist ein bla, bla, bla Land, insbesondere auf den "rechtlich-öffentlichen" Sendern werden solche Blödsendungen gepflegt und durch Zwangsgebühren zwangsfinanziert! Ob dadurch ein Jauch Millionen einsackt,spielt dabei keine Rolle, denn unsere Polit-Bonzen wollen es so!

    Im Herbst ist Wahltag, Wahltag ist Zahltag!

    Es gibt Alternativen...

  • B
    Barbara

    Und wo bleiben die Alternativ-Vorschläge? Vielleicht nur noch Krimis auf sämtlichen Programmen?

     

    Gegen Talk-Shows habe ich an sich nichts. Leider verflachen sie jedoch immer mehr und werden damit zu reinen Laber-Shows. Als Negativ-Beispiel fällt mir da Frau Maischberger ein. Kritische Journalisten sind gefragt. Werden sie nicht eingeladen, besteht immerhin die Möglichkeit, in der Presse Kritik zu äußern, Lobbyisten zu enttarnen und Hintergründe zu benennen.

  • D
    Dieter

    Nachdem ich einige dieser "Talks" gesehen habe, muß ich sagen, die sind so überflüssig wie ein Kropf (wie man im Volksmund sagt). Ich messe diese politische Kaste lieber an ihren Taten und nicht an ihrem Gelaber. Und ich darf das sagen, denn für den Müll muß ich auch noch Gebühren bezahlen !

  • C
    Corvin

    "Pressefreiheit ist die Freiheit von 200 reichen Leuten, ihre Meinung zu verbreiten"

    Paul Sethe, FAZ-Mitbegründer

     

    Ein schönes Zitat, welches leider auch auf die vielen Talkshows im öffentlich rechtlichen Fernsehen zutrifft. Es ist immer wieder interessant, wer dort eingeladen wird und wer die meiste Redezeit erhält und welche Schwerpunkte die Moderatorin oder der Moderater letztendlich setzt. Eine differenzierte und ausgewogene Berichterstattung ist das nicht hinsichtlich der sozialen und wirtschaftlichen Missstände in diesem Land. Zum Großteil dienen die Talkshows hinsichtlich des gesellschaftlich wichtigen Themas Umverteilung von Vermögen nur dazu, die bestehenden Ressentiments zu verstärken und die bestehenden ungerechten Verhältnisse zu konservieren.

  • K
    Kothen

    Da ich diese "Polit"Talks nicht beruflich sehen muss, schaue ich das gar nicht. Was ich so mitbekomme das es fast immer die gleichen Gäste sind, ab und an mit wenigen Wochen Pause, aber sie kommen zurück.

    Mir tun die Journalisten und vor allem professionellen Satiriker und Kabarettisten leid die sich das antun müssen, um neues Material für den nächsten Rundumschlag zu haben, wirklich hartes Brot.

  • M
    Marc

    Auf den ersten beiden Plätzen der Dauerkandidaten bei diversen Talkshows stehen die beiden TV-Sozialisten Gysi und Wagenknecht. Früher war noch der Lafontaine dabei, der aber jetzt sein Schmusi Wagenknecht vorschiebt, die jetzt seine auswendig gelernten Phrasen dreschen darf.