„Missys“ Feminismus-Diskussionsrunde: Parole Brückenbau!
Wie kann man den kleinen feministischen Frühling nach dem Medienhype um den #Aufschrei retten? Darüber ließ das „Missy Magazine“ diskutieren.
BERLIN taz | „Ich liebe meine Mutter. Aber nicht ihre Oberschenkel.“ Angela McRobbie zeigt eine Werbung für die Sportschuhmarke Puma in England. Die Mütter sind die schwabbeligen Frauen, die sich gehen lassen. Die Töchter tun dagegen alles dafür, in der Norm zu bleiben. Niemand ist schuld daran. Sie wollen es selbst. Und Puma hilft ihnen dabei. Wie nett.
Die britische Soziologin Angela McRobbie hält am Pfingstmontagabend im Berliner Theater HAU die Key Note. Geladen hat die feministische Popzeitschrift Missy zu einem Abend unter dem Motto „There is more to sexism than meets the eye“. McRobbie setzt sich schon länger mit den selbstgewählten Zwangslagen junger Frauen auseinander, Top Girls heißt ihr Buch, in dem sie beschreibt, wie der Feminismus der Müttergeneration abgewickelt wird: Undoing Feminism.
Kaum hatte sich der kritische Blick auf die Geschlechterordnung ansatzweise etabliert, kam der Backlash: Wir mögen diese Regulierungen nicht. „Let's be politically incorrect, let's provoke“. Alte sexistische Bilder mit den Anführungsstrichen der Ironie immunisieren und zugleich einen Generationenkonflikt ausrufen – das war die Mischung, die bis heute unglaublich gut funktioniert. Sie lässt Feminismus alt, hysterisch und humorlos dastehen.
Angela McRobbie hat ein Heimspiel an diesem Abend, an dem Missy fragt, was nach dem Sexismus-Aufschrei übrig blieb. Die Lady mit den leuchtenden langen weißen Haaren erreicht die Jüngeren leicht – auch weil im Publikum so ungefähr alle Gender-Studies-Studierende versammelt sind, die Berlin zu bieten hat.
Von „Phantom Feminism“ und „Fake Empowerment“
Was kam nach dem Feminismus der Mütter? Eine neoliberale Schwundstufe, die sich als Meritokratie verkauft: „Du kannst alles schaffen, wenn Du gut bist.“ Die Facebook-Geschäftsführerin Sheryl Sandberg hat diese Aufforderung in Buchform gepresst und „Lean in“ betitelt: „Corporate Feminism“ oder „Phantom Feminism“ nennt McRobbie das. Oder auch „Fake Empowerment“, weil diese Ermächtigung von ihren sozialen Voraussetzungen schweigt und diejenige, die diese Voraussetzungen nicht hat und scheitert, zum Loser stempelt. Auf keinen Fall aber darf man ein „angry feminist“ werden, gesellschaftliche Ächtung ist die Folge.
Außer im HAU an diesem Abend. Auf dem Podium rappt Sookee, dass ihre Battlegegner dasselbe Frauenbild haben wie „Burschis mit Schmiss“ (Burschenschaftler). Und macht sich darüber lustig, dass man sie „Gender Rapperin“ nennt, „dabei sind die ganzen Jungs doch auch Gender Rapper“.
Anne Wizorek, Kommunikationswissenschaftlerin, die anläßlich des Dirndlgates von Rainer Brüderle den #Aufschrei gegen Sexismus auf Twitter initiiert hatte, sieht sich den McRobbieschen Zuschreibungen ausgesetzt: Hysterie- bzw Tugendfuror-Vorwurf vom Bundespräsidenten, Bagatellisierung.
Sonja Eismann, Missy-Chefin und Moderatorin des Abends, fragt, was beim Aufschrei verloren ging, etwa die Frage nach Klassenzugehörigkeit und ethnischer Herkunft. Hat sich da nur die weiße, junge, gutaussehende, deutsche obere Mittelschicht verständigt?
Vielfältiger als medial dargestellt
Während Nana Adusei-Poku, Kunst- und Kulturtheoretikerin, die unter anderem an der Berliner Humboldt-Uni lehrte, bei Ethnizität und Klasse im gesellschaftlichen Diskurs eine einzige riesige Leerstelle sieht, merkt Anne Wizorek an, dass der Aufschrei durchaus vielfältiger war, diese Vielfalt aber nicht bis in die Medien vordrang.
Wie kann man den kleinen feministischen Frühling nach dem Medienhype retten? Die Kommunikationswissenschaftlerin Jasmin Mittag will den Aufschrei-Schwung für eine Seite namens Wer braucht Feminismus? nutzen.
Alle anderen Gäste reden dann viel über Pädagogik: Warum erfährt man über Critical Whiteness und Queers of Colour nichts in der Uni, fragt Poku. Sookee findet, dass man in Diskussionen auch achtmal sagen können muss, „was Phase ist“: „Parole Brückenbau!“ und bloß nicht gleich mit Judith Butler schocken. Angela McRobbie macht darauf aufmerksam, dass „predigende Feministinnen“ ebenfalls als Abturner gelten. Und bietet eine realistische aber völlig unsexy Perspektive: Man muss durch die Institutionen marschieren. „Ja, es ist bürokratisch, aber ich bin für bürokratische Frauen!“
Wer hätte das gedacht, dass ein Missy-Abend so endet. Aber er endet auch noch nicht wirklich. Später am Abend spielen Zucker, Kraftwerk auf feministisch, ziemlich druckvoll, ziemlich gut. Und die Postpostfeministinnen mögen das.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Alkoholpreise in Deutschland
Das Geschäft mit dem Tod
Experten kritisieren Christian Lindner
„Dieser Vorschlag ist ein ungedeckter Scheck“
Jüdische Wähler in den USA
Zwischen Pech und Kamala
Regierungskrise der Ampel
Schmeißt Lindner hin oder Scholz ihn raus?
Soziologe über Stadt-Land-Gegensatz
„Die ländlichen Räume sind nicht abgehängt“
Grundsatzpapier von Christian Lindner
Eine gefährliche Attacke