Moritz Thape über den Rauswurf Kurt Hübners: „Ich bin der Buhmann“
Mit einer eigenen Produktion feiert das Theater Bremen die legendäre Zeit seines von der Fachwelt umjubelten Intendanten.
taz: Herr Thape, sind Sie der Hübner-Killer?
Moritz Thape: Ach was. Gar nicht.
Einer der Nachfolger Kurt Hübners als Intendant hat Sie so genannt, weil Sie den umjubelten Theaterchef 1973 rausgeworfen haben. Oder stimmt das nicht?
Doch, habe ich – und zu Recht.
Aber – der große Hübner! Vielen gelten seine Bremer Jahre als die goldenen des bundesdeutschen Schauspiels! Und das Bremer Theater widmet ihnen sogar eine eigene Produktion!
Hübner ist zwar von allen Feuilletonisten der überregionalen Zeitungen gelobt worden, aber das Bremer Publikum ist weggeblieben. Die haben da nicht mehr mitgemacht. Also mussten wir eine Trennung vornehmen, um wieder zu Verhältnissen zu kommen, die einer Stadt wie Bremen zuträglich sind.
93, Bürgermeister und Senator a. D., lernte zunächst Maschinenschlosser und erhielt 1940 "Studienverbot für das gesamte Deutsche Reich".
Nach 1945 - aus dem Kriegsdienst kehrte er mit schwerer Verwundung heim - trat Thape der SPD bei, und arbeitete als Journalist, zunächst in Halle, nach Zwangsvereinigung Übersiedlung in den Westen.
In Bremen wurde er als Chefredakteur des Partei-Blatts Bremer Bürgerzeitung 1959 Abgeordneter der Bürgerschaft, später SPD-Landesvorsitzender und ab 1965 Senator - zunächst für Bildung, Wissenschaft und Kunst, dann nur noch für Bildung, zuletzt für Finanzen. 1985 schied Thape aus der Regierung aus.
War den Abonnenten das Bremer Theater zu modern?
Es war zu unübersichtlich. Es waren ja auch Inszenierungen dabei, die alles auf den Kopf gestellt haben. Peter Zadek hat in den 90er-Jahren in der Zeit mal geschrieben: Wir haben die Theater leer gespielt, es wird jetzt Zeit, dass wir wieder das Publikum reinbringen. Zadek hat also sehr genau gewusst, was sie da gemacht haben – sie haben zum Teil gegen große Teile des Publikums gespielt. Die Hübner-Jahre sind ja nicht allein durch Hübner geprägt worden, sondern durch die Inszenierungen, die er zugelassen hat. Peter Zadek hat da einen großen Anteil.
Wird diese Zeit heute verklärt?
Die ist damals schon verklärt worden. Ich bin dabei der Buhmann, und das wird auch so bleiben. Aber es stört mich nicht.
Kurt Hübner (1916-2007) war von 62 bis 73 Bremer Intendant. Die Ära gilt vielen als wichtigste des bundesrepublikanischen Theaters.
Hübner scharte Regisseure wie Peter Zadek, Rainer-Werner Fassbinder und Peter Stein um sich, Bühnenbildner wie Wilfried Minks und Erich Wonder. Johann Kresnik entwickelte hier das moderne Tanztheater.
50 Jahre nach Hübners erster Saison widmet sich das Bremer Theater seinem Wirken mit nostalgischen Talks und einer Gedenk-Produktion.
In ihrer Zeit als Senator wurden viele Schulen gebaut und auch die Universität gegründet – und doch bleiben Sie in Erinnerung vor allem als derjenige, der Kurt Hübner den Stuhl vor die Tür gestellt hat …
Dabei war ich das nicht alleine: Es gab ein Gremium, dass da mitzuentscheiden hatte, in dem Abgeordnete der Bremischen Bürgerschaft, aber auch Vertreter des Theaters saßen. Wir haben gemeinsam entschieden, uns von Hübner zu trennen.
Aber Sie wollten ihn schon vorher loswerden!
Im Jahr zuvor gab es dagegen große Proteste, mit Fackelzügen der Jungsozialisten und so, also hatte ich mich bereit erklärt, das Engagement noch ein Jahr fortzusetzen. Ich wollte damals eine Normalisierung des Theaters erreichen. Bremen sollte wieder ein Theater bekommen, das von den Bremern angenommen wird.
Als Hübner ging, gab es 7.000 Solidaritätsunterschriften für ihn.
Das ist ja kein Problem, die zu bekommen.
Wurde es mit dem Nachfolger Peter Stoltzenberg besser, der Größen wie George Tabori, Evelyn Hamann und Barbara Sukowa nach Bremen holte?
Zunächst nicht besonders. Aber ab 1975 war ich dann auch nicht mehr als Senator für das Theater verantwortlich.
Kurt Hübner hat als Intendant viel Geld ausgegeben. War das auch ein Grund, ihn rauszuwerfen?
Einmal hat er eine Kulisse für 60.000 Mark bauen lassen – um sie dann wegzuwerfen, es ist Honorar geflossen, um Shakespeare-Übersetzungen noch einmal zu übersetzen und so weiter. Aber diese Dinge waren an sich nicht der Grund, warum ich auf eine Änderung gedrängt habe. Im Übrigen: Es gibt ja bis heute kaum ein Theater in Deutschland, wo ein Intendant so lange tätig sein kann wie Hübner damals in Bremen. Es ist ja nicht so, dass wir ihn nach kurzer Zeit gedrängt hätten, zu verschwinden.
Danach hat Hübner nie wieder die Intendanz eines Stadttheaters bekommen: Die Freie Volksbühne in West-Berlin, wo er bis 1986 war, hatte nicht mal ein eigenes Ensemble …
Ja genau: Warum wohl haben sich die vielen Leute, die ihn vorher so gelobt und gefeiert hatten, nicht in Scharen um ihn gerissen? Es ist leichter, jemand zu loben, wenn er woanders etwas macht. Da war eine Menge Unehrlichkeit dabei.
Doch Hübners Ära in Bremen gilt vielen als fruchtbarste Phase des deutschen Theaters. Wie schätzen Sie das ein?
Ich bin kein Fachmann auf diesem Gebiet. Ich kann diese Frage nicht beantworten.
Hübner soll beklagt haben, dass Sie sich gar nicht fürs Theater interessierten.
Das stimmt nicht. Ich habe damals fast jede Premiere mitgemacht. Wenn jemand gesagt hat, ich sei damals nie im Theater gewesen, so ist das eine glatte Lüge! Im Übrigen hatte ich damals aber ganz andere Sorgen: Bremen war in dieser Zeit eine der kinderreichsten Großstädte in Deutschland. Wir mussten Schulen bauen, Schulen bauen und nochmals Schulen bauen. Und ich hatte große Auseinandersetzungen wegen der Universität, die damals als rote Kaderschmiede verschrieen war und heute als Exzellenz-Uni einsame Spitze ist. Das Theater war eine Marginalie.
Sie waren nur nebenbei Kultursenator?
Nein, aber ich habe viele andere Aufgaben anpacken müssen.
War das politische Bremen gar nicht stolz auf den Ruhm des „Bremer Stils“?
Für den war eigentlich mehr Peter Zadek verantwortlich. Hübner hat vor allem Menschen tätig sein lassen, die etwas Neues versucht haben. Das ist sicher sein Verdienst gewesen. Aber man muss auch die Wünsche und Geschmäcker der Bürger berücksichtigen. Das war der Vorwurf: Hübner hat anderes als den „Bremer Stil“ nicht zugelassen. Der wurde überall gefeiert, aber keiner hat ihn übernommen.
Hübner wollte danach lange Zeit nicht wieder nach Bremen kommen. Stattdessen, so wird erzählt, hatte er auf der Toilette einen Hampelmann hängen – mit ihrem Konterfei…!
Warum auch nicht? Ich habe nichts dagegen.
Was war er für ein Mensch?
Ich habe ihn bei Premieren als zugänglichen Menschen erlebt.
Haben Sie sich je mit ihm versöhnt?
Nein, wir hatten uns ja nicht gestritten. Ich habe mich nur, auch als Verantwortlicher für die Finanzen, gegen bestimmte Dinge gewehrt, die vom Theater und Hübner als selbstverständlich beansprucht wurden. Und die wir nicht bezahlen konnten. Das ging auf Dauer nicht gut. Ausgaben und Einnahmen mussten doch zumindest ein bisschen in Einklang gebracht werden. Wir haben ja jeden Theaterplatz mit mehr als 100 Mark subventioniert.
Bundesweit in der Kritik stand damals auch der Leiter der Kulturverwaltung, Eberhard Lutze – wegen seiner NS-Vergangenheit.
Man hat ihm vorgeworfen, 1939, als junger Wissenschaftler, den Veit Stoß-Altar in Krakau demontiert zu haben, im Auftrag der Berliner Kulturverwaltung der Nazis. Er hat das gemacht – aber was hätte er denn tun sollen? In dieser Zeit haben viele Deutsche Dinge gemacht, die uns nicht gut getan haben. In allen Verwaltungen Deutschlands gab es damals Leute, die auch während der Nazi-Zeit tätig waren. Auch Kurt Hübner hatte meines Wissens unter den Nazis in einer Propaganda-Kompanie der Wehrmacht gedient. Nur ist ihm das nie vorgeworfen worden, weil man ihn gerne hatte.
„War da was? Die Hübner Jahre“: heute, 20 Uhr, Theater Bremen
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