piwik no script img

Kolumne DarumHai gegen Bär? Briegel gegen Götze!

Maik Söhler
Kolumne
von Maik Söhler

Es beginnt die fußballfreie Zeit. Ein guter Moment, um Kindern die Geschichte des deutschen Rumpelgekicke und Fernseh-Fremdschämens nahezubringen.

Hans-Peter Briegel, „die Walz aus der Pfalz“, im Einsatz. Bild: dpa

W enn ein Hai gegen einen Braunbären kämpft, wer gewinnt da? Wer hat mehr Macht, Darth Vader oder Angela Merkel? Sind Deutsch-Hausaufgaben schlimmer als das, was Assad in Syrien anrichtet? Es ist noch nicht lange her, dass uns ständig Fragen umschwirrten, in denen sich Äpfel und Birnen am gleichberechtigten Dasein erfreuten.

Auf eine Frage aber warte ich bis heute. Wer gewänne im Duell des alten Fußballs mit dem neuen? Wie also sähe Mario Götze nach einem 90-minütigen Duell mit Hans-Peter Briegel aus? Meine Kinder sind verwöhnt, was den deutschen Fußball angeht – auf Vereins- wie auf Nationalmannschaftsebene.

Das deutsche Champions-League-Finale. Barcelona deklassiert. Real mehrfach besiegt. Halbfinal- oder Finalteilnahme bei allen Welt- und Europameisterschaften der letzten Jahre. Dass Spieler wie Götze, Reus, Gündogan, Müller und Özil auf eine Art Fußball spielen, die schön und effizient zugleich ist, erscheint ihnen als das normalste der Welt.

taz
Maik Söhler

ist Chef vom Dienst bei taz.de. Maik Söhler auf Twitter.

Mir geht es anders. Ich bin aufgewachsen mit Hans-Peter Briegel, Horst Hrubesch und den Förster-Brüdern. In einer Zeit, als der 1. FC Köln deutscher Meister wurde, Bayer Uerdingen im Europapokal der Pokalsieger Dynamo Dresden bezwang und der SV Darmstadt 98 in der Bundesliga spielte. Bei einer EM-Qualifikation zitterte sich der deutsche Rumpelfußball bzw. rumpelte sich der deutsche Zitterfußball zu einem 2:1 gegen Albanien.

In den Achtzigern rechnete man selbst als Kind regelmäßig damit, dass einem beim Fußballgucken im Fernsehen schlecht wird, bei großen Turnieren hatte ein Eimer neben der Glotze zu stehen. Damals gab es das Wort Fremdschämen noch nicht. Das ist gut, denn die Fußballjahre zwischen 1978 und 1986 sind als kurzes Fremdschämjahrzehnt viel zu positiv bezeichnet.

Wir glaubten lange, dass es schlechter nicht ginge, aber da kannten wir die Europameisterschaften der Jahre 2000 und 2004 noch nicht und konnten nicht ahnen, dass die größte Hoffnung des deutschen Fußball einmal Carsten Jancker heißen würde. Jancker und Briegel – diese Namen sagen meinen Kindern nichts. Deswegen muss ich mir die Götze-Briegel-Frage selbst stellen.

Alle Endspiele sind nun vorbei, es beginnt die lange fußballfreie Zeit, von der es heißt, die Menschen sprächen wieder mehr miteinander. Dann lasst uns über Fußball sprechen. Für Kinder ist es wichtig zu wissen, was gestern war. In der Schule gibt es das Fach Geschichte, beim Besuch der Großeltern hören sie von Urgroßeltern, in Fotoalben sehen sie sich selbst vor vielen Jahren. Nur der Fußball hat für sie keine Vergangenheit. Das soll sich ändern.

Baut einer Mist, gibt's eine Strafe. Die aber ändert meistens nichts. Ein neues Strafsystem muss her: Wer abends rumstreitet, hat am nächsten Tag mit mir das 0:3 gegen Portugal anzuschauen, nach dem Deutschland in der Vorrunde der EM 2000 ausschied. Zimmer nicht aufgeräumt? Antreten zur 1. Runde in der DFB-Pokal-Saison 1990/91, in der Bayern München gegen den FV 09 Weinheim mit 0:1 verliert. Vergammelte Brote der letzten drei Tage noch im Schulranzen? Da hilft nur „Die Schande von Gijon“ in voller Länge.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Maik Söhler
Journalist
Jahrgang 1969, Leitender Redakteur des Amnesty Journals. War zwischen 2010 und 2020 Chef vom Dienst bei taz.de. Kartoffeldruck, Print und Online seit 1997.
Mehr zum Thema

7 Kommentare

 / 
  • L
    Lockenfrosch

    Zitat: "Wie also sähe Mario Götze nach einem 90-minütigen Duell mit Hans-Peter Briegel aus?"

     

    Wahrscheinlich ziemlich abgehetzt. Denn Briegel war ob seiner Kondition gefürchtet und wäre Götze mit Sicherheit über die volle Distanz überall hin gefolgt. Allerdings war Briegel eigentlich im offensiven Mittelfel zuhause, auch wenn er gerade im DFB-Dress oft als Innenverteidiger aushelfen durfte aufgrund seiner physischen Präsenz, Kopfballstärke und nicht zuletzt seiner Antrittsschnelligkeit - Briegel kam ja aus der Leichtathletik.

     

    Zitat: "Das deutsche Champions-League-Finale. Barcelona deklassiert. Real mehrfach besiegt. Halbfinal- oder Finalteilnahme bei allen Welt- und Europameisterschaften der letzten Jahre."

     

    Mal sehen... 70er Jahre: Gladbachs fulminantes 7:1 über Inter Mailand, anulliert nur aufgrund Boninsegnas äußerst unsportlicher Schauspielerei, die Italiener waren damals schon für ihre Schauspieleinlagen mindestens ebenso gefürchtet, wie für ihren Cattenaccio. Überhaupt Gladbachs Duelle mit Liverpool FC, der wahrscheinlich besten europäischen Clubmannschaft der 70er sind einfach legendär - wenn auch oft mit dem besseren Ende für die Reds von der Insel. Die Gladbacher Fohlen erreichten in den 8 Jahren zwischen 1972 und 1980 viermal das Endpsiel im UEFA-Cup, der 1980 übrigens schon im Halbfinale eine rein deutsche Angelegenheit zwischen Gladbach, Bayern, dem VfB Stuttgart und Eintracht Frankfurt war. Da die fünften im Bunde aus Kaiserslautern erst im Viertelfinale gegen die Münchner ausschieden wurde in diesem Jahr kein einziger deutscher Teilnehmer dieses Wettbewerbs durch einen nichtdeutschen Club geschlagen. Mehr Dominanz ging damals nicht. Dazu der FC Bayern, die 74-76 den Landesmeistercup dreimal hintereinander an die Isar holten. Nicht zu vergessen der Hamburger SV, der innerhalb von nur 7 Spielzeiten viermal ein europäisches Pokalfinale erreichte und zwei davon gewann, als erste deutsche Mannschaft überhaupt in allen drei Wettbewerben im Endspiel stand, das 5:1 im Halbfinale gegen Real Madrid ein unbestrittener Höhepunkt im deutschen Vereinsfussball. Die Zeit von Anfang der siebziger bis Mitte der achtziger Jahre war wohl die erfolgreichste Zeit deutscher Vereine auf europäischer Bühne, so stark war die Bundesliga seitdem nie wieder. Die deutschen Clubs dominierten Europa etwa so, wie es im letzten Jahrzehnt die spanischen und englischen Clubs getan haben.

     

    Und die Nationalmannschaft? Die stand zwischen 1972 und 1986 in acht Turnieren sechsmal im Finale, je dreimal bei einer WM und dreimal bei einer EM. Auch das ist bis heute unerreicht. Durchwachsene oder schlicht unterirdische Leistungen in Qualifikations- und Freundschaftsspielen der Nationalmannschaft gibt es auch heute noch, von den Färöern bis zur Ukraine, von Ungarn und Österreich bis Schweden.

     

    Zitat: "Dass Spieler wie Götze, Reus, Gündogan, Müller und Özil auf eine Art Fußball spielen, die schön und effizient zugleich ist, erscheint ihnen als das normalste der Welt."

     

    Ein Netzer, Bonhof, Overath, Rummenigge, Littbarski, Hansi Müller, Hölzenbein, Magath und Hrubesch brauchen sich da nicht verstecken. Auch wenn der Fussball vor 30 Jahren noch ein ganz anderes Spiel war, was Tempo und Athletik betrifft.

     

    Zitat: "In den Achtzigern rechnete man selbst als Kind regelmäßig damit, dass einem beim Fußballgucken im Fernsehen schlecht wird, bei großen Turnieren hatte ein Eimer neben der Glotze zu stehen. Damals gab es das Wort Fremdschämen noch nicht. Das ist gut, denn die Fußballjahre zwischen 1978 und 1986 sind als kurzes Fremdschämjahrzehnt viel zu positiv bezeichnet."

     

    Das ist einfach nur Unfug. Sicherlich hat der DFB mit dem deutschtümelnden "Häuptling Silberlocke" nicht gerade einen "Glücksgriff" getan, was Innovation und attraktive Spielweise anbetraf. Dennoch wurde das Team 1980 sehr überlegen Europameister und kam bei der folgenden WM in Spanien wenn auch mit ein wenig Glück (Elfmeterschiessen gegen Frankreich) so doch völlig zu Recht ins Finale. Beschämend waren da eher die Begleitumstände (Gijon, Battiston) und die dilettantische Öffentlichkeitsarbeit des DFB in diesen Dingen.

     

    Zitat: "Wir glaubten lange, dass es schlechter nicht ginge, aber da kannten wir die Europameisterschaften der Jahre 2000 und 2004 noch nicht (...)"

     

    Das Malheur begann doch schon wesentlich früher mit dem "Lucky Punch" den Berti Vogts mit seinem Defensivfussball bei der EM in England erzielte und der eine große Strahlkraft auf die Beibehaltung der "deutschen Tugenden" ausübte und am überholten System mit Libero und dem behäbigen Spielaufbau aus der Spätära Helmut Schöns festhalten liess, während die übrigen führenden Fussballnationen auf Viererkette umstellten. Tschechien und Niederlande beispielsweise zeigten da tatsächlich eine um Welten bessere Spielanlage.

     

    Die WM in Frankreich war das erste richtige deutsche Fiasko (1994 sprach man beim Ausscheiden gegen die Bulgaren noch von "Pech", Kroatien allerdings zeigte überdeutlich die Grenzen des deutschen Spiels auf), die folgende EM, wahrscheinlich das schwächste und trostloseste Turnier, das eine deutsche Fussballnationalmannschaft jemals gespielt hat, kommentierte Campino von den Toten Hosen mit den Worten: "Manche sagen, sie gehen zu Deutschland. Ich gehe zum Fussball." Und Recht hatte er, da wo Deutschland in diesen Jahren spielte war der Fussball ganz weit weg. Auch die WM 2002 darf man in diese Kategorie stecken, selbst wenn das Finale erreicht werden konnte. Mit viel Losglück und Dank blinder(?) Schiedsrichter - die USA hätten eigentlich ins Halbfinale gehört. Und das wollte damals noch was heissen. Erst Klinsmann vermochte dem deutschen Team wieder Leben einzuhauchen.

     

    Zitat: "Antreten zur 1. Runde in der DFB-Pokal-Saison 1990/91, in der Bayern München gegen den FV 09 Weinheim mit 0:1 verliert."

     

    Gerne. Denn das hat mich damals doch sehr gefreut. Nicht nur, weil das hier gerade um die Ecke liegt.

  • H
    Hottensen

    Rumpelgekicke war vielleicht 2000, aber die Nationalelf von 1980 bis 1990 war in weiten Teilen auf Weltniveau. Andere Länder kochten auch nur mit Wasser und die Spielsysteme sind überhaupt nicht zu vergleichen. In der SZ gab es kürzlich einen schönen Artikel über die Försters als Fußballer, die ihrer Zeit weit voraus waren. Und Horst Hrubesch war Gott!

  • R
    RumpelStenz

    Lieber Autor,

    Briegel war ein Verteidiger mit Weltklasse-Niveau und nur weil er nicht elegant war, war er noch lange nicht niveaulos (vgl. auch seine großen Erfolge in Italien sowie die Wertschätzung, die er dort erfuhr). Dass er Pfälzer war spricht nur von Berlin aus gesehen gegen ihn. Jancker war ein Stürmer, auf den das Prädikat Weltklasse nicht zutrifft. Da hilft auch nicht der Arbeitgeber Bayern München. Die rhetorische Achse des Artikels funktioniert also nicht.

    Grüße aus der Welt der Achtzigerjahre

    P.S.: Briegel kam gut mit Maradona zurecht. Hätte er sich vor Götze fürchten müssen?

  • B
    berlin1055

    ...ich schick' meine Jungs auch vorbei...und hole sie regelmäßig in der ALten Försterei in die Realität des Zweitligafussballs zurück...sie gehen trotzdem mit Begeisterung hin...

     

    Vielen Dank für den Artikel...

  • C
    cicero666

    Ein wenig differenzierter dürfte es schon sein!

     

    Schließlich hat die Generation Jogi noch nicht einen Titel geholt. Und nur mit Schöngespiele erreicht man gar nix! Siehe das letzte EM-Spiel gegen durchschnittliche Italiener!

     

    Auf der Haben-Seite der vom Autor so wortreich gescholtenen Förster-, Rummenigge-, Matthäus- und Klinsmann-Zeiten stehen dagegen zwei Europameistertitel und ein WM-Sieg!

     

    Diese Erfolge muss das gegenwärtige Nutella-Team erst mal erreichen! Denn Letztlich gilt: Zweite Plätze sind was für Verlierer!

  • R
    Ruffels

    Das war wirklich Rumpelfußball. Mir ging es in den Achzigern genauso, als Kind/Jugendlicher ein Länderspiel mit deutscher Beteiligung anschauen zu müssen war die absolute Höchststrafe.

    Allerdings standen "wir" 1982, 1986 und 1990 im Finale der WM und sind 1990 sogar Weltmeister geworden (wobei der Fußball 1990 schon deutlich attraktiver war). Von diesen Erfolgen sind Jogi, Schweini und Co. noch weit entfernt. Manchmal wünsche ich mir den Rumpelfußball wieder zurück...

  • N
    nemorino

    Sehr einseitige Sicht! Auch damals gab es großen Fußball deutscher mannschaften und begeisternde Siege. Vor allem aber die richtige Einstellung. Kampf und unbedingter Siegeswille. Die heutige Schönspielernationalmannschaft könnte sich von dieser alten deutschen Fußballmentalität eine Scheibe abschneiden. Siehe 4:4 gegen Schweden. Ein 4:0 hätten die Försterbrüder niemals mehr hergeschenkt. Wenn sich die Nationalmannschaft nicht auf die alten Traditionen des deutschen Fußballs, die immerhin 6 große Titel erbrachten, zurückbesinnt, wird es auch in Brasilien nichts. Das Beste wäre, Löw wurde sofort durch Heynckes ersetzt. Der weiß, was Kämpfen ist!