piwik no script img

Flüchtlinge in Hamburg„Es geht nicht um Imagefragen“

Zwei SPD-Abgeordnete fordern „Solidarität mit Flüchtlingen in Hamburg“ – entgegen der erklärten Linie des eigenen Senats.

„Haben in der Stadt keine Perspektive“: Protestaktion der libyschen Flüchtlinge Ende Mai im Hamburger Rathaus. Bild: dpa
Interview von Kristiana Ludwig

taz: Herr Abaci, der SPD-Senat lässt obdachlose Flüchtlinge seit Monaten auf der Straße schlafen. Sie fordern jetzt, „Menschen in Not zu helfen“.

Kazim Abaci: Ich möchte klarstellen, dass sich unser Aufruf nicht speziell auf diese afrikanischen Flüchtlinge bezieht. Wir haben ihn verfasst, weil sich der Senat seit Monaten bemüht, Unterkünfte für Flüchtlinge zu organisieren. Doch er stößt an bestimmte Grenzen.

Welche sind das?

Wenn eine Unterkunft in einem Stadtteil installiert werden soll, gibt es immer wieder Widerstände. Es gibt Vorbehalte. Deshalb ist es wichtig, dass die Bevölkerung sagt: Diese Menschen sind unsere Nachbarn und sie brauchen unsere Unterstützung.

Ihr Aufruf richtet sich gar nicht an Ihre eigene Partei?

Er richtet sich an alle Parteien und an die Bürgerinnen und Bürger. Es geht hier nicht darum, Parteipolitik zu machen. Dass er zu diesem Zeitpunkt, an dem in der Stadt über die afrikanischen Flüchtlinge diskutiert wird, mit ihnen in Zusammenhang gebracht wird, ist nicht sehr zielführend.

Alle anderen Flüchtlinge – bloß nicht die afrikanischen?

Es geht nicht darum, Flüchtlinge gegeneinander auszuspielen. Wir bedauern sehr, dass es zwischen Kirche und Behörde zu keiner Einigung gekommen ist, was die humanitäre Unterbringung angeht. Das Angebot der Stadt gilt aber weiterhin.

Paulina Holbreich
Im Interview: 

Kazim Abaci

47, ist Fachsprecher für Integration der Hamburger SPD-Fraktion. Er leitet den Verein "Unternehmer ohne Grenzen".

Die Kirchen fordern eine Nothilfe unabhängig von den Papieren der Menschen. Auch Sie fordern, die Würde „eines jeden Menschen“ zu achten.

Alle, die hier Asyl beantragen, müssen auch ihre Identifikation vorlegen. Das zu verlangen, ist nicht menschenunwürdig, das ist selbstverständlich. Außerdem ist nur so eine zielgerichtete Beratung möglich.

Ließen sich die Flüchtlinge registrieren, könnte der Senat sie nach Italien abschieben. Deshalb haben die Kirchen die Gespräche abgebrochen.

Die Stadt ist weiter gesprächsbereit. Wenn jemand über Italien hierher kommt, dann nur für eine bestimmte Zeit. Danach hat er sich wieder dort aufzuhalten, wo er herkommt. Ich möchte keine Sozialromantik betreiben. Diese Flüchtlinge haben in der Stadt keine Perspektive, das muss man klar kommunizieren. Sie können kein Deutsch und sie haben keine Arbeitserlaubnis. In Italien dürfen sie arbeiten.

Die Flüchtlinge sagen, dass sie in Italien noch schwierigere Lebensumstände erwarten.

Das kann so sein. Das muss man auf der Bundesebene diskutieren. Aber das Land Hamburg kann nicht sagen: Wir akzeptieren die Gesetze nicht und die Menschen bleiben hier.

Die FDP kritisiert, dass der Senat nun den Kirchen die Versorgung dieser Gruppe überlässt. Sie ist also die humanere Partei.

Das stimmt nicht, denn unser Angebot gilt weiterhin. Auch eine Rechtsstaatspartei wie die FPD sollte für Recht und Gesetz eintreten.

Schadet die Debatte der SPD?

Ich möchte unser ganzes Bemühen im Bereich der Flüchtlingspolitik nicht nur auf diese spezielle Gruppe reduziert wissen. Wir machen viel in der Stadt, etwa was die Gesundheitsversorgung oder den Zugang zur Bildung angeht. Es ist ja nicht so, als wären wir eine herzlose Partei.

Aber genau das ist gerade in den Zeitungen zu lesen.

Wir machen keine Politik nach Medienkonjunktur. Wir müssen eine konsequente Politik machen.

Warum veröffentlichen Sie dann gerade jetzt Ihren Aufruf?

Weil wir seit Monaten händeringend nach Wohnunterkünften in der Stadt suchen und das nur mit der Unterstützung der Zivilgesellschaft gelingt. Das Anliegen ist und bleibt richtig.

Ein Appell zusammen mit Kirchenvertretern, die ganz anderer Meinung sind als der Senat. Wollen Sie nicht ganz so herzlos dastehen?

Es geht nicht um Imagefragen. Es geht darum, dass wir mit der öffentlichen Unterbringung an Grenzen gestoßen sind.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

7 Kommentare

 / 
  • S
    Sabine

    Sehr geehrter Herr Abaci,

    ich habe selten einen so sachlichen und unaufgeregten Artikel zur Flüchtlingsproblematik gelesen. "Großes Kompliment", wenn ich mir das erlauben darf. Das ist in meinen Augen genau die richtige Art und Weise der Argumentation.

  • BU
    Barbara Uduwerella

    @Daaa

    Die Frauen und Kinder sind in ihren Heimatländern und warten auf Unterstützungszahlungen ihrer Männer oder auf die Möglichkeit nachzureisen.

    Herr Abaci sieht es richtig. Es geht nicht nur um Imagefragen, sondern auch um die Folgen, wenn man Rechtsbrüche anderer EU- Länder kommentarlos hinnimmt und die Kosten bedingungslos übernimmt.

    Die vorwiegend aus Westafrika, Ghana, Mali oder der Elfenbeinküste stammenden Männer leben teils seit Wochen in Hamburg auf der Straße. Sie waren als Wanderarbeiter in Libyen, haben also eine Heimat und auch dort soziale Bindungen.

    Unser Asylrecht akzeptiert nur die politische Verfolgung als Asylgrund, keine wirtschaftlichen Gründe. Wenn ich im Ausland arbeite und dort brechen Unruhen aus, bekäme ich auch nicht im Land meiner Wahl Asyl, sondern man mutet mir zu, nach Deutschland zurückzukehren.

    Wir haben eine faire Wirtschaftspolitik zu betreiben und sollten als Bürger, wenn wir im Ausland Urlaub machen, uns mehr um die Verhältnisse, die im Urlaubsland herrschen, informieren.

    Wenn kleine, bettelnde Kinder am Tag höhere Einnahmen erzielen als der Familienvater durch harte Arbeit im Monat, so darf es uns nicht wundern, wenn die Menschen dort glauben, sie würden innerhalb kurzer Zeit bei uns Unsummen verdienen können.

     

    Einerseits darf man EU- Länder nicht mit der wirtschaftlichen Last der Beherbergung u. Versorgung mittelloser Menschen allein lassen, andererseits darf man es auch nicht stillschweigend hinnehmen, dass EU- Länder, wie jetzt Italien, mittellose Menschen abschiebt, um die finanzielle Last anderen Mitgliedsstaaten aufzubürden und damit auf den Gefühlen der Menschen trampeln, die ausgezogen sind, ihre wirtschaftliche Situation zu verbessern.

  • V
    Vollweib

    Leider kann ich mich nur auf Hören Sagen beziehen, weil so etwas Schlimmes darf natürlich nicht sein und betrifft ja eben "nur" Frauen und Kinder. Hier wäre Forschungsarbeit nötig, aber auch hier wieder: Es betrifft ja "nur" Frauen und Kinder. Perspektiven Wechsel ist in!

  • A
    Altonaerin

    @Paul aus Altona

     

    Über die Brücke geh ich nicht !

     

    Das hat Italien,noch mit keiner mir bekannten

    Flüchtlingsgruppe gemacht .

     

    Über 300 alleinstehende ältere Männer,ohne Anhang?

     

    Warum?

  • PA
    Paul aus Altona

    @"Vollweib". Im Fall der Flüchtlinge jetzt ist es nach deren Angaben wohl so gewesen: Nach der vorangegangenen Lagerschließung in Italien wurde den dort untergebrachten Frauen, wie auch deren Männern ein Angebot für einen zumindest vorläufigen weiteren Verbleib vom italienischen Staat gemacht. Alleinstehenden Männern, die ohne Frauen / Familie geflüchtet waren wurde hingegen dann ein Turistenvisum ausgestellt und ihnen gesagt, dass sie sich woanders, z.B. in Deutschland mal was suchen sollen.

  • D
    Daaa

    Das, was Vollweib anspricht, frage ich mich, ehrlich gesagt, auch schon seit einiger Zeit: Ich frage mich auch, wo die Frauen und die Kinder sind. Ich weiß es absolut nicht. Das würde mich allerdings sehr interessieren...

  • V
    Vollweib

    Schon drüber nachgedacht, wieso immer nur Männer flüchten? Wo sind die Frauen und Kinder? Es ist vorgekommen, dass diese in den Fluten umkommen. So werden sie aus Booten geworfen oder ihre Boote werden zum Kentern gebracht. Ich habe es satt, diese Tatsachen ungesagt zu lassen. Frauen wehrt euch und stellt euch vor Kinder und betroffene Frauen. Redet mit ihnen, nicht aber mit Männern, die ihre Frauen, ihre Kinder und ihr Land offensichtlich im Stich lassen. Perspektiven Wechsel ist in!