Parteikonvent der SPD: Frau Steinbrück redet Klartext
Zum SPD-Parteikonvent in Berlin tritt Kanzlerkandidat Peer Steinbrück erstmals mit seiner Ehefrau Gertrud auf – und kann seine Tränen kaum unterdrücken.
BERLIN taz | Die Frage steht im Raum, der Kandidat hebt das Mikrofon, um zu antworten, und dann – ein unterdrücktes Schluchzen. Und noch eins. Peer Steinbrück kämpft mit den Tränen. Auf offener Bühne. Und es ist ganz nachvollziehbar.
Für den Parteikonvent hatte jemand die „Schnapsidee“ (Steinbrück), den Kanzlerkandidaten zusammen mit seiner Frau zu befragen. Und Gertrud Steinbrück nahm am Sonntagmittag im Berliner Tempodrom kein Blatt vor den Mund: „Wir konnten vorher machen, was wir wollen, wir hatten ein schönes Leben. Und wenn jemand diese ganze Sahnehaube aufgibt, dann muss der doch etwas wollen! Das ärgert mich, wenn das nicht rauskommt“, stellt sie fest. „Die ganzen Bonbons, die da am Hemd kleben, werden immer wieder aufgefrischt, das finde ich schwer zu ertragen.“
Moderatorin Bettina Böttinger fragt Steinbrück direkt: Warum tut er sich das an? Und dann kommt das Schluchzen. Und sonst gar nichts. Bis der Saal sich erhebt und den Kandidaten mit einem rauschenden Beifall abholt.
Frau Steinbrück zählt die Tage
Dabei hatte Steinbrück mit einer ungeschickten Äußerung gerade mal wieder Teile der Partei gegen sich aufgebracht: Im Interview mit dem Spiegel hatte er Sigmar Gabriel öffentlich zur Loyalität aufgefordert. „Ich erwarte, dass sich alle – auch der Parteivorsitzende – in den nächsten 100 Tagen konstruktiv und loyal hinter den Spitzenkandidaten und die Kampagne stellen.“
Ist es geschickt, den Parteichef, dem es im Übrigen wirklich an Loyalität mangelt, öffentlich zu ermahnen? Natürlich nicht. Wieder so ein „Bonbon“, das an ihm klebt. Gabriel fängt die Äußerung pflichtschuldigst wieder ein und betont das gute Miteinander der beiden. Auf der anderen Seite aber steht, dass Steinbrück diese seine Fehler eben auch alle selbst gemacht hat.
Am Sonntag war eine weitere Gratwanderung zu besichtigen. Der Kandidat, dessen Frau ziemlich unverblümt sagt, dass ihr seine Kandidatur nicht gefällt, und dann meint: „Aber ich bin preußisch erzogen. Jetzt wird das Ding auch durchgezogen.“ Die freimütig zugibt, dass sie die Tage bis zur Wahl zählt. Auf dieser Kante läuft das gesamte Gespräch mit der Gymnasiallehrerin. „Gertrud redet Klartext“, twittern manche entzückt.
Maximales Selbstmitleid offenbart sich
Aber hilft es wirklich, wenn die Ehefrau die Parole „Augen zu und durch“ ausgibt? Und was bedeuten vor diesem Hintergrund die unterdrückten Tränen des Peer Steinbrück? Zum einen, dass Steinbrück verletzbar ist. Es ist gut, dass man das auch mal sieht. Zum anderen aber auch, dass er sich selbst maximal bemitleidet. Es sind seine eigenen Fehler, über die er weinen müsste. Es wirkt aber eher so, als fände er, dass der Sigmar und die Presse so gemein zu ihm sind, wo er doch schon sein schönes Leben inklusive Scrabble mit seiner Frau für sie aufgegeben hat.
Steinbrücks Selbstkritik: Er habe „zu spät geschnallt“, dass seine Aussprüche „nicht mehr auf der Folie eines Parteipolitikers gelesen wurden, sondern auf der eines Kanzlerkandidaten“. Am Sonntag fragte man sich, ob er es wirklich schon begriffen hat. Die Veranstaltung sollte übrigens den Start in die heiße Wahlkampfphase signalisieren.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Müntefering und die K-Frage bei der SPD
Pistorius statt Scholz!
Kampf gegen die Klimakrise
Eine Hoffnung, die nicht glitzert
Angeblich zu „woke“ Videospiele
Gamer:innen gegen Gendergaga
Altersgrenze für Führerschein
Testosteron und PS
Haldenwang über Wechsel in die Politik
„Ich habe mir nichts vorzuwerfen“
Rentner beleidigt Habeck
Beleidigung hat Grenzen