Ausstellung zur IT-Geschichte: Die Kybernetik und die Gegenkultur
In Berlin zeigt eine Ausstellung wie in den 1960er Jahren die kybernetische Weltsicht Eingang in die Aussteigerkultur Kaliforniens fand.
BERLIN taz | Die Weltüberwachungs-Technologie „Prism“ ist auch ein hässliches Erbe der Kybernetik, jener heute weitgehend vergessenen Frühform der Informationstechnik, die in den Rechenmaschinen einst das ideale Instrument zur Lösung aller Menschheitsprobleme erblickte. In Berlin zeigt derzeit eine Ausstellung im „Haus der Kulturen der Welt“, wie sich die Kybernetik um ihren Propheten Norbert Wiener mit ihrem systemtheoretischen Unterbau in den 60er Jahren Eingang in die kalifornische Subkultur der Hippies und Aussteiger verschaffte.
Zentralorgan dieser Gegen-Gesellschaft war der „Whole Earth Catalog“, der Produkte und Ideologien für ein alternatives Leben anpries. Keineswegs technikfeindlich, auch kleine Rechenmaschinen waren im Angebot.
Auf einer Fachkonferenz zur „Whole Earth“-Ausstellung schilderte kürzlich der Chronist der kalifornischen Wendezeit, Fred Turner, wie sich die Bewegung in den 70er Jahren in ländliche Kommunarden und computeraffine Unternehmensgründer aufspaltete.
Ausstellung: „The Whole Earth, Kalifornien und das Verschwinden des Außen“, im Haus der Kulturen der Welt, John-Foster-Dulles-Allee 10, Berlin-Tiergarten, verlängert bis 7. Juli 2013.
Katalog: „The Whole Earth. Kalifornien und das Verschwinden des Außen“. 208 Seiten, 22 Eur.
Unter ihnen auch die Garagen-Gründer des heutigen IT-Riesen Apple, die in das Silicon Valley zogen und die dort ansässigen Firmen, die hauptsächlich Technologien für die Luftwaffe produzierten, auf die neue Ära der Micro-Computer ausrichteten.
„Die mit dem Laptop bewaffneten Bürger der Industriestaaten haben die gesellschaftliche Vision des ’Catalog‘ auf einer Ebene umgesetzt, von der seine Gründer nur träumen konnten“, stellte Fred Turner fest.
Heute mutet die anfängliche Befreiungstechnologie des Internet, von den Akteuren der Gegenkultur damals intensiv genutzt, durch ihre Wucherung zu riesigen Konzernen des Informationskapitalismus vielen Nutzern wiederum als Albtraum an.
Das Verdienst der Berliner Ausstellung ist es, die Ursprünge dieser technischen Entwicklungen in Erinnerung zu rufen und am Beispiel des Kalifornismus und seiner „Politik des holistischen Bewusstseins“ (Turner) die Breite des damaligen Veränderungsdenkens darzustellen. In Zeiten des Anthropozäns, der beschleunigten Veränderung des Planeten durch den Menschen, ist der Rückgriff auf solche Wissensbestände wichtiger denn je.
Darum wurde die Schau in der Kongresshalle im Tiergarten bis 7. Juli verlängert. Aber auch, weil der sehr fundierte und umfassende Ausstellungskatalog erst jetzt, kurz vor Toresschluss, fertig wurde. Vielleicht klemmte ja der Computer.
Leser*innenkommentare
lowandorder
Gast
@06.07.2013 09:33 UHR
von Jeder:
oswald wiener.
Als Gebläser kann ich situativ nur sagen:
Danke für den Tip!~||;-
Jeder
Gast
oswald wiener.
lowandorder
Gast
"Vielleicht klemmte ja der Computer. ? 2.0
"…Kybernetik, jener heute weitgehend vergessenen Frühform der Informationstechnik, die in den Rechenmaschinen einst das ideale Instrument zur Lösung aller Menschheitsprobleme erblickte.…"
Nun ja.
Am Anfang war das Wort und der Geist
schwebte über den Wassern.
Wer die Wirkungen Norbert Wieners auf
Technik reduziert, hat - sorry - nix verstanden,
kann man/hat viel vergessen.
So denn:"Allerdings besaß er keine technischen Fähigkeiten, seine Aktivitäten auf dem Gebiet der Technik waren stets theoretischer Natur."
The master himself zu Rechenmaschinen:
"Diese Vorstellungen lagen alle im Denken der Zeit nahe, und ich möchte auch nicht für einen Augenblick etwas Ähnliches wie die Urheberschaft ihrer Einführung beanspruchen.“
Kurz gefaßt: ein Apologet der sich selbst steuernden Systeme!
Und wir wären weiter, wenn das in allen Lebensbereichen
uns allen ein selbstverständlicher Habitus wäre;
nicht nur in Silikon Valley.
Kalifornien?
Ok - aber nehmen wir mal Ratzeburg
zur Zeit des Mathe- und Sportlehrers,
des Studentenboxweltmeisters im Schwergewicht
und Träinerlegende Karl Kalli Adam.
In einem Skiff, einem Einer,
dem schwierigsten und anfälligsten Ruderboot
durfte man nur als
'Senior' ( heute 'Elite') fahren.
Walter Schröder, die Nr 7 ( alte Zählung) im
legendären Rom-Gold-Achter und Zögling
seines auch Mathe-Lehrers Karl Adam,
faßte dieses Boot als kybernetisches Gerät auf
und mit seiner kleinen Schrift dazu revolutionierte
die Ratzeburger Denke prompt einmal mehr den Rudersport.
Plastik löste teilweise Holz ab,
vor allem aber tummelten sich fortan 12-/13-Jährige in diesen
" Plasikbomben" und beherrschten anschließend
mühelos jegliche Bootsgattung;
kriegten ihre Kraft optimal " auf den Löffel"!
Und - teilweise auch dank dessen liegen heute
die Regattazeiten durchweg eine halbe Minute
( das sind Lichtjahre) unter denen von 1960.
So geht's - also auch (ganz ohne NSA und Prism)!