Frauenfußball-EM in Schweden: Wieder auf der Überholspur
Die deutsche Frauennationalmannschaft verbreitet zur rechten Zeit wieder Begeisterung und erobert sich ihre Vormachtstellung zurück.
GÖTEBORG taz | Für Lars Schepull war die Nacht kurz. Gleich morgens um sechs Uhr machte sich der Team Officer der deutschen Frauennationalmannschaft auf zum Nils Ericsonplatsen, um an der Centralstation Göteborg wichtige Unterlagen abzuholen. Nämlich Reservierungen für zwei Großraumabteile im Hochgeschwindigkeitszug SJ 3000. Platzkarten einer 40-köpfigen Delegation für die Fahrt von Göteborg nach Stockholm waren zwar reserviert, aber die Tickets bereits vor dem EM-Halbfinale gegen den Gastgeber abzuholen, kam eben nicht infrage.
Am Donnerstagnachmittag stand der Reise nichts mehr im Wege. Die bereits fast ausverkaufte Arena in Solna mit ihren fast 50.000 Plätzen ist am Sonntag (16 Uhr) Schauplatz des Finales, und die Indizien verdichten sich, dass deutsche Fußballerinnen tatsächlich ihren achten EM-Titel gewinnen, der sechste in Serie wäre das. „Noch einmal für 90 Minuten alles raushauen“, gibt die unerschrockene Simone Laudehr die Devise aus, „wir machen jetzt einfach unser Ding weiter.“
DFB-Präsident Wolfgang Niersbach, der sich den dritten Kurztrip nach Skandinavien binnen acht Tagen gönnen wird, hatte die Klasseleistung beim 1:0-Sieg gegen hinterher extrem enttäuschte Schwedinnen so beeindruckt, dass er zum Endspiel im Mannschaftsbus mitfahren wird.
Dort wird er womöglich Platz nehmen neben Saskia Bartusiak, die einen großen Anteil am – nach eher schwachen Auftritten in der Vorrunde – letztlich überraschenden Einzug ins Endspiel hat. Die gebürtige Frankfurterin ist der Prototyp deutscher Gründlichkeit und wurde zu Recht auch als „Spielerin des Spiels“ ausgezeichnet.
Neue offensive Flexibilität
Wenn jemand beim deutsch-schwedischen Schlagabtausch überragte, dann der druckresistente Dreierblock um Nadine Angerer (34 Jahre), Annike Krahn (28) und eben Saskia Bartusiak (30), die von ihrer Kapitänin als „die am meisten unterschätzte Nationalspielerin“ tituliert wurde.
Tatsächlich bildet defensive Stabilität das deutsche Merkmal während des gesamten Turniers; im Halbfinale gesellte sich dazu offensive Flexibilität. Das Umschaltspiel gelang über die laufstarke Anja Mittag und die befreite Dzsenifer Marozsan. Kein Zufall, dass diese Koproduktion ins Siegtor der Spielmacherin mündete. „Ein Fifty-fifty-Ball, ich bin zuerst mit der Fußspitze dran und dann ist er reingekullert“, erzählte die 21-Jährige.
„Wir haben auch gezeigt, dass wir nach vorne gut Fußball spielen können“, stellte Silvia Neid fest, die „unheimlichen Stolz“ verspürte. Der bei der Weltmeisterschaft vor zwei Jahren angekratzte Ruf als Großmacht ist mit dieser EM gerade noch rechtzeitig aufpoliert. Das ist die sportliche Komponente. In menschliche Aspekte ihres verjüngten Aufgebots ließ die 49-Jährige auch noch bereitwillig blicken. „Das sind alles tolle Menschen. Sie haben Ziele, können Fußball spielen, sind intelligent und haben Spaß. Und wenn man im Finale steht, kann man noch besser miteinander.“
Als Schlüsselerlebnis wertet die Trainerin – im Gegensatz zu Torhüterin Nadine Angerer – nicht die Aussprache nach der 0:1-Niederlage im letzten Gruppenspiel gegen Norwegen, sondern den Kraftakt beim 1:0-Sieg gegen Italien in der Runde der letzten acht. „Nach dem Viertelfinale ist allen ein Stein vom Herzen gefallen. Von da an hatten wir nichts mehr zu verlieren.“
In ihren Einschätzungen schwang zudem Genugtuung mit: gegenüber Kritikern wie dem lästernden Bernd Schröder aus Potsdam; und gegenüber Medien wie dem aufgeregten Boulevardblatt Aftonbladet, das vorher Lotta Schelin mit Wikingerhelm zeigte, um das Ende der deutschen Frauenfußballdominanz abzubilden. „Meinen Spielerinnen habe ich seit Tagen angemerkt, dass sie unbedingt Schweden rauswerfen wollten“, merkte Silvia Neid an.
Das Aus ihrer tapferen Kollegin Pia Sundhage beweinten Schwedens Zeitungen gestern seitenlang. Gut, dass da gleich ein Tröster im Anmarsch ist: Zlatan Ibrahimovic spielt am Samstag mit Paris St. Germain ein Freundschaftsspiel gegen Real Madrid in Göteborg. Für das „Supermatchen 2013“ mit dem exzentrischen Volkshelden wird allerorten geworben, aber ob im großen Ullevi bei den Männern wirklich so ein Superspiel steigt wie nebenan im kleinen Gamla Ullevi bei den Frauen?
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