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mitfahren am sonntag von GERALD FRICKE

Wenn Sie jetzt, in der dunklen Jahreszeit, am Sonntagmorgen unterwegs sein sollten, mit Ihrem Kraftfahrzeug – obwohl es dafür ja eigentlich zu dieser unchristlichen Zeit gar keinen Grund gibt – wenn Sie aber doch um acht, halb neun bei Nieselregen und Schneematsch die Stadt und ihre ländlichen Vororte mit Ihrem Fahrzeug durchpflügen, dann achten Sie bitte ganz besonders auf die gekrümmten, halslosen Gestalten an einsamen Kreuzungen, vor Bretter-Kiosken der Fünfzigerjahre oder, ganz häufig, vor verwaisten Bushaltestellen-Wartehäuschen, die noch den Fahrplan von 1983 anbieten.

Es sind die tapferen Männer der unteren Fußball-Kreisklassen, die hier auf ihren verspäteten Abholer warten und rauchen. Sie stehen recht knapp am Wegesrand, also bitte Vorsicht! Sie stellen sich nicht irgendwo „unter“, sondern ertragen den Matsch, den Regen, den Hohn der Welt in zeugenjehovafester Schicksalsergebenheit.

Nein, sie stehen hier nicht, weil sie es wollen oder gar Spaß daran haben, sie stehen hier, weil es so seine Richtigkeit und Ordnung hat. Die Zigarette tragen sie „nach innen“, in der hohlen Hand, um die Glut vor der schlechten Welt da draußen zu schützen. Das Stirnband ist tief ins Gesicht gezogen, der Kragen der Trainingsjacke aufgestellt. Auf dem Rücken steht „Fleischerei Schiller“. Wie sich nun verhalten? Sehen Sie dazu kurz einen kleinen Knigge, unseren Schulungsfilm „Vorwärts Auswärtssieg“. Film ab!

Vor dem Glascontainer sehen wir sogleich den Schorsch. Da kommt auch schon, etwa zehn Minuten vor Spielbeginn, ein sehr alter Passat ganz laaangsam um die Ecke gekrochen. Darin, zwischen allerhand Altpapier und Kinderspielzeug, drei schlafende Restalkoholisierte mit Restknofi, sehen Sie? Nun beginnt ein schönes Menuett um das Auto. Sporttasche nach vorne, nach hinten oder in den Kofferraum? Schorsch wankt etwas, schauen Sie, aber er entscheidet sich dafür, die Tasche auf den Schoß zu nehmen. Die Zigarette wird weggeschnipst, die Sporttasche jetzt beim Einstieg mit zwei Fingern der rechten Hand über der Schulter getragen, ganz lässig sieht das aus, und mit der nach innen gedrehten linken Hand der Gruß entboten. „Dieter, sei mir doch ersma gegrüßt“ – „Morgen, Schorsch“ – „Andi, alles klar?“ – „Schorsch!“ – „Michael, grüß dich!“ – „Schorsch!“ Der Passat setzt sich in Bewegung.

So weit der kleine Film, danke. Den Projektor bitte zurück an Herrn Pauske von der Landesmedienanstalt, „Wiedersehen macht Freude“, danke, Horst!

So. Nun noch die Hintergrundinfos. Die tapferen Männer der unteren Kreisklassen spielen Sonntagmorgens um neun Uhr auf dem Aschenplatz, damit die Erste Herren nachmittags auf den „Teppich“ kann, den A-Platz, Rasen grün. Sonntagnachmittags aber herrscht keine Gefahr mehr, die Sonne scheint und auf den Straßen finden wir nur vereinzelt einen bunten Renault Kangoo oder eine alte Hanns-Martin-Schleyer-S-Klasse, unterwegs zum „freien Spiel“ einer „Thekenmannschaft“. Verabredet wird sich nicht über „Telefonkette“, sondern per E-Mail-Verteiler. Man ist nüchtern, der Scheitel ist adrett gebürstet, die Achselhöhle frisch. Und jeder fährt alleine, in seinem eigenen Auto. Was soll das?

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