Optionen bei der Hessenwahl: Jenseits von Schwarz-Gelb

Vernunftehe, Traumhochzeit, relaxtes Mittebündnis und eine bürgerliche Horrorvision: In Hessen gibt es Alternativen zu CDU und FDP.

Eine Spinne zerstört die Frankfurter Banken: weniger Fluggäste, keine Nachtflüge, kein Zwist, Weg frei für Schwarz-Grün? Bild: dpa

WIESBADEN/FRANKFURT taz | Am kommenden Sonntag wird gewählt – aber nicht nur im Bund. Knapp 4,5 Millionen wahlberechtigte Hessinnen und Hessen bestimmen zur selben Zeit ein neues Landesparlament.

Seit 14 Jahren regiert in Hessen, sehr zum Verdruss von SPD und Grünen, die CDU, seit 2009 gemeinsam mit der FDP. Momentan liefern sich laut neuesten Umfragen Rot-Grün und Schwarz-Gelb ein Kopf-an-Kopf-Rennen. Noch sind rund ein Drittel der WählerInnen unentschlossen. Sollte die Linkspartei den Einzug schaffen, sind alle Konstellationen durcheinandergewirbelt.

Die taz wagt den Blick über den Koalitionstellerrand und stellt die Zukunft möglicher Bündnisse jenseits von Schwarz-Gelb vor.

Volker Bouffier, der frühere CDU-Hardliner, wird mithilfe einer satten schwarz-grünen Mehrheit im Amt des Ministerpräsidenten bestätigt. Der Grüne Spitzenkandidat Tarek Mohamed Al-Wazir wird sein Stellvertreter.

Wohlfühlwahlkampf der CDU

Klingt absurd? Ach was. In Hessen sind die Zeiten der Polarisierung vorbei. Statt auf rassistische Kampagnen, setzten die Christdemokraten auf einen Wohlfühlwahlkampf à la Merkel. Sogar die Residenzpflicht für Asylbewerber haben sie bereits vor dem schwarz-grünen Wahlsieg abgeschafft. Obwohl Bouffier seine Liebe zu den Grünen zuvor geheim hielt und ihn an Schwarz-Grün angeblich „nichts“ reizte, lobte er die „gute Zusammenarbeit“ der beiden Parteien in Frankfurt.

Dort stellt die Ökopartei seit über sieben Jahren ihre Tauglichkeit für Schwarz-Grün unter Beweis: Sie enthält sich beim Thema Flughäfen, will von linken Blockupy-Protesten nichts wissen und lässt Hausbesetzer von der Polizei räumen.

Auch auf Landesebene gibt es Schnittmengen, etwa in der Bildungspolitik. Ein Selbstläufer ist dieses Bündnis aber keinesfalls. Neben alten Ressentiments geht es auch um Inhalte, etwa die Energiewende. Zum Ehekrach kommt es vor allem beim Thema Verkehrspolitik.

Alles eine Glaubensfrage

Die CDU will Autobahnen bauen, die Grünen fordern ein Tempolimit – eine Glaubensfrage. Die Ökopartei will zudem einen Ausbaustopp und ein längeres Nachtflugverbot am Frankfurter Flughafen, die Union setzt auf angebliches „Wachstum“. Doch die Grünen haben bei diesem Thema ja bereits gelernt, die Koalitionsräson einzuhalten.

Die Motivation, Kompromisse einzugehen, ist zudem groß, weil Bouffier an seinem Amt hängt und Al-Wazir nach vielen Jahren in der Opposition seinem Namen endlich alle Ehre machen kann – der kommt aus dem Arabischen und heißt übersetzt: Minister.

Außerdem gibt es bereits einen Eintrag in die Geschichtsbücher: „Erste schwarz-grüne Koalition in einem Flächenstaat“. Darunter soll nicht stehen: „Kürzeste Koalition aller Zeiten.“ Also strengen sich Volker und Tarek mächtig an.

Besser ruhig runterhängen

Rein rechnerisch ist überhaupt nie eine andere Konstellation auch nur infrage gekommen als ein Bündnis der beiden großen Volksparteien. In allen Umfragen war immer eine absolute Mehrheit für die Große Koalition prognostiziert worden. Kein Wunder, ist Hessen doch ein Land der Mitte und seine Bevölkerung traditionell radikalen Auswüchsen nach links wie rechts abhold. Das Hessen-Pendel soll nicht pendeln, sondern ruhig herunterhängen.

Und so wird mit Volker Bouffier erstmals ein echter Hugenotte zum Oberhessen gewählt, der mit präsidialem Langmut einfach weiter seiner Arbeit nachgeht. Eine Arbeit, die ihm mit dem perfekten Technokraten Schäfer-Gümbel als Stellvertreter wesentlich leichter von der Hand geht als mit dem marktradikalen Jörg-Uwe Hahn von der FDP – der wandert zusammen mit den Linken und den Grünen, die er zuvor als „Ökofaschisten“ bezeichnet hat, in eine ungemütliche Opposition. Denn dort lauert seit 14 Jahren Tarek Al-Wazir, der nun unter hörbarem Zähneknirschen den Posten an Angela Dorn abgibt.

Unterdessen schaltet und waltet Schäfer-Gümbel als hessischer Superminister, wie es ihm beliebt. Ein zwingendes Nachtfluggebot für den Frankfurter Flughafen, eine zusätzliche Startbahn für den Flughafen Kassel-Calden? Her damit! Ein achtspuriger Neubau der Schiersteiner Brücke? Nur zu! Eine Windradorgie auf dem Höhenzug des Taunus? Warum nicht gleich so!

Volker Bouffier sieht’s mit Wohlgefallen, nur manchmal ermahnt er seinen ungestümen Vize hinter verschlossenen Türen. Beide stammen aus Gießen, man kennt sich, man versteht sich. Das hat man schließlich schon vorher bei einem der zahlreichen „Duelle“ der Kandidaten sehen können.

Besonders nett von Bouffier, dass er – vereinbarungsgemäß – nach einer halben Legislaturperiode lautlos den Sessel des Ministerpräsidenten in Wiesbaden für Schäfer-Gümbel räumt.

Sein Traum wird wahr

Die Last der gesamten hessischen Mittelgebirge fällt an diesem 22. September von ihm ab. Thorsten Schäfer-Gümbel, Künstlername „TSG“, hat sich nichts sehnlicher gewünscht als einen Machtwechsel in Hessen zugunsten einer rot-grünen Koalition unter seiner Führung.

Zuvor herrscht mitten in Deutschland so etwas wie Lagerwahlkampf: Schwarz-Gelb gegen Rot-Grün. TSG, Messias der Landes-SPD, hielt weder ein Bündnis mit der Linkspartei („nicht regierungsfähig“) noch mit der CDU („verbraucht“) für möglich. Er steht eben nicht auf die Union und auf einen Dreier hat er auch keine Lust.

Lange Zeit sah es so aus, als könnte TSG seinen Traum wahrmachen. In Umfragen hatte Rot-Grün eine stabile Mehrheit, doch wenige Monate vor der Wahl begann sie zu bröckeln. TSG wurde nervös, immer wieder stellte man ihm die Gretchenfrage: „Wenn die Linke in den Landtag einzieht und Rot-Grün keine eigene Mehrheit hat, würden Sie dann …?“ Daran wollte er nicht denken, er sprach lieber von „Wechsel“ und „Gerechtigkeit“.

Jetzt bekommt er Recht: Rot-Grün hat im neu gewählten Landtag eine Stimme Vorsprung. Das, was Konservative als „Einheitsschule für alle“ und „Abschaffen des Sitzenbleibens“ verspotten, kann TSG mit seinem Traumpartner nun umsetzen. Zudem wollen SPD und Grüne mehr Ganztagsschulen, die Mietpreisbremse und eine bessere und schnellere Energiewende.

Doch auch in der rot-grünen Welt ist nicht alles heil. Neben dem Thema längere Gymnasialzeit (G 9) sorgen vor allem die hessischen Flughäfen für Ärger. Die Grünen sind gegen das Millionengrab Kassel-Calden. Zudem fordert die Öko-Partei einen Ausbaustopp sowie ein längeres Nachtflugverbot in Frankfurt. Die SPD hingegen findet Flughäfen ganz dufte. Am Ende einigt man sich: Ausbaustopp ohne längeres Nachtflugverbot. Wunschpartner hin oder her, so eine knappe Mehrheit schweißt zusammen.

Horror der Bürgerlichen

Und dann tritt er ein, der Fall der Fälle. Die Horrorvision des bürgerlichen Lagers und das Magengeschwür von Schäfer-Gümbel – ein Wechsel ist möglich, aber nur als Linksbündnis.

Also mit den Krypto-Stalinisten und Neo-Lafontainisten von der Linkspartei. Grünen-Chef Tarek Al-Wazir hat für diesen Fall zuvor messerscharf analysiert: „Dann haben wir ein Problem.“ Noch kurz vor der Wahl hatte Schäfer-Gümbel versucht, den Teufel von der Wand zu wischen. Ein Bündnis mit der Linken, nein, damit würde sich keine „stabile Koalition“ bilden lassen.

Und nun das. Rot-Rot-Grün, in vielen internen Geheimrunden längst scherzhaft R2G getauft. Berlin gibt diesmal rot-rot-grünes Licht. Schäfer-Gümbel darf richtig koalieren, muss sich nicht auf eine Duldung der Linken einlassen, entgeht der berüchtigten Ypsilanti-Falle und tritt sein Amt als Ministerpräsident an. Volker Bouffier verkündet prompt seinen Abschied aus der Politik und wechselt beim Flughafenbetreiber Fraport in den Aufsichtsrat.

Die Koalitionsverhandlungen dauern nur eine Nacht, in der vor allem die Sozialdemokraten damit beschäftigt sind, über ihren Schatten zu springen. Am Morgen wacht Hessen mit einer anarchosyndikalistischen Regierung auf. Kleiner Scherz, die Piraten sind ja draußen geblieben.

R2G eine Option?

Als aufgeweckte Trotzkistin kann Linken-Chefin Janine Wissler für sich das Ministerium für Wirtschaft, Bau und Verkehr beanspruchen – schließlich hat die diplomierte Politologin lange genug im Baumarkt gejobbt.

Nach wenigen Monaten legen SPD und USPD – pardon, die Linke – ihren „kleinlichen Streit“ um den Frankfurter Flughafen bei. Zu groß die Gefahr, die „strukturelle linke Mehrheit“ könnte wieder einmal im Parlament scheitern.

Doch kurz bevor sich R2G als Modell für den Bund anbietet, also nach 12 Monaten, scheitert das Projekt doch noch – an der Bildungspolitik der Grünen und ihrer Forderung, Eltern für die Betreuung ihrer Kinder zur Kasse zu bitten.

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