Bilanz Frankfurter Buchmesse: Weltherrschaft für Übertitel
In Frankfurt wurde ersichtlich, wie Bücher zum Objekt internationalen Handels werden. Der Kampf um Aufmerksamkeit wird immer häter.
FRANKFURT taz | Die Stände der großen deutschen Verlage auf der Frankfurter Buchmesse sehen aus wie Buchhandlungen, in denen nur Bestseller verkauft werden. Meist belegen mehrere Exemplare eines Titels die weißen Regalflächen. „How to make books look sexy?“, fragte Buchfetischist Anthony Dever, Macher der Website Bookshelf Porn, in einer Veranstaltung.
Bücher enthalten nun mal Botschaften, die sich zwar an einzelne, aber doch möglichst viele Leser richten. Die Buchhändler und die Leser sind das Zielpublikum in den Hallen 3 und 4, wo man die hiesigen Verlage, die großen wie die kleinen, findet.
Der Begriff One-to-many charakterisiert ganz gut diese gutenbergianische Struktur, die auch im elektrischen Zeitalter noch angesagt ist. Die Leute wollen kommentieren, sharen, liken. Sie brauchen aber auch Erzählungen, um sich ihrer selbst und ihrer Ideen vom richtigen Leben, von Liebe, Freundschaft und Gesellschaft vergewissern zu können.
Ob die Storys in gedruckter oder digitaler Form daherkommen, ist vielen nicht so wichtig, weshalb das E-Book seinen festen Platz in den Sortimenten gefunden hat. Alle Messetage sind One-to-many-Tage. Am Samstag aber strömt das Publikum in Massen durch die Hallen. Dann erst schlägt die Stunde der Software fürs Selfpublishing, des Many-to-many.
Man kommt ins Gespräch
In Halle 8 präsentieren die ausländischen Verlage ihre Ware. Bei Penguin Books aus Großbritannien offenbaren sich die Bücher als Objekte des internationalen Handels. Sie werden zwar auf Wandregalen ausgestellt, der Stand wird aber von vielen Tischen beherrscht. Wer sich hier gegenübersitzt, will miteinander ins Geschäft kommen.
Am Empfangstresen von Penguin informiert ein Aufsteller darüber, in welchen Sprachen die Übersetzungsrechte für Sally Greens Debütroman „Half Bad“ noch zu haben sind. Die Rechte fürs Kroatische, Lettische und Slowenische sind schon verkauft. Hinter diese Sprachen sind rote Punkte geklebt, als handle es sich um Kunstwerke, die den Besitzer gewechselt haben.
Auf Englisch und in bis dato dreißig weiteren Sprachen wird der Roman über konkurrierende Hexenclans im kommenden Jahr erscheinen. Die Filmrechte sind längst weg. „ ’Half Bad‘ looks set for world domination“, meldet Penguin siegessicher.
Weltherrschaft für Übertitel
In der Branche geht der Trend zur Konzentration. Wo es um die Weltherrschaft für Übertitel geht, ist für kleinere Titel immer weniger Aufmerksamkeit zu haben. So lässt sich der Widerwille der Jury des Deutschen Buchpreises, Bücher bereits weithin bekannter Autoren in die Shortlist aufzunehmen, als Aufforderung lesen: Gebt die Aufmerksamkeit denen, die sie sonst nicht bekämen!
Weitere Ungemach für mittlere Verlage und Nichtbestseller droht vom Freihandelsabkommen mit den USA. Die deutschen Verleger fürchten, dass in den Verhandlungen die Buchpreisbindung fallen könnte. Lobbyisten des Buchhandels sprachen bei der Eröffnungsfeier der Messe wenig über das Gastland Brasilien, aber viel über den drohenden Untergang der vielfältigen Buchkultur in Deutschland.
Derweil tun sich aber auch neue Chancen für deutsche Bücher auf. Die Chinesen übernehmen zwar einen Markt nach dem anderen in Europa, selbst die Hersteller von Grabsteinen geraten inzwischen durch chinesische Billigimporte unter Druck. Man liest aber auch sehr gern deutsche Literatur in China.
Und so zieht der Chef eines kleinen deutschen Verlags die Visitenkarte eines chinesischen Agenten aus der Brusttasche, wenn man ihn danach fragt, ob sich die Messe gelohnt hat. 79.860 Bücher sind im Jahr 2012 in erster Auflage neu in Deutschland erschienen, das sind 220 pro Tag. In China leben ungefähr 1,35 Milliarden Menschen. Da geht noch was, auch für die unabhängigen Verlage.
Deren Hotlist-Preis ging in diesem Jahr an den Weidle Verlag für die Novelle „Die Manon Lescaut von Turdej“ von Wsewolod Petrow, die manchem als einer der schönsten Prosatexte der russischen Literatur des 20. Jahrhunderts gilt. Ihr Autor starb bereits 1978. Aufmerksamkeit ist eine Ressource, die gerade dann kostbar wird, wenn sie sich nicht aufs Offensichtliche richtet.
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