: Gammelfleisch kann doch krank machen
Das niedersächsische Landwirtschaftsministerium stuft das Gelsenkirchener Gammelfleisch als giftig ein. NRWs Verbraucherschutzminister sieht weiter keine akute Gefahr für NRW. Opposition: „Unterlassene Hilfeleistung“
DÜSSELDORF taz ■ Magenschmerzen, Erbrechen, Übelkeit und Lebensmittelvergiftung – so schätzt das niedersächsische Landwirtschaftsministerium die gesundheitlichen Folgen für Gammelfleisch-VerbraucherInnen ein. „Mit diesem Fleisch kann sich der Verbraucher vergiften“, zitierte das ostwestfälische Westfalen-Blatt einen Ministeriumssprecher. Das sei das Ergebnis der Untersuchung von Fleisch, das die Gelsenkirchener Firma Domenz in einem Kühlhaus in Melle eingelagert hatte. „Das Fleisch ist zum Glück nicht in den Handel gelangt“, sagt der Sprecher des CDU-geführten Ministeriums, Gert Hahne, zur taz.
Aussagen, die auch in Nordrhein-Westfalen für Aufregung sorgen. Denn der nordrhein-westfälische Minister für Landwirtschaft, Umwelt und Verbraucherschutz Eckhart Uhlenberg (CDU) hatte gleich zu Beginn des Gammelfleisch-Skandals im November erklärt, Gammelfleisch stelle keine Gesundheitsgefahr dar. Bei dieser Einschätzung bleibt er auch nach Bekanntwerden der niedersächsischen Ergebnisse. „Wir können immer noch keine akute Gefahr für die Verbraucher erkennen“, sagt Uhlenbergs Sprecher Markus Fliege. „Das Fleisch, was in Niedersachsen als so gefährlich eingestuft wurde, ist schließlich sichergestellt worden.“ Zwar könne auch für Nordrhein-Westfalen nicht ausgeschlossen werden, dass „für Ekel empfindlichere Menschen“ vom überlagerten Fleisch übel würde. „Die Gefahr von Lebensmittelvergiftungen besteht nach unseren Untersuchungen nicht“, sagt Fliege.
Unabhängige Lebensmittelchemiker sehen das anders: „Salmonellen können für schwächere Menschen wie Senioren oder Kinder auch in geringer Konzentration gefährlich werden und eine Lebensmittelvergiftung auslösen“, sagt die Duisburger Chemikerin Heike Homann. „Zumindest sie sind durch den Fleischskandal in Gefahr.“
Denn das Fleisch des Gelsenkirchener Fleischgroßhändlers Domenz ist längst in den Handel gelangt – auch in den nordrhein-westfälischen. In den vergangenen zwei Wochen wurde überlagerte, umetikettierte oder verdorbene Ware in Düsseldorf, Mönchengladbach, Bonn, im Rhein-Sieg-Kreis, im Ennepe-Ruhr-Kreis und im Kreis Neuss gefunden. Insgesamt hatte Domenz allein in 2005 mit 550 Tonnen Fleisch gehandelt. „Bis heute weiß kein Verbraucher, ob er solches Fleisch verzehrt oder noch in der Kühltruhe hat“, sagt SPD-Fraktionsvize Axel Horstmann.
Er bezeichnet Uhlenbergs Vorgehen im Fleischskandal inzwischen als „unterlassene Hilfeleistung für Verbraucherinnen und Verbraucher“. Der Fall habe durch das Aufspüren der Gesundheitsgefahr eine neue Dimension bekommen. „Herr Uhlenberg fühlt sich den Produzenten stärker verpflichtet als den Verbrauchern“, sagt Horstmann und spielt damit auf Uhlenbergs Nähe zur Fleischlobby an. Der Minister saß bis zum Amtsantritt im Aufsichtsrat einer Westfleisch Tochter (taz berichtete).
Die SPD-Fraktion hat heute eine Sondersitzung des Verbraucherschutz-Ausschusses beantragt. „Weder Öffentlichkeit noch Parlament wurden offenbar wahrheitsgemäß über die Gefahren des Gammelfleisches aufgeklärt“, sagt Svenja Schulze, umweltpolitische Sprecherin der SPD-Fraktion. Die Frage, warum die niedersächsische Behörde die Gefahr anders einstufe, müsse sofort geklärt werden.
Zudem fordern beide Oppositionsparteien, dass Uhlenberg die Fleischvertriebswege öffentlich macht und die Namen verdächtiger Firmen nennt. „Nur Transparenz beugt Fleischskandalen vor“, sagt Johannes Remmel, grüner Sprecher für Verbraucherschutz. MIRIAM BUNJES
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