piwik no script img

Low-Budget-Film „Ich fühl mich Disco“Liebeserklärung an die Jugend

Vater Hanno gibt sich Mühe, alles richtig zu machen – und macht viel falsch. „Ich fühl mich Disco“ ist ein zärtlicher Film über eine Vater-Sohn-Beziehung.

Sohn und Mutter tanzen mit aufgemalten Koteletten zu Schlagern. Bild: Salzgeber & Co. Medien GmbH

„Mach einen Film darüber, womit du dich auskennst.“ Diesen Rat hat Axel Ranisch als Student an der Filmhochschule Babelsberg von seinem Professor Rosa von Praunheim regelmäßig bekommen. Und Axel Ranisch ist ihm unbeirrt gefolgt.

Schon sein Abschlussfilm „Dicke Mädchen“, der im vergangenen Jahr als Inbegriff des „Berlin-Mumblecore“, der improvisierten und Low-Budget-produzierten Filme, vielfach ausgezeichnet wurde (u. a. mit dem Jurypreis bei den Lesbisch-Schwulen Filmtagen Hamburg und dem Preis für den Besten Spielfilm beim „Achtung Berlin“-Festival), war nah dran an zwei Themen, mit denen Axel Ranisch sich sicherlich auskennt – die zu großen Problemkomplexen aufzubauschen er sich allerdings nachhaltig weigert: die Liebe zwischen Männern, die keine gängigen Schönheitsnormen erfüllen, und das Filmemachen ohne viel Geld.

„Dicke Mädchen“ hat spektakuläre 517 Euro gekostet, das Drehbuch passte auf eine Seite, Axel Ranisch hielt selbst die MiniDV-Kamera und gab seinen Schauspielern jede improvisatorische Freiheit.

Als „Spielleiter“ (und nicht als Regisseur) taucht Axel Ranisch jetzt auch im Vorspann seines zweiten Spielfilms „Ich fühl mich Disco“ auf – eine Bezeichnung, die sofort Bilder heraufbeschwört davon, wie locker, flachhierarchisch und, ja, verspielt es bei einem Axel-Ranisch-Dreh zugehen muss. Mit dem Sich-Auskennen hat Ranisch es diesmal noch ernster genommen und sich eindeutiger auf die eigene Autobiografie zurückfallen lassen. Er sagt selbst, der Film sei eine Liebeserklärung „an meine Jugend, an meine Heimat Lichtenberg und an meinen Papa“.

Erst mal viel genörgelt

Der Film

„Ich fühl mich Disco“. Regie: Axel Ranisch. Mit Heiko Pinkowski, Frithjof Gawenda u. a. Deutschland 2013, 95 Min.

Wie aus diesem erst wenig geliebten Papa ein legitimer Adressat einer Liebeserklärung wird, darum geht es in diesem Film. Zunächst nörgelt Vater Hanno, als Turmspringtrainer selbst nicht gerade der Schlankste, an der Beleibtheit seines Sohns Flori herum, ignoriert Floris sehnlichen Wunsch nach einem Klavier und will Flori – ohne Erfolg und mit Bruchlandungsergebnis – für seinen alten Simson-Motorroller begeistern.

Wenn Hanno nicht zu Hause ist, zieht Flori sehr viel lieber einen alten weißen Anzug und ein türkisgrünes Rüschenhemd an, malt sich und seiner heißgeliebten Mutter dicke Koteletten ins Gesicht und tanzt mit ihr zusammen zu den Schlagern seines Idols Christian Steiffen durch die Wohnung. Danach liegt er mit Mutti unter den Discokugeln in seinem Zimmer und tagträumt sich mit ihr auf den warmen Strand am Meer.

Dann der Schock – im Film eigentlich gar nicht als Schock inszeniert, sondern als zwar trauriges, aber eben mögliches und irreversibles Geschehnis: Die Mutter fällt nach einem Schlaganfall ins Koma, Vater und Sohn müssen allein miteinander zurande kommen. Ein holpriger Prozess, zumal Flori, der pubertierende, linkische, im Wärmebecken dümpelnde dicke Junge mit der festen Zahnspange feststellt, dass er auf Hannos Turmspringschüler Radu steht.

Rosas Ratgeber

Etwas unwahrscheinlich Zartes entspinnt sich zwischen Flori und dem athletischen Radu, auch etwas allzu Fragiles und wahrscheinlich Utopisches. Flori aber erlangt Gewissheit über seine libidinöse Orientierung.

In einer herrlich grotesken Szene belehrt Schlagersänger Christian Steiffen in seiner herrlich grotesken Rolle als Schlagersänger Christian Steiffen den betrunkenen Hanno und händigt ihm eine auch wieder groteske Ratgeber-DVD aus, auf der wiederum Rosa von Praunheim als Sexualtherapeut Eltern schwuler Kinder Tipps gibt – zum Beispiel den, sich „im Taxi oder beim Essen“ einen Analdildo „einfach mal reinzuschieben und zu sehen, was passiert“. Hanno gibt sich daraufhin Mühe, mit Flori alles richtig zu machen, und macht eine Menge falsch.

Am Ende dieses kleinen, überaus großherzigen und grandios lakonischen Films wurden eine Menge Ratlosigkeitsbiere getrunken, scheue Küsse getauscht und geleugnet, Fische gefangen und dann nicht gegessen – dafür Döner –, wurde ein Schlagerfuzzi zum Weltweisen und eine Vater-Sohn-Beziehung neu ausprobiert. Was an keiner Stelle gewollt, gestellt oder dramagewichtig ausgesehen hat. Sondern selbstverständlich, alltäglich und sehr zärtlich.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

0 Kommentare

  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!