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DIE FIFA IST NICHT BEGEISTERT, DIE ALTEN SIND ENTTÄUSCHT UND DER FUMMEL BLEIBT IM SCHRANKKeene Kondition, die Jugend von heute

VON LEA STREISAND

Letztes Wochenende hab ich mich gleich mehrfach blamiert. Zuerst Freitagabend. Der rote Teppich vor dem Babylon Mitte war grün und aus Gras. Schwarz-weiß karierte Bälle schmückten die Plakate. „Du, Herbert“, sage ich, „wir gehen jetzt aber nicht auf ein Fußballfilmfestival, oder?“ Meine einzige Verbindung zu dem Sport ist die anerzogene Union-Sympathie, weil mein Papa mich als Kind ein paar Mal in die Alte Försterei mitgeschleppt hat. Ich habe bei allen Toren gejubelt, und bei Fouls habe ich geschrien: „Umgefallen!“ – „Doch“, sagt Herbert fröhlich und gibt mir die Karte, „das ist ein Fußballfilm“. Herbert ist Dramaturg. Er macht Filmmaterial zu Bildergeschichten.

„The Street and the Rag Ball“ ist ein Dokumentarfilm über die Organisation Streetfootballworld, die seit 2006 eine Straßenfußball-WM parallel zur Fifa-WM organisiert. Man sieht einen Palästinenser, der früher Terrorist war und jetzt Friedensaktivist ist. Durch Fußball. Man sieht kleine afrikanische Jungs, die gelangweilt die Reden der weißen mitteleuropäischen Männer über Fairplay und Bruderliebe absitzen, bevor sie sich gegenseitig volle Kanne in die Knöchel grätschen. Nur ich lache. Man sieht Sepp Blatter, der von Fairness redet. „Noch mehr Zuckerguss, und ich kotze“, flüstere ich Herbert zu. Natürlich kann ich wieder die Fresse nicht halten und tue meine Meinung nachher öffentlich kund. In einem Saal voller Filmemacher. Alle, die sich nach mir zu Wort melden, beginnen ihre Frage mit der Anmerkung: „Ich bin nicht Ihrer Meinung.“

Nachher erklärt mir Herbert den Film. Er kennt sich aus, er hat ihn geschnitten. Die Bilder widerlegten die Worte doch ständig, sagt er. Die Fifa war davon nicht begeistert. „Das hab ich nicht gesehen“, sage ich, „ich war so mit dem Lesen der Untertitel beschäftigt.“ Die wirklich spannenden Geschichten werden nachher in der Kneipe erzählt. Dass die Fifa den Film finanziert habe und welche Konflikte es in der Zusammenarbeit gab. Es muss viel Bier die Kehlen hinunterfließen, bis ich mir nicht mehr wie ein Trottel vorkomme. „Union hat gegen St. Pauli gewonnen“, sage ich, um die Stimmung aufzulockern, und haue einem der Filmleute auf die Schulter, „vier zu zwei! Geil, oder?“ Mein Gegenüber reibt sich die Schulter. Er sei Hamburger, sagt er. Ich beschließe zu gehen. Nachts habe ich Albträume. Ich verquatsche mich, zeige Leuten Fotos, die sie nicht sehen sollen, und renne nackt über ein Fußballfeld. Solche Sachen.

Die Familienfeier am Samstag war für mich kurz und alkoholfrei. „Keene Kondition, die Jugend von heute“, haben die Tanten und Onkel gelästert.

Sonntag waren wir in der Philharmonie. Christoph hat im Chor gesungen. Was ich für Leute kenne, Wahnsinn! Schubert haben sie gesungen. „’s Franzl“, wie Onkel Klaus sagt. Onkel Klaus ist Wiener, der darf das. Tante Erna und er waren ebenfalls mit. Paul auch. Es war sein Geburtstagsgeschenk. Wir saßen in der ersten Reihe, die in der Philharmonie verwirrenderweise Reihe 2 heißt, direkt vor dem Po des Dirigenten. Die Leute waren unheimlich schick angezogen. Auch Christoph, ich hätte ihn fast nicht erkannt. „Ja, die Hütte hier wäre mal ein Anlass für den heißen Fummel gewesen“, sagt Christoph. Paul winkt ab. „Nächstes Mal“, sagt er.

Ich beneidete ihn um seine Gelassenheit und schämte mich für meine Jeans-T-Shirt-Kombination. Man kommt ja einfach gar nicht mehr auf die Idee, sich jenseits von Weihnachten und Geburtstag mal richtig fein anzuziehen! Zum Glück hatte die erste Violine voll die Hochwasserhosen, das beruhigte mich etwas. Das Konzert war so schön, ich hab fast geheult vor Freude.

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