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Volkstrauertag„Zu sterben ist keiner bereit“

Dem Major und Hamburger SPD-Bezirkspolitiker Falko Droßmann ist Heldenpathos fremd.

3. Juni 2011: Nach der Trauerfeier tragen Soldaten in Hannover die Särge dreier in Afghanistan getöteter Kameraden aus der Kirche. Bild: dpa

Ich bin seit 15 Jahren bei dem Haufen. Damals bin ich gegen meinen Willen als Wehrpflichtiger eingestiegen. Ich war zuerst Polizist, habe auf dem zweiten Bildungsweg das Abitur nachgeholt und bin dann zur Bundeswehr gezogen worden, weil mir ein Monat Polizeidienst fehlte. Ich versuchte zu verweigern, weil ich etwas ganz anderes vorhatte: Ich wollte studieren und entweder Lehrer oder Pastor werden. Beim Kreiswehrersatzamt in Darmstadt war ein Oberstabsbootsmann, der guckt mich nur an und sagt: „Ey horch amol, Bu – wer war denn letztes Jahr Jungschützenkönig im Dorf?“ Das war ich. Der Oberstabsbootsmann kam aus dem Nachbardorf. Er sagt: „Merkste selbst?“ Dann hat er meine Verweigerung genommen und die einfach weggeworfen. „Pass mal auf“, sagt er, „ich schick dich zur Luftwaffe, das ist wie Kriegsdienstverweigern.“ So bin ich am 1. Juli ’97 in die Luftwaffenkaserne in Germersheim eingezogen worden. Dort hatte ich überhaupt das erste Mal Kontakt zu Soldaten.

Verantwortung

Der Unterschied zu anderen gefährlichen Berufen ist erst einmal, dass man eine andere Verantwortung hat, weil die Streitkräfte die Einzigen sind, die die ultima ratio anwenden dürfen, mit Gewalt das Leben eines Menschen im Auftrag einer Nation zu beenden. Das erfordert eine besondere Sensibilität. Ich muss mir darüber im Klaren sein, was ich da gegebenenfalls tun muss.

Das zweite ist die Entbehrung, die ich im Auslandseinsatz habe, und zwar nicht die, dass ich vielleicht keine Pizza bestellen kann. Aber das Fehlen jeglicher eigener Umgebung, in die ich sozialisiert worden bin: meines Freundeskreises, meiner Infrastruktur, meiner Sprache. Wenn ich, sagen wir, in Mali, in Afghanistan oder in anderen Staaten oder Regionen bin, fehlt mir das alles. Ich bin in vielen Auslandseinsätzen komplett auf mich selbst zurückgeworfen – und das für vier bis sechs Monate.

Opferbereitschaft

Zu sterben ist keiner bereit. Man muss aber Aufträge ausführen, die sehr gefährlich sind. Eine Opferbereitschaft oder so etwas, die in der Vergangenheit in Deutschland hochgehalten wurde, gibt es glücklicherweise nicht mehr. Wenn es aber gilt, eingeschlossene Kameraden rauszuholen, geht es nicht um ein Opfer um des Opfers willen. Das würde jeder Soldat von uns tun. Das geht dem Feuerwehrmann, der in ein brennendes Haus klettert, weil da noch jemand drin ist, nicht anders.

Ich gehe heute nicht mehr in einen Auslandseinsatz mit dem blöden Spruch auf dem 76er-Denkmal – dem „Kriegsklotz“ – am Hamburger Dammtor: „Deutschland muss leben, auch wenn wir sterben müssen“. So einen Unfug gibt es heute nicht mehr.

Ich habe einen Eid geleistet, „der Bundesrepublik Deutschland treu zu dienen und das Recht und die Freiheit des deutschen Volkes tapfer zu verteidigen“. Die Tapferkeit beinhaltet, dass ich meine Gesundheit und mein eigenes Leben einsetze, um diesen Auftrag zu erfüllen. Aber dafür bin ich gut ausgebildet, damit dieser Fall gar nicht eintritt.

Gegenleistung

Wir sind im Auftrag der Menschen in unserem Land unterwegs. Ich habe mal ein Projekt gemacht mit jungen Soldatinnen und Soldaten, das hieß: „Warum Soldaten?“ Wir wollten mal nicht den Politiker fragen und auch nicht das Militär selber, sondern unsere Auftraggeber: Eugen Pachulke aus dem Kleingartenverein Horner Geest. Wir haben Hunderte Antworten bekommen. Man hat gemerkt, dass sich nicht viele Menschen damit beschäftigt haben. Viele Leute haben keinen Berührungspunkt mehr zum Militär. Was ich mir wünschen würde, ist eine größere Auseinandersetzung mit den Einsätzen der Streitkräfte und auch mit den Soldatinnen und Soldaten.

Volkstrauertag

Es ist gut, dass der Volkstrauertag durch eine Feierstunde im Bundestag begangen wird, weil dort die wichtigsten deutschen Institutionen in einem stillen Gedenktag, und nicht mit einer Militärparade, dem Leid gedenken, das jeder Krieg beinhaltet. Krieg ist nie eine großartige Sache. Ich glaube, dass wir einen guten Weg gefunden haben, dem Leid eines jeden Krieges Rechnung zu tragen, aber es ist nicht ausreichend. Es müsste eine breitere gesellschaftliche Debatte geben.

Denkmale

Es gibt ja das Denkmal für die gefallenen Bundeswehrsoldaten im Bendlerblock in Berlin. Ich war dagegen, dass es im Bendlerblock gebaut wird. Ich hätte es am liebsten neben dem Reichstagsgebäude gesehen. Neben dem Reichstag hätte es eine Diskussion ermöglicht. Und wenn diese Diskussion eine kritische sein sollte, ist es genau das, wofür wir auch im Auslandseinsatz sind. Um die Grundwerte zu ermöglichen.

Denkmale an sich sind ein guter Anknüpfungspunkt, aber nicht ausreichend. Wir brauchen breitere Diskussionsveranstaltungen, zum Beispiel in Schulen. Damit meine ich nicht Nachwuchsgewinnung, sondern dass man im Politikunterricht über die Einsätze der Bundeswehr berichtet und darüber diskutiert.

Desertion

Als SPD-Politiker in Hamburg-Mitte muss ich sagen, wir haben Denkmäler ohne Ende. Und jetzt kommt noch das Deserteursdenkmal. Wir haben einen Antrag für die Bezirksversammlung verfasst, in dem wir das ausdrücklich begrüßen. Ich habe viel mit den Initiatoren gesprochen, etwa dem Bund der Antifaschisten.

Ich habe heute als deutscher Soldat immer die Möglichkeit, den Kriegsdienst zu verweigern. Das ist ein Recht, das es in den anderen Armeen vorher nicht gab. Deshalb unterscheide ich persönlich bei den Deserteuren. Ich hätte kein Verständnis, wenn jemand in größter Not sagt: „Nö, jetzt will ich nicht, ich desertiere.“ Er kann immer rechtzeitig den Kriegsdienst verweigern.

Zeitzeugen

Die Denkmale vergangener Kriege sind Zeitzeugen. Deshalb müssen sie erhalten werden und zwar sowohl der Kriegsklotz als auch die Barlach-Säule am Rathausmarkt. Wenn jemand sagt, „der Kriegsklotz muss weg“, ist das ein wunderbarer Aufhänger, um eine Debatte zu führen und sich Sachen wie Krieg, Leid, Verantwortung, Trauer bewusst zu werden.

Eine damnatio memoriae – einen Teil unserer Geschichte zu streichen, die schlimmen Zeugnisse einfach abzureißen – finde ich falsch. Sie müssen in Bezug zu einem Kontext gesetzt werden – wie beim Kriegsklotz mit dem Hrdlicka-Gegendenkmal. Wenn man so etwas stehen lässt, muss es historisch eingeordnet werden. Die Diskussion halte ich für wichtig – woran ich sie festmache, ist mir egal.

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18 Kommentare

 / 
  • HS
    H. Seporowsky

    Volkstrauertag 16.11. 2013

    Meinem Grundstück gegenüber hat sich der Fußball ausgebreitet. Abgesehen davon, daß auf Sonn- und Feiertage seit Jahren so- wieso keine Rücksicht genommen wird,ist die Durchführung von Fußballspielen ausgerechnet an diesem Gedenktag ein weiterer Beleg für die grenzenlose Rücksichtslosigkeit des deut- schen Fußballs. Zeitpunkt: 09.00- 12.00 Uhr; Ort: Erholungsort Neuzelle

    H. Seporowsky

  • H
    hm

    1. Blechstein, war es die Reichswehr oder die Wehrmacht?

    2. Blechstein/SSindmörder, wann haben Sie das letzte Mal mit einem Soldaten ein ernsthaftes Gespräch geführt? Vorurteile machen das Leben so herlich einfach.

  • B
    Blechstein

    @ Schreckdieschrecke

    Da hat mich jemand falsch verstanden - war selber bei dem Laden - aber für die derzeit herrsehnde Politik würde ich mein Vaterland noch nicht einmal vor der eigenen Haustür verteidigen.

  • S
    schreckDieSchrecke

    Meinung zum vorherrschenden Diskutantismus plattitüder Prägung:

    Gegen die Bundeswehr sein, aber

    Sympathie für die iranische Atombombe schaffen.

    Blech reden und Steine zwischen den Ohren.

  • B
    Blechstein

    Sehen sie meine Herren, das unterscheidet einen deutschen Offizier von einem Unteroffizier - Reflektionsfähigkeit, Distanz zum Objekt und eine flexible Haltung gegenüber dem eigenen Metier, politisch korrekt, mit einem Höhrrohr zur Bonner Hardthöhe und - dabei immer karrierebewußt.

  • H
    himbeertoni

    Stark reflektierter Artikel zum Spannungsfeld des Soldatseins. Das zeigen ja auch die Kommentare, mit Ausnahme der pathologischen Nörgler.

  • B
    Blechstein

    Das Problem sind wie so oft unsere Politker, die deutsche Soldaten innenpolitisch als Friedensengel verkaufen und dann in Afghanistan verheizen.

    Was empfindet im übrigen ein Soldat, dem eine Anbindung an militärische Traditionen verweigert wird, mit dem Hinweis auf Verbrechen der Reichswehr.

    Wer will für einen solchen Laden seine Haut hinhalten, um hinterher verarscht zu werden,von den gleichen Leuten, die ihn vorher ins Feuer geschickt haben.

  • B
    Blechstein

    Mit der Wahrheit kommt man am weitesten in ihrem Fall. Den Jungs ruhig erklären, daß sie während der Grundausbildung auf die Eierschleifmachine kommen. Viele junge Männer suchen die Herausforderung und für die, die lieber über Dinge reden und versuchen die Welt zu verstehen und erklären ist das Militär eh nichts.

  • H
    Hackenzusammen

    In welcher Abteilung bin ich denn bei Ihnen gelandet - dem Desinformationsdienst des MAD?

  • FF
    Fischers Fritze

    Endlich mal ein Beitrag, der junge Leute für den Militärdienst begeistert.

    Ich würde als Werber dabeisein, wenn es für jeden Freiwilligen eine Prämie gäbe - so rund 200 Piepen, aber mit so einem pastorlen blabla holt man keinen toten Hund hinter dem Ofen hervor.

  • W
    Weitermachen

    Durchaus unterhaltsam - durchaus

    und gut gemeint.

    Danke Herr Oberboots- Oberfeld

    Oberpropeller... ich wußte nicht, dass deutsche Soldaten so einfühlsam sind, solche Ensibilität besitzen, solche Empathie - toll.

    • P
      peine
      @Weitermachen:

      Der Herr ist Major. Lesen bildet.

  • S
    SSindMörder

    Seltsam reflektiert. Der Mann ist echt Soldat?

  • "Wir sind im Auftrag der Menschen in unserem Land unterwegs."

    Nein, in meinem Auftrag seid ihr nicht unterwegs.

  • A
    Andreas

    "Zu sterben ist keiner bereit". Aber bereit zu töten!

  • A
    Aberhallo

    Was sie über die damnatio memoriae sagen kann ich voll unterstreichen. In Lüneburg wurden mehere Kriegsdenkmäler entfernt oder umgesetzt, Namen von Straßen und Plätzen, dem Zeitgeist entsprechend umbenannt.

    Dieses führte soweit, das man Kasernen in Geschwister-Scholl-Kasernen oder Nelson Mandela Kasernen umtaufen wollte.

    Keiner käme auf die Idee ein ehemaliges KZ umzubenennen, weil der Name unangenehme Assoziationen auslöst.

  • G
    Gustav

    Gott sei Dank war die Bundeswehr nicht so ein Selbstmörderverein, wie es andere Alliierte ebenfalls ohne Plan waren! Die Billionen der westlichen Staatengemeinschaft wären dringend zur Bekämpfung der Staatsschuldenkrisen des Westens zu investieren gewesen!

  • G
    Gustav

    Deutschland mußte in den Afghanistankrieg, weil der deutsche Geheimdienst

    und Verfassungsschutz, als auch die Alliierten Nachrichtenüberwacher nicht konsequent die Terrorzelle von Hamburg ausgeschaltet haben.

    Wir hatten schon damals ein sehr gutes Überwachungsnetz und auch

    die Amis hatten eine nahezu lückenlose Aufzeichnung dieser Terrorzelle,

    intervenierten aber nicht rechtzeitig.

    Der Einsatz in Afghanistan unter dem Deckmantel der Humanität war eine Farce. Ein stümperhaftes Militärmanagement hat noch nicht einmal

    eine funktionsfähige, effiziente Bewaffnung gewährleisten können!

    Hunderttausende Arbeitsplätze im Inland und in der Waffenindustrie

    wurden abgebaut. Das schwächt die Unabhängigkeit der Nation immens.

    Die Bundeswehr hat in der Hauptpriorität die Bundesrepublik Deutschland zu schützen!!! In Afghanistan hätten Spezialeinheitn Jagd auf Al Quaida machen müssen, aber einen Krieg gegen die Taliban u.ä. nicht unterstützen dürfen. Diese Unterscheidung hat die Politik sträflich vernachlässigt. Der Kriegseinsatz, der nicht als solcher benannt werden sollte, war völkerrechtswidrig und hat den Westen Billionen gekostet

    und den Drogenhandel beflügelt. Wer weiß, wieviele Ex-Soldaten nun

    dort mitmischen und wieviele Militärangehörige sich hier ein Zubrot verdienen wollen. Nation building steht Deutschland nicht zu!

    Die Nachrichtenberichterstattung war bevormundend und verschweigend,

    die Bewaffnung zum Teil sehr schlecht, der Schutz der Zivilbevölkerung

    eine Farce und die Aufgabenstellung und Kompetenzen unklar, die Geldvernichtung immens, der Arbeitsplatzabbau, der Katastrophenschutz

    (inklusive Krankenhausstruktur/Praxis in Krisengebieten,Bedrohung

    durch Schließungen und Fusionen) lachhaft, die Luftverteidigung

    ohne unabhängige Luftverteidigungsindustrie usw. .

    Für das Ding gibt es kein Lob.