Umstrittenes Urteil: Urteil: Es war Liebe

Freispruch für den Schwimmtrainer: Kieler Amtsgericht sieht Missbrauch an Schülerin als nicht erwiesen an. Staatsanwältin und Nebenklägerin erwägen Berufung

Im Schwimmbad kannte die damals 16-Jährige sich aus, im Leben noch nicht. Gericht sagt, der Trainer habe das nicht ausgenutzt. Bild: dpa

Von den Olympischen Spielen in London vor das Kieler Amtsgericht: Vor einem Jahr sorgte die Anklage gegen einen Schwimmtrainer der deutschen Spitzenmannschaft für Aufsehen. Ihm wurde der Missbrauch einer Minderjährigen vorgeworfen, die er während seiner Tätigkeit für einen Kieler Verein betreut hatte. Gestern wurde der 41-Jährige freigesprochen. Es sei ein Liebesverhältnis gewesen, urteilte das Gericht. Der Prozess hatte weitgehend hinter verschlossenen Türen stattgefunden, um die heute 25-jährige Frau, die als Nebenklägerin auftrat, zu schützen.

Laut Anklage hatte der Trainer über einen Zeitraum von zwei Jahren zunehmend härtere Sexualpraktiken an dem Mädchen vollzogen, auch an öffentlichen Orten, die dem Mädchen unangenehm waren. 2004 war es bei einem gemeinsamen Kreta-Urlaub mit der damaligen Freundin des Trainers zum ersten Vorfall gekommen. Die Schwimmschülerin war damals 16 Jahre alt und sexuell unerfahren.

„Ob wir es mögen oder nicht, ist nicht der juristische Maßstab“, sagte Hans Meenke, Richter und Sprecher des Amtsgerichts Kiel, der taz. Bei Minderjährigen ab 16 Jahren stehen sexuelle Handlungen nur unter Strafe, wenn Zwang ausgeübt oder „dem Täter der Jugendliche zur Erziehung, zur Ausbildung oder zur Betreuung anvertraut“ war, heißt es im Gesetz.

Genau dieser „klassische Missbrauchsfall“ liege vor, so die Staatsanwältin, die zwei Jahre Haft auf Bewährung gefordert hatte. Der Mann hatte dem Mädchen unter anderem vorgeschrieben, was sie essen und anziehen sollte. Eine „Partnerschaft auf Augenhöhe“ sei das Verhältnis nicht gewesen.

So beschrieb es aber die Verteidigung, die von einer „Liebesbeziehung“ ausgeht. Das Gericht teilte diese Sichtweise: „Die Nebenklägerin war in der Lage, sich selbst zu bestimmen“, hieß es in der Urteilsbegründung. Dabei zweifelte das Gericht nicht an, dass die Taten stattgefunden haben. Strittig war nur, ob die junge Frau gezwungen wurde und wie sie das Verhältnis damals empfunden hat. Ein Gutachter hatte erläutert, dass sie möglicherweise „im Zuge einer Therapie die sexuellen Erlebnisse umbewertet“ habe. Sie hatte den Mann 2009 angezeigt. Laut Anklageschrift hatte sie einigen der Taten widersprochen, geweint oder Schmerzen gehabt. Insgesamt wurden dem Mann 18 Taten vorgeworfen, von denen nach Ansicht der Staatsanwältin zwölf zu beweisen waren.

Die Staatsanwältin und die Nebenklägerin, die sich inzwischen im Opferschutz engagiert, erwägen, in die Berufung zu gehen. Das Kieler Verfahren hatte einen unglücklichen Verlauf genommen: Es war wegen einer versäumten Frist geplatzt und musste von vorn aufgerollt werden. Die Staatsanwaltschaft hatte mehrere Jahre gegen den Mann ermittelt, der nach seiner Kieler Zeit in Nordrhein-Westfalen und dann mit dem Olympia-Team gearbeitet hatte.

Einer aktuellen Studie des Bundesbeauftragten gegen sexuellen Missbrauch Johannes-Wilhelm Rörig zufolge hat sich nur ein Drittel der Sportvereine in Deutschland mit dem Thema befasst und Dinge wie blickgeschützte Duschen oder Notfallpläne bei Verdacht eingeführt.

Verbandsvertreter diskutierten am Mittwoch in Berlin über sexualisierte Gewalt im Sport. Die Basis setze Empfehlungen der Dachverbände zu wenig um, hieß es.

Das Interesse ist offenbar gering: Auf 12.000 Fragebögen erhielt Rörig nur 650 Antworten.

Der Deutsche Schwimmverband war gestern zur Frage, was er für den Schutz von Jugendlichen vor Missbrauch tut, nicht zu erreichen.

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