Detroit ist pleite: Den letzten van Gogh verscherbeln
Banken pressen die letzten Cents aus der heruntergewirtschafteten Autostadt. Dafür werden Renten gekürzt und das Museum geplündert.
WASHINGTON taz | Die einstige Autohauptstadt der Welt ist bankrott. Und Zehntausende RentnerInnen, die auf den Ämtern, bei der Polizei und für die Feuerwehr von Detroit gearbeitet haben, sollen die Rechnung begleichen. Um die Gläubiger – darunter die Großbanken Bank of America und die UBS – zu entschädigen, hat Bundesrichter Steven Rhodes entschieden, sämtliche „Aktivposten“ der Stadt zur Disposition zu stellen. Damit öffnet er sowohl den Weg für Rentenkürzungen als auch für den Ausverkauf des berühmten Stadtmuseums: des Detroit Institute of Arts.
„Stoppt die Millionengeschenke an kriminelle Banken“ steht auf einem Transparent, das ein Demonstrant vor dem Theodore-Levin-Gericht in Detroit hochhält, während Konkursrichter Rhodes am Dienstag im Inneren des Gebäudes seine Entscheidung verliest.
Vor allem ältere Menschen demonstrieren vor dem Gericht. Die durchschnittlichen Renten ehemaliger Stadtbediensteter in Detroit liegen bei 19.000 US-Dollar pro Jahr für jene, die früher in Büros, und bei 30.000 für die, die in Uniform tätig waren. Laut Gerüchteküche in Detroit sollen sie zwischen 20 und 50 Prozent gekürzt werden. „Für mich bedeutet das die Wahl zwischen Essen und Medizin“, beklagt sich ein alter Mann.
RentnerInnen sind die Hauptopfer der größten Pleite einer Gemeinde in der Geschichte der USA. Auf insgesamt 18,5 Milliarden Dollar beziffert der Konkursrichter die Schuldenlast von Detroit. Konzessionen seien nicht mehr möglich, erklärt der Richter. Renten seien nicht gesetzlich geschützt.
Der Richter benutzt dieselben Zahlen, die Zwangsverwalter Kevin Orr in Umlauf gebracht hat. Der ehemalige Partner einer auf große Unternehmen spezialisierten Kanzlei in Cleveland, Ohio, verwaltet seit März im Auftrag des Gouverneurs von Michigan die Geschäfte von Detroit. In der Stadt, wo er mehr zu sagen hat als der gewählte Bürgermeister, nennen sie ihn Diktator.
Michigans Gouverneur Rick Snyder ist ein Hardliner von der Tea Party, der aus den Wahlen von 2010 hervorgegangen ist. Das ländliche Michigan hat ihn gewählt. Nicht die Großstadt Detroit, die traditionell demokratisch ist und in der es immer noch Gewerkschaften gibt. Bei Snyders Ankunft ist Detroits Lage längst verzweifelt. Die Stadt ist von 1,8 Millionen EinwohnerInnen in den 1950er Jahren auf weniger als 700.000 geschrumpft. Die „Big Three“ – Ford, General Motors und Chrysler – sind gegangen. Und die Steuereinnahmen sind radikal geschrumpft.
Der Kredit, der in die Pleite führte
Die Stadtverwaltung von Detroit hat den Haushalt um zuletzt 35 Prozent gekürzt. Hat 40 Prozent der Straßenbeleuchtung ausgeknipst. Und hat ihre Beschäftigten immer wieder in unbezahlte Zwangsurlaube geschickt. 2005/06 hat die bereits hochverschuldet Stadt einen 1,6-Milliarden-Dollar-Kredit aufgenommen, um ihre Rentenfonds zu finanzieren.
Wie zahlreiche andere Gemeinden in den USA hat sie dafür das spekulative Verfahren mit Derivaten gewählt, das zu der Finanzkrise von 2008 führt. Als Detroits Zahlungsfähigkeit heruntergestuft wird und die Banken auf einen Schlag sämtliche Zinsen für die folgenden 25 Jahre verlangen, ist die Katastrophe da.
Zu Beginn der Amtszeit von Gouverneur Rick Snyder verabschiedet die republikanische Mehrheit in Michigan im Jahr 2011 ein Gesetz, das es dem Gouverneur ermöglicht, finanziell heruntergewirtschaftete Gemeinden unter Zwangsverwaltung zu stellen. Zwangsverwalter Orr will vor Jahresende seinen Sanierungsplan vorlegen. Dabei schielt er auf den größten Schatz von Detroit: das Museum mit Werken von Vincent van Gogh, Pieter Bruegel und Diego Rivera. In seinem Auftrag hat das Auktionshaus Christie’s die Sammlung geschätzt. Ergebnis: Die 2.800 Kunstwerke von Detroit könnten zwischen 452 und 866 Millionen Dollar einbringen.
Leser*innenkommentare
FatalImpact
Gast
Eine Stadt, wie Detroit muss die Verfassung achten und die Bürgerrechte schützen.
Sie muss dafür sorgen, dass
die Wasser-,Stromversorgung,Schulen, Polizei, Krankenhäuser,Feuerwehr, Stadtverwaltungen, Müllabfuhr,
Telekommunikation, Verkehr usw.
FUNKTIONIEREN.
Dafür braucht es zwingend Geld, um das sicher abdecken zu können. Anderenfalls verletzt es seine Hohheitspflicht, Fürsorgepflicht. Und das heißt es muss Geld bekommen und Reserven anlegen, damit nicht
unnötig Menschen sterben und die Menschen Zugang zu Bildung haben können, um überhaupt Steuern später zu zahlen und sich verwirklichen zu können
(Pursuit of happiness).
Deshalb dürfen eben nicht alle Aktiva zur Disposition stehen.
Erst Recht nicht bei ungeklärten Besitzverhältnissen!
Und dann, die Bilder sind jetzt aus der Aktiva-Liste herausgenommen, stellt sich die Frage ob das LEBEN der Pensionäre und Fürsorgeabhängigen und Stadtbediensteten weniger Wert ist, als das der Banken, die auch von FED den A... mit Geld vollgepumpt bekommen!!!!!
Die vielen geretteten Banken haben eigentlich überhaupt keine Forderungen mehr aufzumachen! Dafür haben ja auch schon die Bürger Detroits bezahlt!! Warum sollen sie nun mehrfach zur Kasse gebeten werden?! Es müßte erst einmal geklärt werden, ob die Schieflagen dieser Banken, die ja auch gerettet worden sind, die Rechnungen nicht jetzt zweimal ausgestellt haben.
Einmal an Obama und nun noch einmal!!!!! Dieses Verfahren erfordert zwingend eine Revision!
FatalImpact
Gast
Steve Rhodes, in Deutschland kann man wohl hoffentlich sagen, ist ein großes, großes
Ärgernis für einen wirtschaftskonformen Rechtsstaat!!!!
Zu glauben, eine Kommune sei eine beliebige Organisation oder Rechtsperson unterschlägt die Hoheitspflicht,
die Fürsorgepflicht, den kollektiven Investitionsschutz der Kommunen.
Dieses Eigentum wurde geschenkt, im Treu und Glauben an die Sicherheit der Stadt Detroit. Detroit selbst hat die
Bilder nicht erarbeitet.
Ob Detroit wirklich Besitzer oder Aussteller auf Lebenszeit ist, müßte erst einmal überhaupt geprüft werden!!!!
Die Provenienzforschung müßte
erst einmal einsetzen!!
Das kann Jahrzehnte dauern!
Besitzer zu sein oder nur Aussteller auf unbestimmte Zeit zu sein, ist nicht das Gleiche!!! Sonst könnte ja jede
pleite gegangene Messe, die
Exponate ihrer Aussteller verpfänden lassen!!
Auch wenn die Anwälte unfähig oder korrupt sein könnten, dieser Richter Rhodes hätte
selber eine eigene Wahrheitsfindung komplettierend zu den Argumenten der Anwälte(m/w) finden müssen!!!!!!!
Unverzeihlich ist das!
Hoffentlich legt die Stadtverwaltung/der Bürgermeister Berufung ein! Und warum hat die Stadt die Bilder nicht schon längst dem ihr zugeordneten Bundesstaat oder besser gleich
einer Stiftung ohne Verkaufsrechte in der Hand mehrerer Hochschulen, Bundesstaaten, Kunstorganisationen und Museeumsorganisationen vermacht, die nie mit totaler Mehrheit für einen Verkauf der Bilder stimmen könnten!
Jetzt gilt es vor die obersten Gerichtsinstanzen der USA zu schreiten. Die Bilder sind Nationalbesitz/ Besitz von Toten ohne Besitzübereignung und die Stadt lediglich ein kommissarischer Verwalter auf unbestimmte Zeit. Außerdem gibt es so
etwas wie den Eigentumsvorbehalt.
774 (Profil gelöscht)
Gast
"Die Banken verlangen sämtliche Zinsen für die nächsten 25 Jahre auf einmal." Das machen die Banken, mit einem der ihnen Geld schuldet. Umgekehrt, werden sofort "Rettungsschirme" aufgespannt.
Detroit ist ein warnendes Beispiel gegen den freien Markt. Der Staat ist für die Menschen da und muß regulierend eingreifen.
Gast-MD
Gast
@774 (Profil gelöscht) Ich musste auch dran denken: Die Banken spannen einen Rettungsschirm auf, denn Detroit is to big to fail.
774 (Profil gelöscht)
Gast
@Gast-MD Ich fürchte, was für Banken gilt, gilt für Städte noch lange nicht.
vøid
Eine Stadt wird komplett abgewickelt...
Aber immerhin ein schönes Anschauungsbeispiel wie es auch anderen Städten ergehen könnte.
Gast
Gast
Zum Thema Abwicklung; das hier beschriebene klingt ja unglaublich:
"Als Detroits Zahlungsfähigkeit heruntergestuft wird und die Banken auf einen Schlag sämtliche Zinsen für die folgenden 25 Jahre verlangen, ist die Katastrophe da."
Ist das hier beschriebene irgendwo nachlesbar oder nachverfolgbar?
Verqchtung gegenüber den ProfitjägerInnen und gegenüber den StaatsplündererInnen in und von Detroit
Gast
Jaaa, die Bänkster und die Bänksterinnen; die sich davon gemachte Industrie - nach Osteuropa und Asien, wo die Löhne und die Gehälter gedrückt worden sind. Pfui!
autorein
Gast
Und wie sollen jetzt Mitleid mit diesen Rentnern haben? Die haben jahrzehntelang die Autoindustrie unterstützt, damit millionen Menschen weltweit den Tod gebracht. Ich trauer Detroit keine Träne nach!
774 (Profil gelöscht)
Gast
@autorein Fahren Sie selbst kein Auto? Und selbst wenn sie nur Bus fahren, damit sind auch schon viele Menschen verunglückt.
Lorenz
Gast
Bei uns glaubt niemand, daß es auch bei uns passieren könnte, oder ?
"Renten seien nicht gesetzlich geschützt", entscheidete der Richter und verteidigt damit unweigerlich das vorausgegangene Derivat-Geschäft.
Bei uns unmöglich, oder ?
Irgendwann erreicht die offensichtliche Plünderung uns auch.
Möglicherweise schon bald.
M.A.
Gast
Wir zahlen doch schon jetzt jährlich Milliarden für die EU, aus unseren privaten Vermögen.
Die reale Inflation beträgt weit mehr als 20% pro Jahr - dank der EZB. Diese Inflationsrate ist jedoch nicht gleichmäßig über alle Wirtschaftsgüter gleichmäßig verteilt, sodass man hierbei wunderbar mit Zahlentricks arbeiten kann. Warum werden von der Inflationsberechnung z.B. Kunstwerke aus genommen… weil diese selbst in Krisenjahren mehr als 10% inflationieren! Woher kommt der derzeitige Börsenboom an ALLEN Aktienmärkten??? Der Geld-Tsunamie rollt durch die Wirtschaftswelt, und wird alsbald auch den kleinen Bürger erfassen.
bier, schnitzel und glotze (brot und spiele ... und ruhe ist!)
Gast
die plünderung ist doch schon längst da - unsere staatschefin hat mal eben dreihunderttausendmillionen euro an die bangsterkumpels verschoben, im 4-tage-alleingang, ohne bis heute genau zu erklären, wohin das geld ging
wenn sie in 2014 das 'tolle' freihandelsabkomen USA/EU ebenso flott unterzeichnet, dann ist das der finale akt ... da nachlesen und sich über nichts mehr wundern:
//www.monde-diplomatique.de/pm/2013/11/08/a0003.text
dieser aktuelle taz-artikel passt doch auch: //taz.de/Debatte-Bankenregulierung/!128910/
Donerwin
Gast
Das ist das wahre Gesicht des Kapitalismus!