Japans Fußballmeister Hiroshima: „Fans das Kriegsgrauen vermitteln“
Sanfrecce Hiroshima hat den J-League-Titel überraschend verteidigt. Nun wollen die Fußballer in Asien auch als Friedensbotschafter wahrgenommen werden.
HIROSHIMA taz | Kaum jemand hatte noch dran geglaubt. Aber mit einem 2:0-Sieg gegen Kashima Antlers gelang es dem Team von Hajime Moriyasu am Samstag in letzter Minute zum zweiten Mal in Folge: Sanfrecce Hiroshima ist wieder japanischer Meister. „Wir haben hart gearbeitet“, sagte Moriyasu noch vor einigen Wochen kühl nach einem Punktspielsieg. „Deswegen spielen wir weiterhin um die Meisterschaft mit.“ Dass dies der Fall war, gestand aber auch er, sei schon überraschend.
Im letzten Jahr war Sanfrecce Hiroshima Überraschungsmeister geworden, eine zweite Saison auf diesem Niveau hatte dem Klub keiner zugetraut. Nun, erklärt selbst der wortkarge Trainer Moriyasu, werde womöglich nichts mehr sein, wie es war. „So ein Triumph könnte uns zum Gesicht dieser Stadt machen“, sagte der Mann, der in Hiroshima geboren wurde und fügte hinzu: „Ich hoffe, wir können die Anliegen unserer Stadt verkörpern.“
Das bedeutet eine Menge Verantwortung. Hiroshima ist nicht irgendeine Stadt. Vor gut 68 Jahren fiel hier die erste und bis heute vorletzte Atombombe, die je zu kriegerischen Zwecken eingesetzt wurde. Am 6. August 1945, als das geschwächte, aber bedingungslos kriegerische Japan auch nach der Kapitulation des verbündeten Nazi-Deutschland weiterkämpfte, ließen die USA die Bombe namens „Little Boy“ über der großen Hafenstadt fallen. 100.000 Menschen starben sofort, nach und nach verdoppelte sich die Zahl der Toten. Bis heute leiden Menschen an den Verstrahlungen.
Die Atombomben wurden zum nationalen Trauma Japans. Die Städte Hiroshima und Nagasaki, auf die die Bomben fielen, wurden zu Symbolen der entstehenden Friedensbewegung. Wer heute Hiroshima besucht, kann pazifistischen Botschaften nicht entkommen. Friedens-T-Shirts werden verkauft, zahlreiche Monumente stehen, auch die internationale Vereinigung von Bürgermeistern gegen Atomwaffen hat hier ihren Sitz. Ausländern, die an Hiroshima denken, fällt daher nicht unbedingt die erfolgreiche Baseballmannschaft Hiroshima Carps oder eben der Fußballklub Sanfrecce ein.
Nun aber könnte gerade Sanfrecce das Bild seiner Stadt, und vielleicht seines Landes, mit beeinflussen. Als japanischer Meister spielte der Verein in dieser Saison zum ersten Mal in der Asian Champions League, im kommenden Jahr wird das wieder der Fall sein. Wer asienweit also Fußballpartien schaut, wird um den Namen Sanfrecce Hiroshima nicht herumkommen.
In Südkorea und China unbeliebt
„Japan könnte einen sportlichen Friedensbotschafter gut gebrauchen“, sagt Sanfrecce-Fan Yuki Yamashita, der bei Heimspielen in der Kurve steht und seine in Lila gekleideten Spieler unterstützt. „Vor allem in Südkorea und China sind wir Japaner wegen unserer aggressiven Kriegsvergangenheit nicht beliebt.“ Ein Sportklub aus dem pazifistischen Hiroshima, sagt der 21-jährige Yamashita, wäre dafür doch perfekt geeignet. „Gerade in diesen Zeiten, weil Japan wieder militärisch aufrüstet und dies auch mit Chinas Aufstieg begründet.“
Bisher hat sich der Verein aus allen vermeintlich politischen Angelegenheiten rausgehalten. „Bei der Friedenszeremonie am Jahrestag der Atombombe war ich noch nie“, murmelt Hisato Sato, der Torschützenkönig der vergangenen Saison, nach einem Spiel im August. „Wenn wir kein Training haben, schaue ich sie mir im Fernsehen an.“
Junge Menschen in ganz Asien
Der Mittelfeldspieler Kazuyuki Morisaki, der aus Hiroshima stammt, glaubt aber, dass die Spieler zumindest eine politische Verantwortung tragen. „Wir erreichen die jungen Leute in Japan und ganz Asien, wenn wir wieder international spielen können. Ich hoffe, dass wir allen Fans die Grauen des Kriegs vermitteln können, die unsere Stadt ja verkörpert.“
Dass Sanfrecce Hiroshima selbst die Initiative ergreifen könnte anstatt sich bloß von der Politik vereinnahmen zu lassen, scheint bisher unwahrscheinlich. Zumindest für das pazifistische Bewusstsein in Hiroshima selbst fällt Trainer Hajime Moriyasu aber etwas ein
„Unser aktuelles Stadion ist zu alt und zu weit außerhalb gelegen. Wir wollen ein neues bauen, direkt im Stadtzentrum, wo auch der Friedenspark liegt.“ Das wäre optimal, findet Moriyasu, denn zu den vielen Mahnmalen des Kriegs wäre es dann nur noch ein Fußweg. Und international? Torjäger Hisato Sato überlegt. „Ich hoffe, dass wir bald alle zur Friedenszeremonie gehen können. Pazifisten sind wir alle.“
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