Studienplätze vom Staat: Einklagen soll schwerer werden
Hamburg will seine Studienplatz-Obergrenzen künftig vom Parlament beschließen lassen. Das soll verhindern, dass abgewiesene Bewerber sich einklagen.
HAMBURG taz | In Hamburg einen Studienplatz zu ergattern, ist nicht leicht. Doch allein im Wintersemester 2012/13 erfüllten sich etwa 1.000 Abgewiesene auf dem Klageweg doch noch den Studienwunsch. Diese Chance will Hamburg nun durch ein neues „Ausbildungskapazitätsgesetz“ einschränken.
Die Möglichkeit, als abgewiesener Bewerber auf dem Rechtsweg einen Platz zu ergattern, geht auf ein Bundesverfassungsgerichtsurteil von 1972 zurück. Die Richter entschieden, dass die in Artikel 12 des Grundgesetzes verankerte freie Berufswahl den Universitäten die Pflicht auferlegt, ihre Kapazitäten bestmöglich auszuschöpfen. Anhand der vorhandenen Stellen und vorgegebener Betreuungsschlüssel – so genannter Curricular Normwerte (CNW) – müssen die Universitäten vor Gerichten darlegen, dass wirklich nichts mehr geht, wenn Abgelehnte klagen.
Das alte Berechnungssystem sei nicht mehr „zeitgemäß“, findet nun die Hamburger SPD und greift ein Vorhaben der CDU-Vorgängerregierung auf: Da es einen klassischen Stellenplan kaum noch gebe und die Hochschulen autonom seien, will man die Sache anders regeln. „Es geht darum, den Hochschulen besser als bisher Schwerpunkte und Profilbildung zu ermöglichen“, sagt SPD-Politiker Philipp-Sebastian Kühn. Bisher hätte eine zusätzliche Professur in einem Studiengang dazu geführt, dass die Gerichte sagen, „ihr müsst mehr Studierende aufnehmen“. Sogar unbesetzte Stellen seien da mitgezählt worden, heißt es aus der Wissenschaftsbehörde.
Das neue Verfahren soll ab Wintersemester 2014/15 gelten. Es sieht vor, dass die sechs Hochschulen des Landes direkt mit der Behörde eine Gesamtzahl an Plätzen vereinbaren. Wie intensiv die Betreuung je Studiengang ist, soll intern geregelt sein. Diese „kapazitäre Obergrenze“ soll von der Bürgerschaft im Haushalt verabschiedet werden und könne vom Gericht „nur bei groben Verfahrens- und Abwägungsfehlern beanstandet werden“, so die Drucksache.
Die war am Dienstag Anlass für eine Expertenanhörung im Wissenschaftsausschuss der Hamburgischen Bürgerschaft. Der Rechtsanwalt Joachim Schaller, der seit Jahren abgelehnte Bewerber vertritt, äußerte sich dort kritisch. „Das alte Verfahren hat sich bewährt“, findet der Jurist. Nur sei es fehlerhaft angewendet worden. „Wenn eine Hochschule begründet, warum es einen bestimmten CN-Wert braucht, ist da kein Gericht rangegangen.“ Zum Beispiel sei die Betreuungsrelation bei den seit 2005 eingeführten Bachelor-Studiengängen um etwa 20 Prozent besser als in den alten Studiengängen. Dies hätten die Gerichte nicht angefochten. Bedenklich sei, dass Hamburg als erstes und bisher einziges Bundesland das seit 1972 geltende „Kapazitätserschöpfungsgebot“ aufgebe.
Die Befürworter des Gesetzes führen als Argument an, dass sich eine Klage nur Kinder reicher Eltern leisten können. Schaller hält dagegen, dass es viele abgelehnte Bewerber gibt, die ohne Anwalt nur mit einem Musterschreiben ihr Recht durchsetzen (siehe Kasten).
Zum Wintersemester 2013/14 haben sich an der Uni Hamburg 71 Studierende mit Hilfe der Gerichte einen Bachelor-Studienplatz eingeklagt. Weitere 308 erhielten den Platz durch einen Vergleich. Etwa 50 Studierende klagten einen Platz im Master-Studium ein.
Ohne Anwalt entstehen für so einen Widerspruch 190,50 Euro Gerichtskosten, wenn er abgelehnt wird. Wenn verglichen wird, nur rund ein Drittel.
Die Anwaltkosten für ein Gerichtsverfahren können sehr viel teurer werden. Es gibt die Möglichkeit, Prozesskostenhilfe zu beantragen.
Hamburg hatte im Studienjahr 2012 90.903 Studierende, darunter 16.709 Studienanfänger.
Zum Wintersemester 2012/13 gab es an der Uni Hamburg 44.765 Bewerber auf 5.205 Plätze. Allerdings bewarben sich viele an mehreren Unis parallel.
Die Uni-Gruppe „CampusGrün“ sieht denn auch in dem Vorhaben einen Angriff auf Artikel 12 des Grundgesetzes. Es sei „dringender denn je, die Kapazitäten auszuschöpfen und möglichst vielen Menschen die Chance auf ein Studium zu geben“, sagt Studentin Maike Paetzel.
Auch die hochschulpolitische Sprecherin der Fraktion Die Linke Dora Heyenn sieht hier einen „Abbau von Grundrechten“. Sie gehe davon aus, dass die Gerichte dem Senat das Gesetz „um die Ohren hauen“.
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