Musik für Kinder: Ungesüßt und unversäuert
Das Münchner Café Unterzucker belebt mit Songs für Kinder anarchische Kasperletheatertraditionen mit neuem Pop und Jazz.
Am Anfang war das Kasperletheater. Der Münchner Autor und Puppenspieler Richard Oehmann betreibt zusammen mit Josef Parzefall seit 1994 „Doctor Döblingers geschmackvolles Kasperltheater“. Mit einer portablen Bühne, einem kauzigen Puppenensemble, in dem die Prinzessin Heike heißt und der Prinz Jochen, der Seppl, herrlich debil ist und die Hexe Strudlhofer aussieht wie Alexis aus dem Denver Clan, hat sich das Duo in und um München herum eine solide Fangemeinde ertingelt.
Das liegt selbstverständlich an den angenehm anarchischen Kasperlegeschichten, die auch Erwachsene ohne Kinderbegleitung in die Aufführungen locken. Und an der Musik. Auf dem Album „Xingel-Xangel – Etliche Kasperlieder“ gibt Doctor Döblinger Einblick in sein geschmackvolles Kasperltheater. Prächtige, akustisch instrumentierte Lieder, in denen sich die Großmutter im Karl-Valentin-Duktus beschwert, dass die Enkel so anstrengend sind.
Und der Wachtmeister den Kasperl zu den Klängen einer bayrischen Festtagspolka verhaftet, dabei aber nicht weiß, wo er am Sonntag das Brot herbekommt. Oder Kasperl dem Tod von „der Schippn hupft“ und im Hillbilly-Beat skandiert: „Hau ab, du Tod, i mag no net sterbn, i lass mir doch von dir den Spaß net verderbn.“
Café Unterzucker: „Leiser! Kindische Lieder aus der Nachbarschaft“ (Trikont/Indigo)
Live: München "Theater und so fort" 22. Dezember
Nun hat Oehmann zusammen mit dem Multiinstrumentalisten und Theatermusiker Tobias Weber das Café Unterzucker gegründet, ein „Institut für ungesüßte Kinderkultur und unversäuerten Erwachsenenschmarrn“. Folgerichtig wird hier kein Süßkram angeboten, sondern mit „Leiser! – Kindische Lieder aus der Nachbarschaft“ ein Konzeptalbum mit herzhafter Textur.
Das soziale Panoptikum einer Straße wird liebevoll beäugt: der ewig nörgelnde Nachbar Ahnfried, die absolut gleichen Zwillinge Ruth und Grit oder wer alles welchen Lärm macht. In keinem Takt wird sich hier ans Kind angebiedert. Trotzdem haben Kinder ihren Spaß und Erwachsene erfreuen sich an manch hintergründigem Gag, der sich Kindern eventuell nicht erschließt.
Erwachsenenschmarrn
Die Texte stammen von Oehmann, die Musik ist von Weber, für die musikalische Umsetzung standen große Teile des illustren „Xingel-Xangel“-Ensembles bereit. Micha Acher, über die Grenzen Bayerns hinaus bekannt als einer der beiden Strippenzieher von The Notwist, lebt hier seine Liebe zum Jazz aus, den er sonst auch bei den New Orleans Dixie Stompers spielt.
Die Bierruhe, die von seinem Tuba-Spiel ausgeht, rührt gewiss vom jahrelangen Beschallen sonntäglicher Frühschoppen, etwa im Münchner Lokal „Zum Fraunhofer“. Greulix Schrank hat den Metal-Hammer, den er vormals bei der Band Die Schweisser schwang, aus der Hand gelegt und klöppelt hier gut aufgelegt am Schlagzeug.
Stilistisch wird vor nichts haltgemacht, das Rad auch nicht neu erfunden, von Beliebigkeit dennoch keine Spur. Es wird der Blues gespielt, auch ein Wienerlied mit Schmäh ist dabei. Vorgetragen wird es vom Schneekönig aus Doctor Döblingers geschmackvollem Kasperltheater und handelt von einem greisen DJ, der furchtbar unter seinen Kreuzschmerzen leidet. Und – die trauen sich was! – Seemannslieder mit Westernschlagseite.
Ode an den Bolzplatz
Das Lied vom Eismann, der einmal ein Seemann war, schwingt mit Banjo im Schindmährentrapp. Der begleitende breitbeinige Shanty-Gesang des Chores der Romantiker e. V. lässt jedes Gerede vom trennenden Element eines Weißwurstäquators absurd erscheinen.
Die Jazzsängerin Anna Herrmann lässt eine Ode an einen Bolzplatz vom Stapel, die im Fußballsuperjahr 2014 noch öfter zu hören sein wird. Außerdem swingt sie mit „Regenreiner“ Andrew-Sisters-gleich dreistimmig ein Lied von einem, der sich nur bei Regen wohl fühlt. Am stimmigsten tönt es allerdings immer, wenn im breiten Bayrisch agiert wird. Außerdem ist ein charmantes: „I hab koa Lust“ auf Bayrisch leichter hinzunehmen als in schlecht gelauntem Hochdeutsch.
Und die renitente Starrköpfigkeit der donnerstäglich probenden Dixie-Opas ist eindeutig sympathischer, weil sie auf die Frage, ob es nicht ein bisschen leiser ginge, antworten: „An sich scho, das geht, aber des fang’ mer’ gar ned o.“
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