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Randale beim FußballSchlägertyp und Spaß dabei

Ein neues Buch aus der Bremer Fan-Szene erzählt aus eigener Erfahrung von Fußballgewalt. Auch die CDU versucht, das Phänomen näher zu ergründen.

Inbegriff von Randale oder Symbol des Protests gegen Einschränkungen der Fankultur: Pyrotechnik. Bild: dpa

Sicher: An Dirk T. ist kein ganz großer Erzähler verloren gegangen. Dennoch ist sein aktuelles Buch lesenswert. Als authentische Milieustudie. Als autobiografischer Roman eines Mannes, den man heute einen Fußball-Hooligan nennen würde.

Herr T., heute ein Mittvierziger, war vor allem in den Achtzigern und Neunzigern im Umfeld von Werder Bremen aktiv – und saß dafür vier Wochen im Jugendarrest und bestimmt hundertmal in Polizeigewahrsam. Er ist einer derjenigen, für die Vereine zusammen mit Sozialpädagogen eigene Fan-Projekte entwickelt haben.

Wir waren „Kleinkriminelle und Schlägertyen, ja, sicher, aber eben auch die Kinder von ganz normalen Bremer Familien“, sagt T. heute. Genau davon handelt dieses Buch: vom Leben eines „typischen Siebzigerjahre-Kids der unteren Mittelschicht“. T. ist in der Neuen Vahr und in Tenever groß geworden, sein Vater war Werftarbeiter, seine Mutter Verkäuferin.

Fußball & Gewalt in Bremen

Mit einer Großen Anfrage versuchte die CDU kürzlich, "die Gewalt am Rande von Fußballspielen" näher zu beleuchten:

Zum "Kern" der drei Bremer Hooligan-Gruppierungen zählt die Polizei 50 Menschen, zu ihrem Umfeld weitere 35. "Nordsturm Brema" und Teil der "Standarte Bremen" stuft die Polizei dabei als "rechtsgerichtet" ein, die anderen als "erlebnisorientiert" und "gewaltsuchend".

Zu den Ultras - die für die Choreografien in den Fankurven verantwortlich sind - zählt die Polizei in Bremen im Kern 260 Menschen, zu ihrem Umfeld weitere 150. Der Polizei gelten sie überwiegend als "gewaltgeneigt". Nur in zwei der acht Ultra-Gruppen gibt es laut Polizei Frauen - insgesamt 15-20.

267 Straftaten im Zusammenhang mit Fußballspielen vermeldete die Polizei in der vergangenen Saison, 2011/12 waren es 132, 2008/09 insgesamt 106. Oft geht es dabei um Körperverletzung und Landfriedensbruch.

13 Verletzte registrierte die Polizei in der letzten Saison am Rande der Spiele, 2008/09 waren es 21, in der Saison darauf 27.

Der Personaleinsatz der Polizei ist von 27.444 Einsatzstunden in der Saison 2008/09 kontinuierlich auf 37.127 angestiegen.

Bundesweit Stadionverbote haben laut Senat aktuell 35 Werder-Fans, 20 davon werden von der Polizei den Ultras oder Hooligans zugerechnet.

Und Fußball war quasi „die bedeutendste Institution in unserer Gesellschaft des finanziell entproletarisierten Kleinbürgertums“, wie es in dem Buch heißt. Wer in den Achtzigern ins Stadion ging, „gehörte automatisch zum Kreis einer eingeweihten Minderheit“, sagt T. „War man Fan, dann musste man auch bereit sein, für dieses Bekenntnis im Zweifelsfall den Kopf hinzuhalten.“ Promis, Wirtschaftsleute, Firmen, Familien oder auch nur Frauen waren auf den Tribünen noch die Ausnahme.

Als er das erste Mal eine Prügelei mitbekommt, da ist T. zwölf, mit 16 hat er seine erste Anzeige. Von all dem erzählt „Kein Weinfest in Tenever“, aber auch von der Jugendkultur drumherum, von Musik, Konzerten, Frauen, viel zu viel Alkohol und der Suche nach dem ersten Sex.

Und dazwischen? Immer wieder Randale. „Ich zog mit meiner rechten Hand den Billiardqueue aus dem linken Ärmel meiner Bomberjacke und haute ihm kräftig auf sein linkes Ohr. Er fiel sofort um. (...) Als er sich hochrappeln wollte, traten wir ihm in die Rippen. Der andere Typ umklammerte die Flasche Springer.

Ob alles wirklich so war? Egal. „Romane können wahrer sein als Tatsachenberichte“, sagt T., „weil sie konzentrierter erzählen können.“ 2010 hat er schon mal ein Buch geschrieben: „Ostkurve“, ebenfalls bei Trolsen erschienen.

Die Randale entwickelte sich bei T. zu einer echten Sucht. Das Buch erzählt davon ganz ungeschminkt. „Es konnte immer wieder ausbrechen, je nach Situation“, sagt T., der von sich sagt, dass er seit 1999 „clean“ ist. „Eine Hauerei dauerte meist nie länger als ein bis zwei Minuten (...). Wenn eine Seite sah, dass sie unterlegen war, oder die Bullen auf den Plan traten, verpisste man sich, so schnell es ging (...). Schließlich war nach einer verlorenen Schlacht noch nicht aller Tage Abend und genügend Zeit für ein Rematch.“

Dirk T. hat später trotzdem studiert. Sein Buch ist „eine Reflexion“, wie er selbst sagt. Er verklärt seine Randale nicht, aber er verurteilt sie auch nicht.

„Kein Weinfest in Tenever“, 241 Seiten, Trolsen, 12,90 Euro

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