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Kommentar zur abgesagten RäumungEinmal ein harter Hund sein

Bert Schulz
Kommentar von Bert Schulz

Klaus Wowereit konnte gar nicht anders, als seinen Innensenator einzufangen: Die von Henkel angestrebte Räumung hätte in Berlin für Hamburger Zustände gesorgt.

D en größten Teil seiner Amtszeit präsentierte sich Frank Henkel bisher eher als Traumschwiegersohn denn als Prototyp eines Innensenators: nett, lieb, unbedarft. Wenn’s Konflikte gab, war wenig von ihm zu sehen. Das steigerte seine Beliebtheit, auch seiner Partei schadete es nicht: In Umfragen ist sie stärkste Kraft in der Stadt. Doch offenbar brodelt es ab und an selbst in ihm. Auf dem Oranienplatz wollte er zeigen, dass er nicht nur Milchbubi, sondern auch ein richtig harter Hund sein kann – und fiel damit derb auf die Nase.

Eigentlich schon zum zweiten Mal. Bereits sein erstes Ultimatum im Dezember war verpufft. Und am Dienstag konnte Klaus Wowereit gar nicht anders, als seinen Innensenator einzufangen: Das von Henkel angestrebte Räumungsultimatum hätte eine diplomatische Lösung für das Flüchtlingscamp verhindert, die Folge wären Hamburger Zustände in Kreuzberg gewesen.

In der Hansestadt heizt SPD-Regierungschef Olaf Scholz mit seinem rigiden Vorgehen die Konflikte um die besetzte Rote Flora immer mehr an und bringt nicht mehr nur die linke Szene, sondern auch Teile der Bürgerschaft gegen sich auf. Wowereit hat daraus gelernt und wagt noch mal einen Gesprächsversuch.

Henkel hat sich verrannt und im Vorfeld – wohl trunken vom Jubel der CDU-Fraktion über seinen Kurs – versäumt, sicherzustellen, dass dieser im Senat auch durchsetzbar ist. Nun darf der rechte Flügel der Union über ihn höhnen, die SPD sich freuen, dass der Schwiegersohn sich ein blaues Auge eingefangen hat. Und die Bürgermeisterin von Kreuzberg zeigen, dass sie selbst mit Linksextremen gemeinsam eine Lösung findet.

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Bert Schulz
Ex-Leiter taz.Berlin
Jahrgang 1974, war bis Juni 2023 Leiter der Berlin-Redaktion der taz. Zuvor war er viele Jahre Chef vom Dienst in dieser Redaktion. Er lebt seit 1998 in Berlin und hat Politikwissenschaft an der Freien Universität studiert.
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11 Kommentare

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  • G
    Gast

    Das blaue Auge holt sich die SPD und Frau Hermann. Die werden nie eine Lösung finden bei der das Camp friedlich aufgelöst wird. Henkel und die CDU gehen als Sieger hervor, denn einerseits wollten sie das Camp räumen lassen (finden viele gut) und andererseits müssen sie jetzt den Konflikt, der mit einer Räumung einher gegangen wäre nicht tragen, was vielleicht Sympathien gekostet hätte, wenn die Zustände dann ähnlich wie in Hamburg gewesen wären.

  • H
    HINTENDRAN

    Gesprächsversuche in allen Ehren, aber irgendwann sind alle Gesprächsoptionen ausgeschöpft, dann MUß gehandelt werden.

  • S
    Schneemann

    Frau Hermann findet keine Lösung gemeinsam mit irgendwem, Frau Hermann tut schlicht überhaupt nichts, weil sie Angst hat, sich eine blutige Nase zu holen. Das ist zwar rein bildlich gesprochen, andererseits weiß man bei der richtungsextremen Klientel ja nie...

     

    Möge es eine Lösung für die Flüchtlinge geben, ehe die Temperaturen auf unter 0 rutschen und ohne dass der Rechtsstaat sich erpressen lässt.

    • @Schneemann:

      Für den Bereich des Asylsystems kann in Europa kaum von "Rechtsstaat" gesprochen werden. Es gibt de facto kein funktionierendes Asylsystem.

      Es handelt sich also nicht um Erpresseung, sondern um die Aufdeckung eines dysfunktionalen Bereiches des Staates.

      • G
        gast
        @Dhimitry:

        Sie haben in sofern recht, als dass das Asylrecht und alles was daraus folgt nicht konsequent angewandt wird. Wer kein Anspruch auf Asyl hat (was die meisten sind) bekommt oftmals doch ein Bleiberecht. Jeder Staat hat die Pflicht, sich für die Bedürfnisse seiner Bürger einzusetzen. Jeder Staat darf für diese Bedürfnisse bestimmen, wie er die Einwanderung gestaltet.

  • ML
    menschenrechtsorientiert = linksextrem?

    Nötigenfalls werden die Reaktionen auch sehr kreativ und fantasievoll sein ;)

  • K
    Karla

    Kapitulation des Rechtsstaats

    • @Karla:

      Nein, besonnenes Vorgehen. Ein Rechtsstaat der nur mit Polizeigewalt agieren kann, ist kein Rechtsstaat.

      • N
        NGOLO
        @Dhimitry:

        Ein Rechtsstaat, der seine eigene Gesetze nicht duchsetzen kann ist auch kein Rechtsstaat sondern ein Staat, der durch Anarchie gekennzeichnet ist. Von besonnenem Vorgehen kann nach über einem Jahr Erbegnislosigkeit keine Rede sein. Es gab Vereinbarung die wiederholt von den Campern gebrochen wurden. Der Staat muss dafür sorgen, dass die Gesetze eingehalten werden tut er dies nicht, verliert er den Anspruch auf die Rechte, die ihm die Bürger übertragen haben.

    • G
      Gast
      @Karla:

      Stimmt, wer am lautesten Schreit kriegt alles, frage mich was passiert, wenn Rechte ein ProtestCamp errichten. Dann muss dieses im Umkehrschluss stehen bleiben, bis die Ziele erreicht sind. Ist das wünschenswert? Meiner Ansicht nach nicht, aber der Rechtsstaat muss in alle Richtungen neutral bleiben.

      • WS
        wär schön wenn die flüchtlinge ihre ziele erreichen!
        @Gast:

        "frage mich was passiert, wenn Rechte ein ProtestCamp errichten" Schon mal was von der Strategie der sogenannten "national befreiten Zonen" gehört? Oder der Gründung von entsprechenden Gemeinschaften in weitgehend verlassenen Dörfern. ... Dazu findet sich einiges im Archiv der taz.