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Assad-Gegner reagieren auf Folterbilder„Wir sterben allein“

Die taz befragte Assad-Kritiker in Syrien nach ihrer Einschätzung zu den Folterberichten. Sie sind wütend, dass das Ausland erst jetzt mit Bestürzung reagiert.

Mehr als 130.000 Menschen starben bisher in Syrien. Bild: ap

BERLIN taz | Die Reaktionen fielen verhalten aus. So sagt Dschigarkhwin Mula Ahmad, 28 Jahre, aus Qamishli: „Der Bericht über die Foltertoten enthält eigentlich nichts Neues. Die äußerste Brutalität des Assad-Regimes ist längst bekannt. Aber es ist gut, dass erfahrene Juristen die Echtheit der Bilder bestätigen und die Öffentlichkeit davon erfährt.“

Die Freilassung der 250.000 politischen Gefangenen war eine der Forderungen von Genf I, so Ahmad weiter. „Hoffentlich wird jetzt in Genf genug Druck ausgeübt auf Russland, auf den Iran und auf das Regime, diese Gefangenen tatsächlich freizulassen. Wenn die internationale Gemeinschaft das nicht hinbekommt, was will sie dann überhaupt noch für die Menschen in Syrien erreichen?“

Ahmad war am Aufbau des Studentennetzwerks UFSS beteiligt, bis er im März 2012 in Aleppo festgenommen und erst im Oktober 2013 freigelassen wurde: „Ich kenne die Folter in verschiedenen Spielarten. Besonders berüchtigt ist der ’deutsche Stuhl‘, bei dem einem das Rückgrat gebrochen werden kann.“

Auch Muhammad Ali reagiert reserviert. Er lebt in Qudssaya, einem Vorort von Damaskus, der bis Kurzem belagert und abgeschnitten war. Inzwischen wurde eine Art Waffenstillstand vereinbart: „Die Revolution begann, weil Kinder in Daara Graffiti an eine Mauer sprühten und dafür gefoltert wurden. Wie konnte das Ausland daran zweifeln, dass Gefangene von so einem Regime bis zum Tod gequält werden?“

Wütend und frustiert

Ein Schauspieler, Regisseur und Mitglied der Künstlergruppe Masasit Mate, der sich „Jamil“ nennt, ist wütend: „Es ist ganz einfach so: Wir syrischen Aktivisten berichten seit drei Jahren tagtäglich über die Gräueltaten des Regimes, die dann im Ausland stets als ’angebliche Fälle‘ bezeichnet wurden. Auch die Existenz von Todeszellen könne niemand beweisen, hieß es. Erst dieser Bericht löst jetzt eine Welle der Bestürzung in der Welt aus.“ Und er fährt fort: „Mich haben der Zeitpunkt – unmittelbar vor Beginn von Genf II – und auch die Urheber stutzig gemacht: Eine britische Anwaltsfirma, die sowohl Al Jazeera vertritt, aber auch Nutznießer des Regimes berät, wie sie die EU-Sanktionen umgehen können. Was soll dieses politische Manöver?“

Jamil ist wütend und frustriert – „vom Assad-Regime sowieso, aber vor allem von der internationalen Gemeinschaft. Genauso wie viele andere Syrer erwarte ich nicht, dass diese neuen Fotos von Folteropfern den Umgang mit dem Regime grundsätzlich verändern werden: Wir sterben allein!“

Die Statements wurden mithilfe von //www.adoptrevolution.org/:Adopt a Revolution eingeholt

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10 Kommentare

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  • S
    Sören

    Die Situation in Syrien ist sicher dramatisch, und es ist sehr bedrückend, dass man den Menschen dort nur schwer helfen kann. Die Berichte über Folterungen sind schrecklich, aber nicht überraschend, wenn man an den Einsatz von chemischen Waffen denkt.

     

    Der Militär-Einsatz, der im letzten August diskutiert wurde, hätte den Menschen aber nicht nachhaltig geholfen. Der Druck auf das Regime muss aufrecht erhalten werden, aber letzlich muss eine diplomatische Lösung gefunden werden. Europa kann den Nachbarländern Syriens, die so viele Flüchtlinge aufgenommen haben, helfen und selber Flüchtlinge aufnehmen.

     

    Für einen Neuanfang muss Assad ganz klar Platz machen. Es ist absolut unmöglich, dass er Teil eines neuen Syriens sein kann. Danach muss dem Land von der internationalen Gemeinschaft geholfen werden, zu stabilen und demokratischen Verhältnissen zu kommen.

     

    Es ist sehr bedauerlich, dass Russland den Konflikt zu einer Art Retro-Show des Kalten Krieges gemacht hat. Und wer hier dem noch zujubelt, aus Ideologie und Antiamerikanismus, liegt moralisch ziemlich weit daneben.

    • T
      Toyak
      @Sören:

      Zitat: "Und wer hier dem noch zujubelt, aus Ideologie und Antiamerikanismus, liegt moralisch ziemlich weit daneben."

       

      Zu Ihrer Info, nicht Russland hat dazu beigetragen, dass Freiheitskämpfer nach Syrien flogen und gingen, sondern der Westen, der neue Gestaltung des Nahen Osten will, nachdem er einige seiner alten Verbündeten eingebüßt hat (Mubarak, Saleh usw.)

      Es ist immer interessant, in einem Satz von Moral und USA zu sprechen und anderen sowas wie in dem zitierten Satz unterzujubeln.

  • T
    toddy

    Ich darf doch davon ausgehen das sie Empört sind … so der „Journalismus“ des „dasistdie meinungdieihrzuhabenhabt“ Ressorts natürlich nicht über die tausendfachen Videobeweise wie die „Revolutionäre“ mit Gefangenen auch der syrischen Wehrdienstarmee (alle werden standardmäßig gefoltert und bestialisch ermordet) umgehen. Auch gibt es hundertfache Beweise von Gefangenen des syrischen Staates, die oh Wunder sich bester Gesundheit erfreuen. Es ist schon interessant das alle Details retuschiert wurden die eine Identifizierung (evtl. durch Angehörige)möglich machen, so ist es unmöglich Todeszeitpunkt, Religion oder politische Couleur oder Todesort (so ist Vorstellbar das die Bilder aus welcher arabischen Diktatur auch immer stammen) oder eben auch Opfer der syrischen Geheimdienste sind (die folterten bis vor kurzem auf Bestellung der USA). Warum ist also Identifikation und damit Indizien auf Täterschaft unerwünscht? Opferschutz wird wohl kaum, interessant auch das der Namenlose "Militärpolizist" gerade jetzt auftaucht, nachdem monatelang ausschließlich bestialische Morde und Folterungen (der Revolutionäre gleich welcher Bandenmitgliedschaft) tausendfach im Internet zu erleben und damit im Unterschied identifizierbar und auch bewiesen sind. Auch auffällig wie vor jeder internationalen "Begegnung" eine neue Sau durchs Dorf getrieben wird, die sich meistens nach kurzem als Ente erwiesen haben. Verheerend für diese Propagandaaktion wäre natürlich wenn Alaviten, Christen, Schariafeindliche Sunniten oder auch Libyer, Saudis, Bahreins (und wie die Musterdemokratien so heißen) ihre lange vermissten Angehörigen identifizieren und alles platzt wie Brutkastenlüge, Massenvernichtungswaffen, Bombardement des eigenen Volkes, Militär-Chemiewaffeneinsatz, aber da hat man ja diesmal einen Riegel vorgeschoben - bis die Originale auftauchen...

  • T
    toddy

    na klar, die taz befragte (ausschließlich) Assadgegner, obwohl sie (wie diverse Demos eindrucksvoll belegen) die Minderheit der Syrer in Deutschland darstellen. Auch interessant, die Mehrheit von ihnen wiederum Menschen die es mit der (sunnitischen) Religion seeehr genau nehmen. Allein die realitätsfremde Auswahl der Protagonisten ist die gewünschte Antwort, eben das was professionelles Handwerk verbietet - eine Suggestivfrage...

  • T
    toddy

    Aktuell: Manfred Bleskin ein echter Qualitäts- Journalist musste viel zu früh sterben, während Demagogie galoppiert, die Welt ist ungerecht...

    im ehrenden Gedenken TD.

  • An dem, was diese Autorin hier von sich gibt, hege ich tiefste Zweifel. Sie argumentiert einseitig wie eine Propagandistin.Und das von Anfang an. Aber das Leben hat sie immer wiederlegt. Selbst die Giftgasstorry ist durch die jüngst in den USA, erschienene Studie von Professor Theodore A. Postol und Richard Lloyd widerlegt. Ohne das mal eine Entschuldigung an die Lesser gekommen wäre...

  • B
    Brandt

    Die taz macht hier wohl im fremden Auftrag eine bellizistische Kampagne mit ihrer Zielgruppe.

     

    Grundsätzlich muss ein gerechter Krieg - also Töten als soziale Tugend folgende Prämissen erfüllen.

     

    - manifester Rechtsbruch

    Die Koalition unter Assad müßte Rechtsbrüche begangen haben im Bürgerkrieg. Eine Verurteilung durch ein internationales Menschenrechtsgericht sollte mindestens vorliegen. Das liegt nicht vor (-).

     

    - legitime Autorität

    Eine legitime Repräsentation des Allgemeinwohls sollte vorhanden sein, in dessen Namen der gerechte Krieg geführt werden soll. Es gibt keine legitime Exil-Regierung (-)

     

    - rechtes Mittel

    Ziel muss die Wiederherstellung von Frieden und Gerechtigkeit sein. Da die USA den Syrien Konflikt als Auftakt eines Angriffes auf den Iran inszenieren will (-)

     

    - letztes Mittel

     

    Ausschöpfung aller nicht-militärischen Mittel ist in diesem Fall nicht gegeben (-)

     

    - Diskriminierbarkeit ohne Schädigung Unschuldiger

     

    die US Luftstreitkräfte haben bereits im Irak sehr viele Unschuldige ermordet durch militärische Mittel als auch durch ihr Embargo. Das ist dokumentiert. (-)

     

    - Verhältnismässigkeit

     

    Das Ziel der Freilassung von politischen Gefangenden muss im Verhältnis zu den möglichen Schäden bei Unschuldigen stehen. Die Freilassung von politischen Gefangenden könnte auch durch Zusicherung eines freien Exil der syrischen Führung erreicht werden. (-)

     

    Keiner der Prämissen ist erfüllt für einen gerechten Krieg, aber alle müssen für einen solchen gleichzeitg erfüllt sein.

  • HB
    Harald B.

    Schon der 5. scharfe anti-Assad-Artikel der taz.

    Wie wäre es wegen der journalistischen Ausgewogenheit und einem Bericht über die Gräuel der "Rebellen" (Kopfabschneiden,Leute vom Dach werfen, Herzherausschneiden)?

    Oder über die Hintermänner und den Menschnrechten in den Musterdemokratien Saudi-Arbaien und Katar?

  • Entschuldigung, wenn es laut casualties in the Syrian Civil War (en.wiki) im August 145.000 Tote waren, und pro Monat 5000 Menschen umgebracht werden, z.B. mit Fassbomben, dann sind es inklusive der Foltermorde heute über 165.000.

    • G
      gast
      @nzuli sana:

      Im Kongo wurde innerhalb einer Woche Hundertausende abgeschlachtet.

       

      im letzten Jahrzehnt auch in Kongo etwa 5 Millionen Menschen getötet.

       

      Dort herrscht alles, nur keine Demokratie. Wer regt sich hier darüber auf ????

       

      Die Menschen ist Syrien: "Sie sind wütend, dass das Ausland erst jetzt mit Bestürzung reagiert". Wie sollte man reagieren, wenn davon nichts bekannt geworden ist.

       

      Natürlich ist es schrecklich was da passiert, jeder Tote ist ein Toter zu viel.