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Literatur von Hakuri MurakamiGlobal anschlussfähig

Er ist der Neoromantiker unter den Welt-Schriftstellern. Was macht die Romane des Haruki Murakami eigentlich so erfolgreich?

Literaturstar aus Japan: Hakuri Murakami. Bild: imago/Christian Thiel

Auch Haruki Murakamis neuem Roman „Die Pilgerjahre des farblosen Herrn Tazaki“ folgte fast schon reflexhaft die Beschwerde. Jetzt sei es nun aber langsam mal Zeit mit dem Literaturnobelpreis. Jedes weitere Jahr vergrößere ja nur die Blamage des Stockholmer Komitees. Warum eigentlich? Weil sich seit geraumer Zeit das gemeine Lesevolk und die gebildeten Stände bei diesem Autor die Hand reichen?

Weil er nicht nur die Kluft zwischen E und U zuschüttet, sondern gleich auch noch alle Sprach- und Landesgrenzen hinter sich lässt? Weil er insofern wirklich einmal Weltliteratur schafft, nämlich Bücher, die überall in der Welt Bestseller werden? Auf der Spiegel-Bestsellerliste steht er auf Platz zwei.

So gesehen. Man kann es allerdings auch ganz anders sehen. Murakamis Anschlussfähigkeit und globale Kompatibilität ist nämlich zugleich auch sein literarisches Defizit. Womöglich stören sich die Schweden ja daran. Oder es ist nur ihr menschlich-sympathisches Gespür für poetische Gerechtigkeit? Murakami – der hat doch schon alles!

Das Buch

Haruki Murakami: „Die Pilgerjahre des farblosen Herrn Tazaki“. Aus dem Japanischen von Ursula Gräfe. Dumont, Köln 2014, 318 Seiten, 22,99 Euro

Man kann so einen internationalen Erfolg schwerlich planen, aber wenigstens nachträglich zu erklären versuchen. Murakami schreibt eine Literatur des kleinsten gemeinsamen Nenners. Seine Helden entstammen auffällig oft der gehobenen Mittelschicht, sind gebildet, beruflich erfolgreich, Subsistenzsicherung stellt kein Problem für sie dar. Und sie sind körperlich „gesund“. Das scheint dem Marathonläufer Murakami wichtig zu sein.

Immer wieder kommt er in seinem neuen Roman zustimmend darauf zu sprechen: „Du bist ein gesunder sechsunddreißigjähriger Bürger, hast Wahlrecht, zahlst deine Steuern …“ Die wirklich kranken Typen vom sozialen Rand findet man eher bei seinem Namensvetter, dem rabiaten Ironiker Ryu Murakami.

Exotische Aura

Die Handlungsorte sind eher nebensächlich und auch nicht besonders üppig koloriert. Murakamis Geschichten könnten letztlich überall spielen. Gleichzeitig aber evozieren die japanischen Orts- und Personennamen eine gewisse exotische Aura für die hiesige Leserschaft – und das erzeugt eine heimelige Atmosphäre, man erkennt das Eigene im Fremden. Murakami gilt nicht zu Unrecht als der westlichste japanische Autor. Dafür spricht auch der kosmopolitische kulturelle Resonanzraum seiner Erzählungen, es sind die Referenzwerke abendländischer Kultur, auf die er in seinen Büchern verweist.

Oft liefern ihm angloamerikanische Jazz- und Popstandards das leitmotivische Unterfutter. Hier ist es mal die europäische Klassik, untermalt Franz Liszts Klavierstück „Le mal du pays“ aus den „Années de pèlerinage“ Herrn Tazakis Sehnsucht nach Freundschaft und Farbe im Leben.

Vor allem aber bedienen seine Stoffe ein offenbar breites Leserbedürfnis nach Weltflucht. Die meisten seiner Geschichten kippen irgendwann aus der profanen Wirklichkeit in den Traum, ein surreales oder mythisches Zwischenreich oder gleich in ein Märchenszenario. Murakami ist ein Neoromantiker. Es gibt keine Poesie mehr in der ratiokontrollierten, leistungsoptimierten Realität, folglich braucht man als Palliativ und transitorischen Ausweg die Phantasmagorie. Offenbar ist das eine suggestive Ästhetik zurzeit.

Gepflegt, mitunter betulich

Die Ikea-Qualitäten dieses Autors manifestieren sich letztlich auch im Stil. Murakamis Diktion ist gepflegt, gebügelt, mitunter etwas betulich; in weniger gelungenen Passagen hat er einen Besen im Arsch. Seine Sprache ist eher unambitioniert, Fremdwörter und Neologismen findet man ebenso wenig wie gewagte Metaphern.

In der Regel gar keine Metaphern, sondern allenfalls Vergleiche. „Vom Juli seines zweiten Jahres an der Universität bis zum Januar des folgenden Jahres dachte Tsukuru Tazaki an nichts anderes als den Tod“, beginnt sein neuer Roman. „Bis heute wusste er nicht, warum er den letzten Schritt nie vollzogen hatte. Denn die Schwelle vom Leben zum Tod zu überschreiten wäre damals so leicht für ihn gewesen, wie ein rohes Ei zu schlucken.“

In einem solchen ruhigen, quasi klassischen Berichtsstil ohne Forciertheiten und expressive Ausreißer schwebt diese Prosa dahin. Immer leicht melancholisch gestimmt, Ironie und Komik sucht man hier vergeblich. Murakami verlässt diesen stilus mediocris, die Mittellage der klassischen Rhetorik, nicht einmal bei den Gedankenprotokollen und Dialogen seiner Protagonisten. Sie denken so aufgeräumt und sprechen so abgeklärt wie der Erzähler selbst. Das Szenische ist denn auch nicht unbedingt Murakamis Stärke. Die wörtliche Rede klingt manchmal so, als würde sich das Personal Zettelchen schreiben oder Spruchbänder hochhalten.

Das große Geheimnis

Der Held des neuen Romans, Tsukuru Tazaki, ein einsamer Bahnhofsarchitekt, der an Minderwertigkeitskomplexen leidet, weil er vor vielen Jahren ohne jede Erklärung aus der unzertrennlichen Schülerclique verstoßen wurde, lernt Sara kennen. Sie ist nicht nur eine neue Frau in seinem Leben, sie hat eine besondere Aufgabe in diesem Roman, soll Tazaki nämlich dazu bringen, sich der Vergangenheit zu stellen, seine Freunde von einst aufzusuchen und das große Geheimnis zu lüften. Und sie trägt schwer an dieser Aufgabe, wird zur bloßen Erfüllungsgehilfin des Autors fast ohne eigenes Profil. Vor allem muss sie sprechen wie eine Mischung aus Gouvernante und Therapeutin.

Wobei hier immer der Einfluss seiner Übersetzerin Ursula Gräfe in Rechnung zu stellen ist. Ich befürchte allerdings, so groß ist der gar nicht. Gerade die Dialoge der beiden Liebenden sind denn auch von einer Formelhaftigkeit und mitunter erlesenen Banalität, dass sie garantiert überall auf der Welt verstanden werden.

„’Natürlich würde ich dich gern sehen. Aber ich glaube, es ist besser, wenn ich vorher nach Finnland reise‘, meldet sich Tsukuru bei Sara ab, um die letzte Schulfreundin in der Emigration zu besuchen und sich dadurch endgültig von seiner neurotischen Fixierung auf die Vergangenheit zu befreien.

’Das sagte wohl auch dein Instinkt?‘

’Ja.‘

’Gehörst du zu den Menschen, die sich auf ihre Intuition verlassen?‘

’Nein, eigentlich bin ich bei meinen Entscheidungen bisher nie meiner Intuition gefolgt. Bahnhöfe werden ja auch nicht intuitiv gebaut. Ich weiß nicht einmal, ob Instinkt das richtige Wort ist. Es ist einfach so ein Gefühl, das ich habe.‘

’Aber im Augenblick hältst du es jedenfalls so für das Beste. Ob aus Instinkt oder was auch immer.‘

’Als ich kürzlich im Schwimmbad war, habe ich nachgedacht. Über dich und über Helsinki. Ich kann es nicht erklären, aber ich hab das Gefühl, als würde ich mich instinktiv stromaufwärts bewegen‘, sagte Tsukuru.

’Das ist dir beim Schwimmen eingefallen?‘

’Ja, dabei kann ich ausgezeichnet nachdenken.‘

Sara schwieg einen Moment. Sie schien erstaunt. ’Stromaufwärts wie ein Lachs?‘

’Ich weiß nichts über Lachse.‘

’Die Lachse machen lange Reisen und folgen dabei einem bestimmten Instinkt‘, sagte Sara. ’Hast du Star Wars gesehen?‘

’Als Kind.‘

’Möge die Macht mit dir sein‘, sagte Sara. ’Wenn die Lachse das schaffen, schaffst du es auch.‘“

Zen und Stille

Das geht bei den Fans offenbar als Zen-Weisheit durch. Es ist diese Tendenz zum gravitätischen Pipifax, die einem diese Prosa noch zusätzlich verleidet. „Eifersucht war […] das trostloseste Gefängnis, das es auf der Welt gab. Denn es war ein Gefängnis, in das der Gefangene sich gewissermaßen selbst einsperrte. Niemand zwang ihn dazu. Er ging aus freien Stücken hinein, schloss von innen ab und warf den Schlüssel durch das Gitter nach draußen. Niemand auf der ganzen Welt wusste, dass er dort eingekerkert war. Nur wenn er sich selbst dazu entschloss, konnte er es verlassen. Denn das Gefängnis befand sich in seinem Inneren.“

Um auf solche tiefe Gedanken zu kommen, braucht es Stille. Stille gehört zu Murakamis Lieblingswörtern. Er kennt diverse Aggregatzustände. Etwa die „dichte, undurchdringliche Stille“ oder die „tiefe, vielsagende Stille“. Manchmal ist die Stille allerdings auch tief und nichtssagend.

„Tiefe Stille senkte sich über den Raum. Nicht der geringste Laut war zu hören. Es war ohnehin ein ruhiges Zimmer.“ Und dann gibt es noch die „unendlich tiefe Stille“, bei der hört man sogar Sachen. „Es war ein besonderer Laut, der nur in unendlich tiefer Stille zu vernehmen war. Er kam nicht von außen, sondern entstand tief in seinem Innern. Jeder Mensch trägt solch einen eigentümlichen Laut in sich. Doch nur selten hat man Gelegenheit, ihn zu vernehmen.“

Also ich kann die Schwedische Akademie verstehen.

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8 Kommentare

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  • Im Übrigen gibt es Romane die mit surrealen Elementen spielen schon länger in der Literaturgeschichte. Es mag sein, dass im Laufe der Moderne das Bedürfnis nach einer Weltflucht stärker geworden ist. Die war aber schon immer ein Anreiz Romane zu lesen.

     

    Das Etikett "Neoromantik" empfinde ich als ziemlich weit hergeholt. Murakami entfaltet keine transzendente Wirklichkeit, sondern eine tiefenpsychologische und existenzialistische. Es gibt weder die große Verzweiflung noch die metaphysische Erlösung und romantische Hauptmotive, wie etwa die Natur oder die Nacht spielen keine (zentrale) Rolle.

     

    Ein wenig Kritik will ich dann an den Artikel doch üben: Die Zitate aus dem Werk lesen sich, aus dem Textfluss der Romane herausgerissen und im Kontext des Artikels lächerlicher als sie sind. Vorallem weil es ihnen gleich danach unterstellt wird.

    Dass Murakami zwischen verschiedenen Arten der Stille differenziert, ist nicht nur wünschenswert, sondern notwendig für jemanden der gute Bücher schreibt. Soll ich Camus kritisieren weil er verschiedene Arten der Gleichgültigkeit kennt?

     

    Ob Murakami den Nobelpreis verdient oder nicht, sei mal dahin gestellt. Ich finde den Artikel jedenfalls wenig erhellend.

  • Ich verstehe nicht wirklich was den Redakteur an den Protagonisten stört. Okay, die sind allesamt gesund und Teil der gehobenen Mittelschicht. Das ist auch wichtig für die Thematik. Der Redakteur hat erkannt: Die Helden leiden an keinen essentiellen Nöten. Murakami forciert auch offensichtlich die existentielle Probleme des Individuums des saturierten Millieus. Seine Thematik umfasst die Einsamkeit, meist innerhalb einer Metropole, sowie die Konfrontation mit dem Tod, der oft gewaltsam, meistens in Form des Suicids einer dem Helden nahestehenden Person auftritt (Naokos Lächeln, Gefährliche Geliebte, Wilde Schafsjagd). Der Artikel übersieht, bzw. es kommt fast so vor als überspielt er die drei tieferen Dimensionen der Romane Haruki Murakamis: Einsamkeit, Tod, Inzest (Kafka am Strand, Die Pilgerjahre des farblosen Herrn Tazaki) und Schuld (Gefährliche Geliebte, Kafka am Strand, Die Pilgerfahrt des farblosen Herrn Tazaki).

     

    Ich habe im übrigen auch von keinen Bukowski-Helden gehört, der kein Alkoholiker ist und auch von keinen Helden Hemmingways dem die Nehmerfähigkeit eines Schwergewichtsboxers abgeht. Auch Klassiker der Amerikanischen Literatur scheinen "auffällig" oft einen ähnlichen Typus Mensch als Helden zu wählen.

    Ich bin selbst Fan eines millieu-übergreifenden Werkes, aber man kann es einen Autoren nicht negativ anrechnen, bloß weil er aus seinen Erfahrungsschatz schreibt.

     

    Was mir auch nicht klar wird, ist das Problem mit dem Stil. Murakami verwendet kaum Fremdwörter und Neologismen. Und? Das sagt nicht viel über eine Prosa aus. Es soll auch viele ausgezeichnete Schriftsteller gegeben haben, die gerade darauf verzichteten. Der Stil ist vorallem einfach, was gut zu den Protagonisten passt. Ihre Probleme spielen sich auch nicht in einer sichtbaren Wirklichkeit ab. Wer gerne Fremdwörter liest, der soll eben einen IKEA-Katalog in den Urlaub mitnehmen.

  • G
    Gastname

    Als Urlaubslektüre fand ich "Kafka am Strand" gar nicht mal so übel. Big-Mc-Literatur halt.

     

    Problematisch finde ich eher die teils miesen Übersetungen, mit denen Verlage die Leser quälen. Bestes Beispiel: "Mister Aufziehvogel". Da haben sich zwei Übersetzer die Arbeit geteilt. Die erste Hälfte gefällt und entwickelt durchaus einen gewissen Charme. Die zweite Hälfte bewegt sich sprachlich auf dem Niveau eines drittklassigen Krimis.

  • KK
    Karl K

    Korrekt

     

    Stößt ein Buch gegen einen Kopf

    und es klingt hohl -

    muß nicht am Kopf liegen

     

    Leben heißt auswählen

     

    Kurt Tucholsky

  • @Frank Schäfer

    Keine Ahnung, aber vielleicht sollten Sie Murakami mal im Original lesen?! ; )

  • ich verstehe die Kritik, halte sie aber für mich nicht besonders erhellend. es gibt menschen die haben achtzig begriffe für Berührungen, es gibt kulturen die haben 100 bezeichnungen für Schnee...dahinter steckt eine Erfahrung...ich mag diese Aggregatzustände und unterschiedlichen facetten von stille bei murakami, die immer eingebettet sind in komplette installationen und settings, gerade dadurch werden die unterschiedlichen strukturen und zustände von stille ja spannend....und anscheinend gibt es viele menschen die ein bedürfnis nach dynamischer, lebendiger stille haben...ich nehme das ernst

  • Auch ich kann die Schwedische Akademie verstehen und freue mich über diesen mutigen Beitrag. Ich habe fast alle Bücher von Murakami in meinen überfüllten Regalen stehen, meist sind sie Gechenke von Freunden, teils habe ich sie auf Empfehlung gekauft. Keines der Bücher konnte ich zu Ende lesen, keines hat mich wirklich abgeholt. Gravitätischer Pipifax, genau das ist Murakamis Geschwurbel. Herzlichen Dank!!!!

  • 2
    25994233

    Danke für den Beitrag, Frank Schäfer. Ich wollte das Buch nicht kaufen, aber hatte noch keinen richtigen Grund (weil ich es ja nicht gelesen habe), aber nun fühle ich mich im Nicht-Kaufen bestätigt.