Die Wahrheit: Bär mit Frühlingsrolle
Per Rikscha unterwegs im raffgierigen Peking fallen so einige Ungereimtheiten ins Auge zwischen Ying und Yang. Und auch Angela Merkel ist mit von der Partie.
„Warum ausgerechnet China?“, frage ich Bär, als wir in Peking das Flugzeug verlassen. „Weil China die neue kapitalistische Ursuppe ist, das neoliberale Paradies. Eine Milliarde Konsumenten, korrupte Beamte, so gut wie keine Menschenrechte“, sagt Bär. Kurz darauf verlassen wir mit unseren Trolleys und ein paar Renminbi in der Hand das Flughafengebäude. Ich will wissen, warum die chinesische Währung wie ein hochprozentiges alkoholisches Getränk klingt.
„Weil sie alle besoffen und abhängig macht“, sagt Bär. „Verstehe, eigentlich sind Geld und Alkohol das Gleiche. Zu viel davon, und du kannst nicht mehr klar denken.“ Bär nickt und winkt eine Fahrrad-Rikscha heran. Sie wird von einem unterernährten Jungen gefahren. „Warum geht der Arme nicht zur Schule?“, will ich wissen. „Damit Deutschland ein führendes Bildungsland bleibt“, antwortet Bär. „Wer Abi hat, näht nicht für H&M.“
Es geht los. Ich bestaune Peking, eine Stadt wie ein heruntergekommener Ameisenhaufen. Es riecht nach fettiger Frühlingsrolle. Und das im Herbst. Wir werden von einer Peking-Ente überholt. Dann von einem Panda. Zuletzt von einem Bambus. Ich frage Bär, wo wir uns hinfahren lassen. „Erst zur Regierung und anschließend zur Mafia“, sagt Bär. Ich will wissen, worin der Unterschied liegt. Bär überlegt einen Moment und zuckt dann mit den Schultern. „Es gibt keinen. Eigentlich sind es nur zwei Unternehmensteile einer großen Firma“, sagt er. „Yin und Yang?“, frage ich. „Schnick und Schnack“, sagt Bär. Irgendwo fällt ein Sack Reis um. Nichts passiert.
Dann fliegt ein Schmetterling vor meinem Gesicht entlang, und ich muss niesen. „Butterfly-Effekt“, denke ich. Kurz darauf entdeckte ich am Straßenrand eine rote Katze. Sie macht „Mao!“. Im selben Moment macht es „Tzedung!“ und das Rikschakind bricht bewusstlos zusammen. Wir stoppen abrupt. „Spaßbremse“, schimpft Bär. Ich frage ihn, ob er die Pekinger Notrufnummer kennt. Bär schüttelt den Kopf und summt „Circle of Life“.
„Einem chinesischen Gaul schaut man nicht ins verfaulte Maul“
Wie aus dem Nichts taucht ein alter Chinese auf. Er betrachtet den bewusstlosen Jungen, spuckt verärgert auf den Boden und schleift den leblosen Körper davon. „Das kann er doch nicht machen“, sage ich erschrocken. „Einem chinesischen Gaul schaut man nicht ins verfaulte Maul“, sagt Bär. „Er hat Recht“, denke ich, als ein frischer Junge die Rikscha übernimmt. „Ein Paradies“, seufzt Bär.
Ich will wissen, was ein Paradies ausmacht. „Die Abwesenheit von Gewerkschaften und Arbeitnehmerrechten“, ist Bärs Antwort. Wenig später passieren wir den eingezäunten Präsidentenpalast, vor dem gerade eine Zeremonie stattfindet. Angela Merkel und ein paar Vertreter der deutschen Wirtschaft sind zu Gast. Deutsch-chinesische Kampfjets malen den Bundesadler in den Himmel. Merkels Wirtschaftsbeziehungs-Rede wird auf eine große Leinwand übertragen.
„Huch, was ist denn mit der passiert“, frage ich, als Merkel auf der Leinwand erscheint. „High Definition“, sagt Bär. „Und warum machen die Chinesen so ein Spektakel für unsere Kanzlerin?“ – „Damit sie ihnen auch in Zukunft deutsche Waffen und keine Grundrechte verkauft“, antwortet Bär. „Vor allem aber, damit ihnen mit ihr nicht langweilig wird.“ Verstehe, das ist wie in teuren Actionfilmen. Großes Budget, langweilige Helden, viele Spezialeffekte. Am Ende gehst du ohne Erkenntnis nach Hause, konntest aber für einen Moment alle Probleme der Welt vergessen. Bär nickt.
Wir beobachten, wie vor dem Zaun einige Globalisierungskritiker erst verprügelt und dann abtransportiert werden. „Au Weiwei“, sagt Bär. „Das können sie doch nicht machen“, sage ich verwirrt und etwas konfus. „Fordere viel von dir selbst und erwarte wenig von den anderen, so wird dir Ärger erspart bleiben“, zitiert Bär Konfuzius. „Aber sollten wir nicht gegen den Strom schwimmen statt mit ihm?“, frage ich entsetzt. „Weder noch“, meint Bär. „Irgendwer muss auch die Schleusen bedienen. Das ist die Lebensaufgabe der Deutschen.“ Dann zeigt er auf ein Hotel. Es heißt „Himmlischer Frieden“.
Ich werfe einen letzten Blick auf unsere Kanzlerin und sage laut: „Die wird schon wissen, was sie tut.“ Bär schüttelt den Kopf. „Egal, ab in den Urlaub“, denke ich und drücke Bär zufrieden an mich. Vor uns liegen drei Wochen Entspannung, literweise Reiswein und viel Hunde-Chop-Suey. Das mit den Menschenrechten, das wird schon. Die Chinesen brauchen einfach ein bisschen mehr Zeit. Europa war ja auch nicht von heute auf morgen frei von Korruption, Benachteiligung und Steuerhinterziehung. Nein, der Kapitalismus wird’s schon richten. Oder unsere Politiker. Oder H&M. Wir müssen nur fest genug daran glauben.
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