Fall Yagmur: Wie können wir die Kinder schützen?
Hamburg streitet über den Tod des kleinen Mädchens, das im Elternhaus totgeprügelt wurde. Helfen schärfere Kontrollen, mehr Personal bei den Jugendämtern, stärkere Kinderrechte?
HAMBURG taz | Das Schicksal der dreijährigen Yagmur erschüttert Hamburg seit Wochen. In der kommenden Woche wird die Bürgerschaft einen Parlamentarischen Untersuchungsausschuss einrichten, der aufklären soll, warum sie nicht durch staatliche Stellen vor elterlicher Gewalt geschützt wurde.
Yagmur war im Juli zu ihren Eltern zurückgekommen, obwohl bei der Staatsanwaltschaft noch ein Ermittlungsverfahren wegen schwerer körperlicher Misshandlungen lief. Kurz vor Weihnachten starb sie an einem Leberriss. Als tatverdächtig gilt mittlerweile der Vater, der ebenso wie die Mutter, die sie nicht schützte, in Untersuchungshaft sitzt.
Inzwischen ermittelt die Staatsanwaltschaft auch in Richtung Jugendamt „gegen mehrere Verantwortliche wegen Verdachts der Verletzung der Fürsorge- oder Erziehungspflicht“, so eine Sprecherin. Ein Bericht der Hamburger Jugendhilfeinspektion listet detailliert auf, wann welcher Mitarbeiter welche Entscheidung traf.
Es war eine „Kette von Fehlern“, so Sozialsenator Detlef Scheele (SPD), die dazu führte, dass das Kind zurück zu den Eltern kam. So entstand durch die Selbstbezichtigung der früheren Pflegemutter, sie habe das Kind stark geschüttelt, irrtümlicher Weise der Eindruck, die Eltern wären von jedem Verdacht entlastet, die von einem Arzt diagnostizierten Misshandlungen begangen zu haben.
Die Gefährdungssituation der kleinen Yagmur geriet bei den Ämtern aus dem Blick, so die Analyse. Als eine Sofortmaßnahme werden jetzt alle Fälle, in denen Kinder zu den Eltern zurück sollen, kritisch geprüft.
Die falschen Strukturen?
Für den Bürgerschaftsabgeordneten Mehmet Yildiz (Die Linke) gehört das ganze Jugendhilfesystem auf den Prüfstand, statt eines Untersuchungsausschusses fordert er deshalb eine mit externen Experten besetzte Enquetekommission.
Das fände auch Arno Schmidt* den richtigen Weg, der vor einem knappen Jahr aus dem Jugendamt in die Frührente flüchtete: Die Politik habe aus den früheren Todesfällen Jessica, Lara-Mia und Chantal die falschen Schlüsse gezogen und aus den Allgemeinen Sozialen Diensten (ASD) eine „bürokratische Missgeburt“ erschaffen, sagt Schmidt.
Allein in Wilhelmsburg hätten in zwei Jahren über ein Dutzend Mitarbeiter gewechselt. „Alle fliehen, die irgendwie können, oder versuchen in eine Leitungsfunktion zu kommen, wo sie mit Klienten nichts zu tun haben.“
In den Jugendämtern sei, so der ehemalige Mitarbeiter, eine „Funktionärselite“ geschaffen worden, die nichts direkt mit Klienten zu tun habe. „Es gibt jetzt Eingangsmanager, Fallmanager, Netzwerkmanager, Kinderschutzbeauftragte, Beauftragte für Gewalt im Kindergarten, Regionalbeauftragte und so weiter.“ Die schwierige Arbeit mit den Menschen werde jungen Kolleginnen überlassen. Und die haften persönlich, wenn ein Fehler passiert.
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Leser*innenkommentare
Family
Gast
Kinder schützen? Na ja da hätte ich eine Antwort, nämlich indem Familien nach dem trditionellen Familienkonzept zusammenleben, in dem Kinder gewollt sind und in dieser sich ein Elternteil um die Kinder kümmert.
Gast
Gast
"Die schwierige Arbeit mit den Menschen werde jungen Kollegen überlassen..."
Genau, und diese haben nicht den leisesten Hauch von Erfahrung und überhaupt jegliche Kompetenz mit Menschen in mitunter schwierigen Lebenslagen zu arbeiten bzw. zu helfen. Geschweige, das sie des Lesens und Verstehens überhaupt mächtig sind.
Erlebe ich gerade selber mit dem Jugendamt Wesel wo die Mitarbeiter noch nicht einmal in der Lage sind Arztberichte richtig zu lesen. Da werden Berichte falsch zitiert und daraufhin der Sorgerechtsentzug der Eltern bei Gericht beantragt.
Es zählt in diesen Behörden nicht mehr der Mensch, sondern einzig das Machtgefühl der Mitarbeiter und wie am schnellsten aus der Ware Kind Profit gezogen werden kann.