Oliver Polak über Rassimus und Humor: „Das ist eben Teil dieses Landes“
Oliver Polak wuchs in der einzigen jüdischen Familie in einem deutschen Provinzstädtchen auf. Heute macht er auch darüber Witze.
taz: Herr Polak, der ist schick, dieser Jogginganzug.
Oliver Polak: Danke, aber das ist gar kein Jogginganzug.
Was denn dann?
Das ist eine einzelne Jogginghose und eine separat gekaufte Jacke, die zufällig eine ähnliche Farbe hat. Nein, ich trage fast nie Jogginganzüge, aber Jogginghosen dafür nahezu immer.
Die Jogginghose ist zu Ihrem Markenzeichen geworden. Was sagt uns das über Oliver Polak?
Gar nichts. Das fing schon als Kind an. Ich fand Jogginghosen schon immer superbequem. Karl Lagerfeld hat zwar gesagt: Wer Jogginghosen trägt, hat die Kontrolle über sein Leben verloren. Aber ich sehe das anders: Neben den Jogginghosen besitze ich zwar auch zwei Anzüge und sogar zwei Smokings, aber die trage ich nicht mal zum Filmball, sondern nur, wenn es wirklich wichtig ist. Also eigentlich nur, wenn ich zum Udo-Jürgens-Konzert gehe.
Man kommt also mit Jogginghose selbst in die Synagoge?
Die sind doch froh um jeden, der kommt. Nein, in Berlin kommt man überall mit Jogginghose rein, ob in die Synagoge oder ins Cookies. Probleme gibt es nur in Papenburg …
Mit "Krankes Schwein" tritt Polak am 8. April im Circus Maximus in Koblenz auf und am 9. April im Thalia in Dresden.
Papenburg im Emsland, wo Sie aufgewachsen sind.
Da komme ich in Jogginghose nicht mal in die Dorfdisco. Obwohl die Türsteher selbst aussehen, als seien sie gerade aus dem Caritas-Container geklettert. Das ist doch absurd.
Haben Sie schon mal über eine eigene Modelinie nachgedacht?
Nie ernsthaft.
Trotzdem: Wie sähen die von Ihnen entworfenen Joggingklamotten aus?
Es gäbe zwei Linien: eine schlichte, schwarze Linie und eine knallige, bunte. Man braucht doch was zum Anziehen für die alltäglichen depressiven Stunden – und was für die Zeiten, wenn man gut drauf ist. Und Bündchen sind natürlich ein Muss. Überall.
Die Jogginghose soll uns also sagen: Hauptsache, bequem, egal, was die anderen sagen.
Nein, keine Botschaft. Stand-up-Comedy bedeutet doch in den USA in der ursprünglichen Bedeutung, dass jemand aufsteht, sich auf eine Bühne stellt und etwas erzählt. Und so mache ich das auch: Ich spiele keine Rolle, ich verkleide mich nicht. Ich gehe so auf die Bühne, wie ich bin. Das ist Stand-up. Mir ist zwar vieles egal, aber das drücke ich nicht durch meine Kleidung aus.
Der Mensch: Polak wurde 1976 geboren und wuchs im Emsland auf. Sein Vater, der mehrerer KZs überlebte, war nach dem Krieg in seine Heimatstadt Papenburg zurückgekehrt und hatte eine Germanistin aus Leningrad geheiratet. In dem Buch „Ich darf das, ich bin Jude“ beschreibt Polak überspitzt seine Jugend als Spross der einzigen jüdischen Familie in einem deutschen Provinzstädtchen.
Der Comedian: Nach dem Abitur wird Polak Praktikant bei Stefan Raabs Viva-Show in Köln und Moderator des Disney-Clubs, zieht dann nach Berlin und nimmt Schauspielunterricht. Ab 2006 entwickelt er in der Scheinbar seinen Stand-up-Act, der in sein erstes langes Programm, „Jud Süß Sauer“, mündet. Sein neues Programm, mit dem er jetzt auf Tour geht, heißt „Krankes Schwein“.
Der Musiker: Mit seiner eher kurzlebigen Band Sternzeit schaffte es Polak ins Vorprogramm der Rockband Motorpsycho, deren glühender Fan er ist. Er singt auf der Bühne, arbeitet mit Musikern wie Erobique und veröffentlicht Videoclips. Zuletzt seine Version von Pharrell Williams Überhit, aber aus „Happy“ wird bei Polak „Sad“: „Come along if you feel like another lonely jew“. (to)
Das bringen Sie in Ihrem neuen Programm in einem Satz auf den Punkt: „Mir ist eh scheißegal, ob ihr mich für rassistisch, eklig oder geschmacklos haltet, mir ist nur wichtig, dass ihr denkt, dass ich dünn bin.“ Ist es Ihnen wirklich egal, wenn man Sie für einen Rassisten hält?
Ja, ich weiß ja, dass ich kein Rassist bin.
Ist das so einfach?
Wahrscheinlich nicht. Klar, es gibt Witze in meiner Show, die sind blanker Rassismus. Aber weil es Rassismus gibt, findet der eben auch in meiner Show statt. Ich erzähle auf der Bühne aus dem Alltag, und da begegnen einem nun mal immer wieder Rassismus und Antisemitismus.
Hat der Antisemitismus zugenommen?
Man merkt hier in Berlin schon, dass in letzter Zeit öfter so Sätze fallen wie: Da hat dieses nette, kleine Restaurant aufgemacht, das gehört einem Juden. Da hat ein Jude zwei Häuser gekauft. Da merkt man schon, dass die alten Ressentiments wieder aufkommen. Das ist eben Teil dieses Landes. Ich werde damit nur notgedrungen öfter konfrontiert als andere. Aber so ein bisschen Rassismus steckt doch in jedem von uns. Der gehört zur Grundausstattung, die mitgeliefert wird.
Um diese Grundausstattung geht es in Ihrem neuen Programm, „Krankes Schwein“.
Wenn man so will. Ich sage: Ich bin ein krankes Schwein. Die Frage ist aber: Wer ist es eigentlich nicht? Es geht erst einmal um mich, um meine Perspektive und meine Gefühle, aber auch um das kranke Schwein in uns allen. Es geht zwar um Pädophilie, Sodomie, Rassismus, Antisemitismus, Homophobie …
Auch um Vergewaltigungen.
Ja, auch darum. Aber ich glaube, das wichtigste Thema der Show ist die Einsamkeit. Sartre hat gesagt: Wenn du dich einsam fühlst, wenn du allein bist, dann bist du in schlechter Gesellschaft.
Was ist so schön daran, das Schwein auf der Bühne rauszulassen?
Ich lass das ja nicht nur auf der Bühne raus, sondern auch privat – so wie jeder andere auch. Aber ich mochte das schon als Kind: bei Menschen auf gewisse Knöpfe drücken und sehen, was passiert. Und bis heute macht mich die Gleichschaltung der Gesellschaft, dass alle immer ganz genau wissen, was man darf und was man nicht darf, diese Gleichschaltung der Unterhaltungskultur, die macht mich wahnsinnig. Also erzähle ich, was ich will. Hauptsache, es ist lustig.
Und wie findet das Ihre Mutter, die Sie in Ihrem Buch als sehr dominant beschreiben, wenn Sie sich auf der Bühne wieder mal danebenbenehmen?
Meine Mutter hat mittlerweile realisiert, dass wir in zwei verschiedenen Welten leben. Wir sind ein bisschen wie Israel und Palästina: Sobald der eine was sagt, flippt der andere total aus. Das neue Tourneeplakat …
… auf dem sie, fotografiert von Daniel Josefsohn, nackt zu sehen sind …
Ja, genau, das hat meine Eltern sehr schockiert.
Warum trauen Sie sich mehr als andere?
Sich trauen, das war noch nie eine Kategorie für mich. Ich hatte schon immer eher das Problem, dass ich sagen musste, was ich denke. Ich musste nur im Laufe der Jahre feststellen, dass man damit oft aneckt. Deshalb ist es schön, dass ich mittlerweile mit der Bühne einen Ort gefunden habe, wo ich das konstruktiv umsetzen kann.
Stand-up als Therapie?
Nein, die habe ich eher nebenbei mit einem Profi gemacht.
Gibt es Themen, über die Sie dann doch keine Witze machen würden?
Es gibt Grenzen, aber ich kann die nur schwer definieren. Für mich gibt es einfach Sachen, über die ich Witze machen will – und andere, über die ich keine machen will. Das spüre ich. Vielleicht kann man es so erklären: Ich mache, auch wenn mir das oft vorgeworfen wurde, keine Witze über den Holocaust. Ich mache Witze darüber, wie die Menschen mit dem Holocaust umgehen. Zu mir kommen Leute, die meinen, mir erzählen zu müssen, dass sie letztens in Auschwitz waren mit Rainbow Tours – und dass man das keinem empfehlen kann. Da denk ich mir natürlich: So ein Zufall, ich hab Verwandte, die waren vor einiger Zeit auch dort und sehen das ganz genauso. Die hatten immerhin das Glück und mussten nicht mit Rainbow Tours fahren.
Die Grenze wäre dann vielleicht, dass Sie keine Witze über Opfer reißen.
So pauschal kann man das auch nicht sagen. Ich bin ja selbst oft genug das Opfer meiner eigenen Witze. Meine Grenze ist vor allem: Ich muss es witzig finden. Und nur weil jemand sagt, er kann nicht über den Vergewaltigungswitz lachen, heißt das noch lange nicht, dass er im Recht ist. Sarah Silverman …
… die US-Komikerin …
… hat letztens gesagt: Vergewaltigungen sind nicht lustig, aber Witze darüber können witzig sein. So sehe ich das auch. Es ist doch so: Oft fühlen sich die Leute angegriffen durch einen Witz. Aber dieser Witz ist wie ein Spiegel. Denen, die sich empören, die den Saal verlassen, sage ich: Regt euch nicht über den Witz auf, sondern über die Ursache. Engagiert euch doch, aber lasst uns Komiker in Ruhe.
Kann ein Judenwitz lustig sein?
Judenwitze sind eine Erfindung der Nazis. Die haben keine doppelte Ebene, die haben keinen zusätzlichen Dreh, die sind nicht witzig. Die sind einfach antisemitisch. Punkt. Thomas Hermanns hat mal gesagt: Je größer das Tabu ist, desto besser muss der Witz sein.
Können Sie leichter Tabus brechen? Trauen sich viele nicht, Juden zu kritisieren?
Wenn es so wäre, fände ich das schlimm. Aber ich glaube, dass es eher umgekehrt wäre. Indem ich Witze über Vergewaltigungen reiße, biete ich Antisemiten eine zusätzliche Angriffsfläche. So wie sich der Antisemitismus hierzulande gern hinter einer Kritik am Staat Israel versteckt. Aber um das noch mal zu betonen: Es geht um Witze, es geht um Unterhaltung – und im besten Falle ist die intelligent.
Ich habe das Gefühl, dass es für die meisten deutschen Komiker gar nicht so wichtig ist, das Publikum zum Lachen zu bringen. Wichtiger ist es, gemocht zu werden. Die meisten Komiker in Deutschland versagen in ihrem Job. Es gibt Musiker wie Deichkind, Carsten „Erobique“ Meyer oder Farin Urlaub von den Ärzten, die einen einsamen Kampf an der Humorfront kämpfen. Ich habe noch nicht mal was gegen einen wie Mario Barth. Ich finde den zwar nicht komisch, aber der bringt die Leute zum Lachen. Aber Cindy von Marzahn finde ich tragisch. Das hat doch nichts mit Humor zu tun.
Was ist denn guter Humor?
Guter Humor muss Vorurteile zerstören, nicht bestätigen.
Und das können hierzulande nur wenige?
Nur sehr wenige. Da fallen mir eigentlich nur Carolin Kebekus und Serdar Somuncu ein. Und bei Serdar weiß ich noch nicht mal, ob das überhaupt Stand-up ist, was er macht. Ich glaube, das ist eine eigene Kunstform, die er da entwickelt hat. Das ist echt, das ist gewaltig, das hat eine Energie, der man nicht entgehen kann, und da gibt es ein politisches Anliegen.
Sie haben kein Anliegen?
Ich hab nur das Anliegen, auf die Bühne zu gehen und meine Geschichten zu erzählen.
Das klingt so harmlos. Wenn man aber Ihre Show sieht, hat man den Eindruck, da gibt es eine größere Dringlichkeit. Da ist jemand wütend, da muss jemand was rauskotzen.
Ja, klar, es gibt Wut. Es gibt auch Angst und Freude. Mal hat das eine mehr Gewicht, mal das andere. Es geht vor allem um Wahrhaftigkeit.
Somuncu will sein Publikum mit Beschimpfungen und Angriffen sprichwörtlich aus der Fassung bringen, in seinen Grundfesten erschüttern, um es damit zum Nachdenken zu bringen.
Das finde ich großartig, aber mir ist das eher fremd.
Das, was Sie machen, ist zwar kein klassisches politisches Kabarett, aber es ist trotzdem fürchterlich politisch – oder nicht?
Ich glaube, ich bin politisch unpolitisch. Natürlich nehme ich das alles wahr und verarbeite das. Ich höre von der NSA und denke, die sind doch nur sauer auf Edward Snowden, weil er ihre Privatsphäre nicht respektiert hat. Aber ich komme aus dem Lachen nicht mehr raus, wenn Oliver Berben sagt, er müsse unbedingt das Leben von Anne Frank verfilmen, weil es, so seine Begründung, bislang noch keine deutsche Produktion gebe.
Dann denke ich: Keine deutsche Produktion? Die Ermordung von Anne Frank war eine deutsche Produktion. Und dann dreht meine Fantasie durch, und ich frage mich, was wäre eigentlich gewesen, wenn ich Anne Frank gewesen wäre. Die hätten mich zweimal abholen müssen: einmal, weil ich Jude bin. Und das zweite Mal, weil ich als Mittdreißiger in Schulmädchenklamotten durch meine Wohnung stöckele. Ist das politisch? Die Tatsache, dass es mich gibt, ist wahrscheinlich schon politisch.
Wenn Ihr Anliegen schon nicht politisch ist, dann ist es doch zumindest moralisch.
Niemals. Ich möchte ein unmoralisches Angebot sein.
Am allerliebsten aber wären Sie Rockmusiker geworden.
Vielleicht.
Haben Sie mit dem Badmintonschläger vor dem Spiegel posiert?
Ja, klar, wie alle. Bei mir war es ein Tennisschläger. Ich habe das lange gedacht, dass ich Rockstar werden will. Ich habe ja auch lange als Schlagzeuger in Bands gespielt, aber irgendwann war ich müde. Allein der Aufwand, das Schlagzeug aufzubauen. Heute brauche ich nur ein Mikrofon. Außerdem: Sind Comedians heutzutage nicht die wahren Rockstars?
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Trumps Krieg gegen die Forschung
Bye-bye, Wissenschaftsfreiheit!
Menschenrechtsverletzungen durch Israel
„So kann man Terror nicht bekämpfen“
Bürgergeld-Empfänger:innen erzählen
„Die Selbstzweifel sind gewachsen“
Ungelöstes Problem der Erneuerbaren
Ein November voller Dunkelflauten
Kritik am Deutschen Ethikrat
Bisschen viel Gott
Autobranche in der Krise
Kaum einer will die E-Autos