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Airport RunBestzeit in Niemandsland

Knapp 4.000 LäuferInnen rannten am Samstag über das BER-Gelände. Unser Autor lief mit – und befand: die Bauruine sieht eigentlich super aus.

Endlich wird die Start- und Landebahn genutzt. Bild: dpa

Ein Shuttlebus hält am alten Schönefelder Flughafen. Läuferhorden warten dort am frühen Samstagabend bereits in ihren bunten Dresses, um sich kurz darauf in das Gefährt zu quetschen. Ziel des Busses: das Niemandsland BER. Ein paar Zubringerstraßen und Abbiegungen später erreicht der Bus die wohl bekannteste Baustelle der Republik: den Flughafen Berlin-Brandenburg.

Während dieser weiterhin seiner eigentlichen Bestimmung harrt, wird die südliche Start- und Landebahn zweckentfremdet: 3.856 Läuferinnen und Läufer bestreiten hier einen Halbmarathon und einen 10-Kilometer-Lauf, der von „Berlin läuft“ und der Flughafengesellschaft seit 2007 veranstaltet wird.

Der ursprüngliche Gedanke des Laufs: „Die Idee des Veranstalters, der Berliner Flughäfen, ist es, Läufern den Fortschritt der Bauarbeiten am Hauptstadt-Airport Berlin Brandenburg International BBI zu zeigen.“ Nun ja. Ein Rennen mit großer Zukunft, möchte man meinen.

Freund und Laufkompagnon M. stellt bereits auf der Fahrt zum Geschehen fest: „Was für eine gruselige Atmosphäre – ist ja, wie auf einem Friedhof zu laufen.“ Wobei, als es an den Terminals und dem Hauptgebäude vorbeigeht, müssen wir doch ein Zugeständnis machen: Von außen sieht die Flughafenruine doch tipptopp aus.

An der „Service Area South“ erreichen wir das Gelände der Veranstaltung, eine große Betonwüste nahe der Start- und Landebahnen. Zahlreiche weiße Pavillons sind aufgebaut, unter anderem wirbt eine am zukünftigen Flughafen ansässige Zahnarztpraxis damit, „BEReits geöffnet zu haben“. Oje.

Das Niveau des Events scheint sich in Teilen jenem der Baustelle anzupassen: Schäbige 90er-Disco-Mucke dröhnt von einer Bühne, auf der ein braun gebrannter Animateur im Muscle-Shirt zum Aufwärmen einlädt. Ein beachtlicher Teil der Läufer und Läuferinnen macht bei diesem Spielchen mit: „Und die Schultern kreisen lassen... und die Arme von sich strecken...“. Gute Laune bei der Läuferhorde.

Als ich mich warm mache, werfe ich einen Blick in eine der angrenzenden Hallen. Da stehen Detektoren für Gepäck, da stehen Rollbänder, eine Halle sieht aus wie eine Wartehalle – überall lagern dort Sitzreihen, die in Folie gepackt sind. Wartende Wartestühle. Ich absolviere einige kurze Sprints und dehne mich, ehe es zur Startlinie geht.

Um 19 Uhr ist der Startschuss. Der Rundkurs über die Landebahn und am Terminal vorbei ist zweimal zurückzulegen. 21,0975 Kilometer Asphalt liegen vor mir. Wunderbar. Einfach laufen, in den dämmernden Himmel und in die Peripherie schauen. Die Bodenstrahler, die eigentlich den Boeings Orientierung geben sollten, leuchten uns Läufer an. Zuschauer gibt es nur im Start-und Zielbereich, auf der unendlich anmutenden Landebahn klatschen im Abstand von wenigen hundert Metern mitleidig einige OrdnerInnen. Nach zehn Kilometern kommt man direkt am Hauptgebäude und am Tower vorbei. Nebenan sieht man auf dem alten Schönefelder Flughafen einen Flieger beim Landemanöver. Ich versuche mich derweil an einem Überholmanöver. Schritt halten, nicht denken, einfach rennen.

Während des Laufs kriegt man gar nicht so viel von der Friedhofsatmosphäre mit. Nur, dass beim „Willy Brandt“-Schriftzug lediglich das „Br“ leuchtet, sehe ich. Aber das dürfte hier wohl das geringste Problem sein. Einer von 75.000 Mängeln. Die Mängel auf der Strecke halten sich indes in Grenzen – eine flache Strecke, kaum Wind, milde Temperaturen. Mit neuer persönlicher Bestzeit erreiche ich das Ziel (1:22:14 Stunden). Es kann also auch mal schnell gehen am BER.

Kurz darauf kommt auch M., der die Zehn-Kilometer-Strecke gelaufen ist, ins Ziel. Kurz duschen – und dann? „Weg hier?“, fragt er. – „Weg hier“, sage ich. Die After-Race-Party wollen wir uns nicht unbedingt antun. Als wir in den Shuttlebus steigen, sinniere ich über die Idee, von der ich neulich las: Man sollte den BER einfach als riesiges Kunstwerk in jetzigem Zustand belassen. Das wäre ganz sicher die Art von Situationismus, die Berlin endlich zur Kunstmetropole Nummer eins auf der Welt machen würde (okay, mit dem Manko, dass niemand sie mehr erreichen würde). Vielleicht kann sich irgendeine 100-Prozent-Initiative dem mal annehmen?

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