Die Wahrheit: Chlorhühner vom Robocop
Angesichts des drohenden Freihandelsabkommens TTIP melden sich bei manchem längst verloren geglaubte anarchistische Reflexe zurück.
S tefan sagte einmal, er könne sich gut an den Tag erinnern, an dem ich aufgehört hätte, Anarchist zu sein. 1999 sei man am Stammtisch im Brauhaus auf das Thema Europa gekommen und ich hätte folgenden, sehr staatstragenden Kommentar abgegeben: „Es ist doch unzweifelhaft, Freunde! Große Wirtschaftsräume sichern den Frieden.“
Später am Abend, nach den Schnäpsen, hätte ich wohl noch ein paarmal „Scheißkapitalismus“ gerufen, aber vorher muss ich tatsächlich wie Egon Bahr bei Maischberger geklungen haben. Man habe damals überlegt, meine Position am Stammtisch neu zu besetzen, denn auf meine antikapitalistische und vulgär-marxistische Haltung müsse man sich dringend verlassen können. Ein wichtiges Korrektiv in dieser Runde halbintellektueller Neo-Spießer, so Stefan, er habe schließlich keine Lust, über Leasingmodelle zu reden.
Irgendwie haben wir uns dann mehr oder weniger aus den Augen verloren, doch neulich traf ich Stefan in ebenjenem Brauhaus wieder und er begrüßte mich mit den Worten: „Friedliche Wirtschaftsräume am Arsch! TTIP ist eine Kriegserklärung. Der Ami wird uns zwingen, seine verdammten Chlorhühner zu essen und wer sich weigert, wird von einem nichtstaatlichen Schiedsgericht aus Lobbyanwälten, die aussehen wie der dicke Käpt’n Kirk in Boston Legal, zu zehn Jahren Guantánamo verurteilt. So ist das nämlich. Ich habe übrigens keine Zeit. Ich muss Pia Eberhardt heiraten und mit ihr die Welt retten.“
Er sah erschöpft aus. Dann packte er mich mit wirrem Blick am Kragen und schüttelte mich: „Große Wirtschaftsräume sind gar nicht gut! Gar nicht gut.“ Schließlich verschwand er.
Leider wusste ich nicht so genau, was er meinte; ich hatte mich mit dem Thema noch nicht so richtig befasst. Ich nahm aber an, dass ich dagegen sein würde. Freihandelsabkommen an sich haben ja nicht gerade den Ruf, die Arbeitermacht zu stärken oder sonst irgendwelche positiven Auswirkungen zu haben. Vorsichtshalber googelte ich noch mal, was mir von Stefans Ausbruch im Gedächtnis geblieben war: Pia Eberhardt. Ich stellte fest, dass diese Aktivistin über etwas verfügt, das alle Wirtschaftslobbyisten in den Talkshows total fertigmacht: Fachkompetenz. Außerdem wirken ihre Piercings im Fernsehen einfach unglaublich irritierend.
Die Idee hinter TTIP scheint mir sehr einfach zu sein. Die Konzerne wollen die Welt dem Detroit, wie wir es aus Robocop kennen, etwas ähnlicher machen. Dort ist die Politik bereits abgeschafft, denn der Konzern braucht sie nicht mehr.
Ich habe neulich im Fernsehen gesehen, dass Firmen wie Google sowieso finden, dass diese ganzen blöden staatlichen Gesetze nur beim Geldverdienen stören. Viele planen jetzt, sich jenseits der 12 Meilenzone ihre eigenen Staaten zu basteln. Schwimmende Luxusstädte für den ungehemmten Kapitalismus. Als ich die Computeranimationen sah, dachte ich nur bei mir: Baut sie nur, eure Schiffe und Plattformen. Nie wird man weniger Sprengstoff brauchen, um den Kapitalismus untergehen zu sehen.
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