Die Wahrheit: Tausche Abszess gegen Katarrh
In der Welt der Sammler finden jetzt Schockbilder auf Fluppenschachteln zuhauf Liebhaber.
Unsere Jugend verroht zunehmend. Unsere Zigarettenfabrikanten leider auch, denn sie zeigen immer abstoßendere Bilder auf ihren Schachteln, um die verrohten Jugendlichen anzusprechen. Die Saat des Bösen scheint aufzugehen, die Abbildungen finden sogar Sammler. Immer mehr Menschen treffen sich auf einschlägigen Börsen: Tausche Abszess gegen Bronchialkatarrh, Furunkel gegen Geschwulst, heißt es dort am schwarzen Brett.
Sammelbildmarktführer Panini erwägt den wachsenden Markt unter dem Decknamen Nikotini mit Fußballerraucherbildern aufzumischen. Wir sind gespannt auf die Bilder der rauchenden Fußballhelden George Best, Mario Basler, Didi Hamann und der verquarzten Trainerbande um Ernst Happel, Luis Menotti und Steppi Stepanovic. Alle trügen natürlich lässig eine Fluppe zwischen den Zähnen. Auf das Titelbild des Sammelbilderalbums müsste natürlich der Raucher aus der Viererkette, Walter Frosch vom FC St. Pauli, der sogar mit einer Packung Fluppen in den Stutzen zum Spiel auflief!
Zunehmend geraten auch Nichtraucher in die dubiose Sammelbildszene. Diese sind nur an den Schockbildern interessiert und verhökern die überflüssigen Glimmstengel auf dem Schwarzmarkt, argwöhnisch beobachtet von der Konkurrenz. Jene wiederum warnt die unliebsamen Mitbewerber mit Sammelbildern von abgeschnittenen Gliedmaßen vor allzu unbefangenem Schwarzmarkttreiben. Auch diese Bilder finden Abnehmer, die allerdings kurze Zeit später häufig selbst als neue Motive dieser Serie erscheinen.
Pädagogen sind alle diese Varianten der Schockbilder natürlich ein Dorn im Auge (siehe auch Schwarzmarktschockbild 117); deshalb brachten sie eine erzieherisch wertvolle Schockbildsammelserie auf den Markt, die traumatisierten Jugendlichen aus ihrer Sucht heraushelfen soll. Künstlerisch überzeugende Aufnahmen von Vulkanen und Kachelöfen aus der Reihe "Starke Raucher" sollen zukünftig ihrer Erbauung dienen. Das funktioniert leider nur bedingt, in der Welt der Sammelbilder gilt leider nur der Rohling, der empfindsame Ästhet dagegen wird hinter seinem Rücken verlacht.
Von diesen Misserfolgen beunruhigt, wird der Ruf nach einem wirksameren Jugendschutz laut, der in der Forderung gipfelt, anstelle der abstoßenden Schockfotos auf den Zigarettenschachteln Bilder der verantwortlichen Gesundheitspolitiker abzudrucken. Diese sollten auf dem Bild möglichst strafend lächeln und mit Hausbesuchen und einem einstündigen Aufklärungsgespräch über die Wirkungen und Nebenwirkungen des Rauchens und Sammelns drohen. Darf man so weit gehen?, werden empfindliche Naturen fragen. Doch der Erfolg heiligt die Mittel, und das Konzept der größtmöglichen Abschreckung würde den expandierenden Schockbildersammelmarkt endlich einbrechen lassen.
Die teuflische Schockbilderkampagne der gewissenlosen Zigarettenfabrikanten würde zerbröseln wie eine selbstgedrehte Zigarette in der Jackentasche, und unsere Jugend würde endlich vom abartigen Sammeln zurück zum vertrauten Komasaufen und Kampfkiffen finden.
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