Berlin Biennale: Cool, calm and collected
So entspannt wie die 8. Berlin Biennale war keine zuvor. Doch die Streber, Angeber, Bluffer und Provokateure vermisst man. Ein Rundgang.
Ein bisschen gestaltet er sich wie eine Schatzsuche, der Rundgang der 8. Berlin Biennale in den Museen in Dahlem, also dem Ethnologischen Museum und dem für Asiatische Kunst beziehungsweise Europäische Kulturen. Man muss suchen, um fündig zu werden. Dann aber wird man mit anspruchsvollen Arbeiten belohnt, die immer am exakt richtigen Ort präsentiert zu sein scheinen. Dass dieser jeweilige Ort im Dahlemer Gebäudekomplex nicht groß angezeigt ist, hat Methode. Die Gastausstellung will nicht störend in dem Betrieb des Hauses eingreifen.
Die 8. Berlin Biennale unter der Leitung von Juan A. Gaitán ist weit in den bürgerlichen Westen der Stadt vorgedrungen. Nach Dahlem und nach Zehlendorf, wo das Haus am Waldsee der dritte Ausstellungsort ist, neben dem traditionellen Zentrum in Mitte, den Kunst-Werken (KW) in der Auguststraße.
Hier hat alles einmal seinen Anfang genommen, mit der ersten, vom damaligen Leiter der KW, Klaus Biesenbach, dem Kurator Hans Ulrich Obrist und Nancy Spector vom Guggenheim Museum organisierten Berlin Biennale 1998. Die Auseinandersetzung mit dem Standort Berlin gehört gewissermaßen zum genetischen Code der Biennale, die ihre Zeugung dem Hype um eine unfertige, heftig pubertierenden Stadt verdankte.
Im neuen Werden der Stadt hat Dahlem erst einmal den Kürzeren gezogen. 2019 ziehen die Sammlungen in das dann wiedererstandene Stadtschloss um. Im Humboldt-Forum, nach dem universalgelehrten Brüderpaar Alexander und Wilhelm von Humboldt genannt, soll es mit der außereuropäischen Kunst einen Ort der Weltkultur bilden.
Dass Juan A. Gaitán, der in Kanada geborene Kurator kolumbianischer Abstammung mit der Wahl des Standorts Dahlem die Verluste thematisiert, die dem Hype geschuldet sind, allem voran das Negieren der für das 20. Jahrhundert maßgeblichen Ästhetik und Architektur – ein Trend, der bis in die Szenecafés durchschlägt, die dann „Lenas feine Kost und Lebensmittel“ heißen und mit Porzellanpötten aus dem Preußen des späten 19. Jahrhunderts wichtig tun – ist ein kluges, notwendiges Statement.
Es scheint für die 8. Biennale insgesamt zu gelten, betrachtet man die uneitle Auswahl zeitgenössischer Kunst. Gaitáns Verwahren gegen den Hype scheint insgeheim die Leitlinie der Schau zu sein, die sein Beraterteam mit den Künstlern Tarek Atoui, Olaf Nicolai und Danh Vo sowie den Kuratorinnen Natasha Ginwala, Catalina Lozano und Mariana Munguia mitgetragen hat. So entspannt, cool, calm and collected war bislang noch keine Berlin Biennale.
Errungenschaften des 20. Jahrhunderts
Was gleich überzeugt: So wichtig Gaitán die Architektur und Ästhetik des letzten Jahrhunderts ist, wie die bisherigen Veranstaltungen im sogenannten Crashpad belegen, dem vom Architekten Andreas Angelidakis entworfenen Salon im Vorderhaus der KW, so sparsam und subtil kommen diese Errungenschaften des 20. Jahrhunderts in der Ausstellung zur Sprache.
Etwa bei Olaf Nicolai, der die modernistischen Lampen und Verkachelungen aus einem leerstehenden Einkaufszentrum an der Landsberger Allee zitathaft in die Lobby in Dahlem transloziert. Oder mit den noch im kolonialen Indien der 1920er bis 1930er Jahre entstandenen Cartoons, satirischen Zeichnungen und Bücher von Gaganendranath Tagore (1867 bis 1938), die an den Stil im Simplicissimus oder von Malewitschs Weltkriegskarikaturen erinnern und für eine frühe internationale Moderne stehen.
Nur wenige Künstler und Künstlerinnen in der Ausstellung können überhaupt noch das 20. Jahrhundert vertreten. Gerade einmal vier von rund 60 Teilnehmern sind vor 1950 geboren. Insgesamt ist die Biennale sehr jung, mehr als die Hälfte der Teilnehmer gehören 1970er und 1980er Jahrgängen an, dazu stammt weit über ihre Hälfte aus Südamerika, Afrika und Asien.
Gaitáns junge, globale Biennale zeigt viele Künstlerinnen, auch wenn die Zahl der männlichen Kollegen etwas höher ist. Ihre Arbeiten stammen überwiegend aus diesem Jahr und sind in Hinblick auf die Biennale entstanden. Auffällig ist, dass statt Video die Zeichnung in der Schau prominent vertreten ist, weil sie wie der Biennale-Leiter sagt, „den propositionalen Charakter des Kunstwerks betont“. Propositional ist der unerklärte, maßgebliche theoretische Begriff der Biennale.
Auch prominent vertreten sind Soundarbeiten, was vor allem in Dahlem auffällt, wo es plötzlich an allen Ecken und Enden wispert und klingt. Manchmal wirkt das ein bisschen unheimlich, weil man meint, es flüsterten die afrikanische Masken und thailändischen Buddhas.
Im Haus am Waldsee tönt es dann wirklich aus Erde. Dort hat das Künstlerkollektiv Slavs and Tatars ein Paar riesiger Lautsprecher in einen Erdwall im Garten versenkt, ihre sichtbaren Membranen liegen sich gegenüber. Aus ihnen dringt leise ein Gesang, den der durchschnittliche Mitteleuropäer als muslimischen Gebetsruf interpretiert. Er hört auch einen solchen Gebetsruf, freilich ins Türkische übersetzt.
Das ist dann die andere Seite der Moderne des 20. Jahrhunderts: Selbst beim Muezzin duldete der Reformer Atatürk kein Arabisch. Diese politische Implikation erschließt sich einem nicht unbedingt. Dass die Installation trotzdem fasziniert, liegt an ihrer Anlage, dem Gesang, der fern und verloren aus der Erde dringt; an dem Erdwall, der wie ein Schutzraum für die Stimme wirkt, aber auch wie ein Erdloch, in das sie eingesperrt ist.
Alles in Anführungszeichen
Trotz Slavs and Tatars oder Mathieu Kleyebe Abonnenc’ überzeugender Installation zur Prophylaxe der Schlafkrankheit, in der sich der 1977 in Französisch-Guayana geborene Künstler mit der Kolonialgeschichte Schwarzafrikas und seiner damit verbundenen Familiengeschichte auseinandersetzt: Das Haus am Waldsee ist der schwächste Part der Biennale. Die Idee, im intimen Charme der Villa aus den 1920er Jahren, die Privatsammlung als Zugang zur Kunst zu thematisieren, geht nicht auf. Die „Private Collection“ mit ihren von den anderen Ausstellungsorten ausgeborgten Artefakten ist eine fiktive und damit unvermeidlich ironische Sammlung, was sämtliche Kunst im Haus in Anführungszeichen setzt.
Anders als zuletzt kommt den Kunst-Werken bei dieser Biennale wieder eine zentrale Rolle im Konzept der Standorte zu. Wie in Dahlem hat die Zeichnung auch in der Auguststraße großes Gewicht, allerdings mit dem Akzent auf Fragen des Raums, der Geografie, des Standorts oder der Architektur. Vivan Sundaram aus Neu-Delhi etwa reagiert mit seinen Zeichnungen aus Motorenöl und Kohle auf die Geopolitik des Erdöls.
Die nigerianische Künstlerin Otobong Nkanga entspinnt eine Geschichte um den Bergbau und das Mineral Glimmer, wobei die Zeichnung als Stickerei auftritt (neben Ton, Film und Objekten), und Irene Kopelman vermisst in ihrer Serie „Vertical Landscape“ das Ökosystem von Lianen. Das klingt anstrengend, doch der Betrachtet sieht nicht allein ein wissenschaftliches oder politisches Anliegen artikuliert, sondern vor allem den ästhetisch formulierten Vorschlag eines Perspektivwechsels auf das Thema oder die Fragestellung.
Shilpa Guptas jüngste Arbeit „Untitled“ etwa handelt von den Enklaven, die im Grenzgebiet von Indien und Bangladesch existieren. In der Verbindung von Fotografie, Zeichnung, Schrift/Text und Performance bringt sie die besonders elenden Lebensumstände der Menschen dieser undefinierten Räume zur Sprache.
In immer neuen bildlichen und sprachlichen Variationen thematisiert sie die Macht der Markierung bzw. der Auslassung. Gerade das Paradox, dass die Linie, die sie für die Grenze zieht, die besagt, ob die Leute abends elektrisches Licht haben oder nicht, auch die Linie ist, mit der sie sich in die Kunstgeschichte einschreibt und ihren eigenen Geltungsanspruch markiert, gibt ihren Exerzitien zur Grenzziehung eine ungeheure Spannung.
Die Kanadierin Judy Radul holt dann über eine komplexe Live-Video-Installation die Südsee-Sammlung aus Dahlem nach Mitte, in die nachgebauten Museumsvitrinen. „Look. Look. Away. Look Back“ ist eine der aufwändigeren Arbeiten der Biennale. Generell vermeidet die Schau die Materialschlacht, und die Künstler suchen auch nicht nach den ganz neuen Formen, Materialien und Herangehensweisen. Alle arbeiten sie aber auf hohem Niveau. Die Streber, Angeber, Bluffer und Provokateure vermisst man. Das ist eben der Preis, wenn man so cool, calm and collected auftritt wie die 8. Berlin Biennale.
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